Film

Futter für den Mond
von Hansjörg Thurn
DE 1984 | 44 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 8
11.11.1984

Diskussion
Podium: Hansjörg Thurn
Moderation: Elfriede Schmitt
Protokoll: Gerda Meuer

Protokoll

Wie geht die Duisburger Filmwoche mit ihrem Nachwuchs um? Eine Frage, die man sich schon während der Diskussion von Harry Rags Video am Abend zuvor stellen mußte – bei FUTTER FÜR DEN MOND stand sie noch aufdringlicher im Raum. Denn hier fehlten im Auditorium nicht nur die arrivierten Dokumentaristen. Ausgeblieben waren auch die Videospezialisten. Ist die Abwesenheit der letzteren noch im Bereich des Verständlichen, so lassen sich rechtfertigende Gründe im Falle der ersten kaum anführen. Wenn die Neugierde auf die Nachgeborenen fehlt, wenn Pflicht und Bedürfnis zur Auseinandersetzung mit ihnen abhanden gekommen sind, wohin geht der Weg dann? 

Ob nun Filmwochenmüdigkeit oder Desinteresse die Ursache für den kleinen Kreis der Diskutanten war – die, die fehlten haben etwas verpaßt. Es entging ihnen, wie produktive Kritik aussehen kann, wie die Schwachstellen eines Films analysiert und benannt werden können und trotzdem ein gemeinsames Gespräch zustande kommt. Auch ein Erfahrungswert.

Einleitend erzählte Elfriede. Schmitt von einer Beobachtung, die sie während der Pressevorführung dieses Films gemacht hatte. FUTTER FÜR DEN MONO hatte regelrechte Aggressivität bei den Professionellen geweckt, die kategorisch dem Film sein Recht auf einen Platz in Duisburg absprachen. Auch Schmitt selbst hatte nach Sichtung des Films starke Bedenken, lehnte ihn hingegen nicht generell ab, sondern gab die Frage nach den Gründen seines provokativen Charakters an die Diskussionsrunde weiter. Da hagelte es zunächst einmal kritische Bemerkungen. Zu lang sei der Film, langweilig fand man ihn. „Kunstgewerbe sei das“ ließ ein anderer Zuschauer vernehmen. Klaus Gronenborn schätzte den Text als prätentiös ein. Man schien sich auch hier, gleich zu Anfang, einig in der Ablehnung. Dann schaltete sich, wie so oft, Werner Ruzicka „diskussionsfördernd-oppositionell“ in die Schelte ein. Die Frage, ob der Film zumutbar sei oder nicht, hielt er für widersinnig, denn sie gehöre einer Kategorie der großen Festivals an, wo die Zumutbarkeit eines Films Marktgesetzen unterliege.

Hier in Duisburg sei die mögliche Verwertbarkeit eines Films nicht Modus der Auswahl. Schon von daher fände er es ägerlich, wenn man nicht die Geduld für filmische Etüden aufbrächte – zumal man sich ansonsten nicht entblöde über alle möglichen Plattheiten zu streiten. Dem Plädoyer für das „Hinsehen“ folgte die Kritik jedoch auf den Fuß. Ruzicka erklärte den Film für modisch. Die Schauspieler hätten das Out-Fit der New Wave Generation, der Text sei so elaboriert, daß er unerträglich werde.

Nun kam auch der Autor des Films, Hansjörg Thurn, zu Wort. In seiner Gegenrede bekannte er sich zu dem monierten Text. Er entstamme seiner Feder, sei „die Essenz vieler Gedanken“ und funktioniere wie Erinnerung, unzusammenhängend, punktuell, nie narrativ. Das allzu modische des Schauspielers sei bewußte Inezenierung. Er solle keine Bedeutung als Mensch bekommen, sondern nur Fassade sein. Er habe versucht methodische Ansätze vorzuführen durch die Erinnerung darstellbar werden könne. Das sei ein dialektisches Verfahren. Diese Erklärung stellte das Auditorium nicht zufrieden. Man hakte den unklaren, aufgesagten Ausführungen nach.

Der unterlegte Text bestünde aus Sätzen, die sich nur mit Mühe entziffern ließen und den Unterschied von „Sehen“ und “Lesen“ nicht berücksichtigten. Das, was er zeigen wollte, hätte er besser ins Bild gerückt, so ergäbe sich ein “wattiger“ Eindruck.

Der Schauspieler sei nicht nur Fassade, hörte man, sondern bekäme im Umgang mit dem Kind menschliche Züge.

Das dialektische Prinzip Thurns konnte ein Zuschauer nicht nachvollziehen und auf seine Rückfrage, er läuterte dieser ihm, im off-Text habe er diesselbe Methode angewandt, wie im Zwischentext, daraus ergäbe sich eine Sperrigkeit, eine intendierte Verweigerung des Films gegenüber den Zuschauern. Die Retourkutsche an den Rezipienten war in Duisburg schon zu häufig gefahren worden als das sie noch irgendeinen Effekt hätte haben können. „Du bietest uns den Film an und wir sind bereit ihn anzusehen, also mußt du unsere Sortierung des Materials erst einmal akzeptieren“, hielt man Thurn entgegen.

Da die Schelte nun doch die Überhand bekam, versuchte Ruzicka auf die Qualitäten des Films zu kommen und das hieß für ihn die Diskussion über den Text hintenan zu stellen. Mit anderen lobte er die Toncollagen und die handwerkliche Sorgfalt. Die angewandte Sinnlichkeit in der Optik entspräche bzw. akzeptiere die Sinnlichkeit von Erinnerung.

Ein neuer Diskussionsstrang entspann sich an der Hinterfragung d es Titels FUTTER FÜR DEN MOND. Er gebe eine Bedeutungsschwere vor, die der Film nicht einläse. Der Titel sei resümierend, während der Film kein Resüme sei und leite deswegen zu Fehlinterpretationen, ja versperre den Zugang zu den Qualitäten des Films. Ein Zuschauer schlug als Alternative den Titel „Erinnerung“ vor. Thurn widersprach. Er wolle den Zugang zu dem Film keineswegs vereinfachen und da für ihn Film eine Arbeit mit Poesie sei, bestünde er auf einem poetischen Titel. FUTTER FÜR DEN MOND erzeuge keine Erwartungshaltung, existiere nicht, sei nihilistisch. Die Schlagwortphilosophie zu der Thurn als Rettungsseil griff, ging einigen Zuschauern nun doch zu weit. Sie interpretierten seinen Erklärungsversuch erneut als Zuschauerfeindlichkeit, die überflüssig, ja kindisch sei und die Diskussion erhielt je länger, je stärker di e Attitüde eines pädagogischen Lehrstücks mit der Fragestellung: Wie viele vernünftige Erwachsene sich um ein trotziges Kind bemühen.

Man erklärte Thurn, der Titel sei nicht nihilistisch sondern metaphorisch und belegte ihm nochmals, daß er Ballast sei. Wenn er nicht eine Absicht mit dem Titel verfolgt hätte, warum nähme er ihn am Ende des Films dann wieder auf? Im übrigen sei es ein plattes Prinzip, (das hier zudem nicht funktioniere) einen Titel als Andeutung voranzustellen und am Schluß die Auflösung mit dessen Wiederaufnahme geben zu wollen. Und wenn er die Zuschauerverweigerung begründe mit der Argumentation er wolle „Echtheit“ und nicht das dokumentarische Informationsbedürfnis erfüllen, so genüge der Film nicht dem implizierten Anspruch mit Seherwartungen zu brechen. Das Problem sei nicht, daß man ihn auffordere „Dokumentarfilmer mit Türken zufriedenzustellen“, sondern die Assoziationen, die er intendiere, stellten sich nicht ein.

Bei soviel Kritik wurde Thurn zunehmend kleinlauter, vergaß seine Ignoranz gegenüber dem Zuschauer und stellte, fast zaghaft, die Frage, ob denn klar geworden wäre , daß er den Schauspieler als Marionette inszeniert habe. Man verwies ihn auf den Anfang der Diskussion und wiederholte, daß der Schauspieler nicht als Kunstfigur erkennbar sei. Vielmehr entspräche er der „Sorte Leute, die man irgendwo schon einmal gesehen hat.“. Er sei bloß modisch und rutsche als Prinzip weg, wenn man sich die New-Wave-Figur ersetzt durch einen Menschen mit Bart und Friedensplakette vorstelle. Thurns Prinzip sei dem Auditorium klar, doch sei ihm nicht geglückt, „ein gesichtsloses Gesicht zu finden“, daß dieses Prinzip realiter einlöse.

Ob Thurn all diese Mängeltiraden einleuchteten, bleibt ungewiß. Nachdenklicher schien er jedenfalls geworden, als des Auditorium ihn mit vielen guten Wünschen für den nächsten Film entließ.