Film

Dancing in my Head
von Harry Rag

Screening
Duisburger Filmwoche 8
10.11.1984

Diskussion
Podium: Harry Rag
Moderation: Michael Kwella
Protokoll: Gerda Meuer

Protokoll

Kwella beschrieb einleitend Kommentare der Zuschauer, die ihm beim Verlassen des Vorführraums zu Ohren gekommen waren. Die Spannbreite der Qualifikationen reichte von „Film der Woche“ bis zu „der größte Unsinn“. Voller Unmut forderte daraufhin Ruzicka dazu auf, die gegensätzlichen „Meinungsträger“ doch ins Auditorium zu holen, um ihre Meinungen produktiv zu machen. Dem Wunsch entsprach Kwella und das schweigende Warten auf seine Rückkehr provozierte Ruzicka erneut: Ob man denn hier zusammensäße und auf die große Show, auf das Konsumangebot warte, so seine verärgerte Frage.

Da die Provokation nicht die erhoffte Wirkung zeitigte, griff Ruzicka zum direktesten und gleichzeitig problematischsten Mittel , eine schweigende Menge zum Sprechen zu bringen. Er ent –anonymisierte die Masse, griff sich einen, den er für kompetent hielt, heraus. Man habe, so begann er sein tabubrechendes Unterfangen, mit der Plazierung des Films an die s er Stelle in der Kommision ein ganz bestimmtes Anliegen verfolgt . Man habe eine Spannung darin gesehen, ihn zwischen dem Werkstattgespräch MUSIK IM DOKUMENTARFILM und der Fete mit den Video- Clips zu legen . Wie denn der Komponist Heiner Goebbels zur DANCING IN MY HEAD stehe? Dieser stand vorerst Brötchenkauend im Türrahmen, sperrte sich aber, nach Einräumen einer Schluckpause, nicht gegen das Einklagen eines Redebeitrags von Seiten Ruzickas. Ihm sei, so begann er, an dem Duisburger Filmangebot aufgefallen, daß Filme fehlten, die dem Zuschauer ein rhythmisches Angbot machten. Dieser Film hebe den Mangel auf. Zumindest der Anfang sei sehr schön. Die Kamerafahrten in den Waldszenen enthielten bereits musikalische Rhythmen. Er habe es als Anregung für eine mögliche Weise empfunden, den Schluß hingegen fände er in musikalischer Hinsicht „klotzig und redundant“ .

Rag entgegnete, es handele sich bei der gerühmten Szene um ein Zufallsprodukt. Er habe keinen Walkman bei den Aufnahmen getragen, sondern im Anschluß an das Drehen die genau dazu passende Musik gefunden. Priorität hätten im übrigen die Bilder in seinem Film, die Musik sei rein funktional eingesetzt, um diese Bilder zusammenzusetzen.

Nachdem die „Schwellenangst“ einmal gebrochen war, erhielt die Diskussion zunehmend Brisanz. Mehrere Diskutanten bemängelten die technische Qualität des Videos. Didi hatte der Film zunächst an die Produkte von Anfänger-Video-Kursen erinnert. Hier biete er den Video-Neulingen oft an, auf die Musik zu schneiden, um eine „Frustrationsstufe“ zu überwinden. Deswegen habe er Filme im Stil von DANCING IN MY HEAD schon sehr oft gesehen. Nachdem er aber nun von Rag erfahren habe, daß sein Film aus dem umgekehrten Arbeitsprozeß entstanden sei, habe er zunächst nichts dagegen einzuwenden. Schärfere Gegenreden der Videospezialisten rief erst Ruzickas Apologie hervor. Dem Film sei es gelungen, ihm ein Stimmungsbild des Kölner Karnevals zu vermitteln, das seinem persönlichen Eindruck entspräche und zwischen “Alltäglichkeit und Tristesse“ schwinge. Er halte den Film für dokumentarisch gut und fände es bedenklich, wenn Video-Leute nun aus „Betriebsblindheit“ dessen inhaltliche Qualitäten nicht mehr sähen und die Kritik sich auf den Komplex “technische Defekte “ beschränke. Die Phillipiken nahmen nun, wie gesagt, zu. Für ein modisches Produkt der Video-Kultur hielt ein Diskutant den Film. Er reihe sich in eine Folge von Videos, die aus Dilettantismus austauschbare Bilder herstellten. Autobahnfahrten und verschneite Landschaften aber sagte, weil zu oft zu sehen, nichts mehr aus, seien entleert. Rag stimmte der Kritik an den genannten Sequenzen zu. Es sei ein Problem gewesen, den Karneval nicht positiv darzustellen, aber ihn auch nicht zu, zerstören. Deswegen hätten sie die Eislandschaft eingefügt und versucht sie durch kontrapunktische Musikeinsätze zu verfremden. Dies sei wohl nicht gelungen.

Einen neuen Aspekt brachte Dietrich Leder in die Runde. Die einzelnen Sequenzen des Films hätten unterschiedliche Qualität. DANCING IN MY HEAD habe ihn, als Kölner, die Muffigkeit Kölner Scene-Kneipen zu Karneval demonstriert, habe ihn das Ritual der Müllwagen, die nach dem Zug die Straßen säubern, als eines wiedererkennen lassen, das sich teil weise mit den Ritualen der Karnevalisten decke. Ebenso hätten ihn die Toncollagen angesprochen, bemängeln aber müsse er den Zwang zur Chronologie der Bilder, dem sich unterwerfe und die Länge des Films. Rag erklärte, der Film sei so lang, weil er die Musikstücke nicht habe unterbrechen wollen und auf den Punkt zum harmonischen Schneiden gepaßt habe. Es seien aber nur wenige Bilder, oft machten sie nur Sekunden aus, die er heute wegfallen ließe. Zur Frage der Chronologie führte er aus, diese gewählte Anordnung sei ihm wichtig. Gleichwohl berge sie eine Schwäche des Films. Er habe während der Arbeit zunächst alle guten Bilder montiert. Für den 5. und 6. Tag sei deshalb nicht mehr viel qualitätsvolles Material übriggeblieben.

Diese Erläuterungen trugen ihm ein Kompliment Ruzickas ein, der die Klarheit rühmte, mit der hier eine Arbeitsweise offengelegt werde. Die Suche nach Wegen und Formen werde beschrieben und nicht mystifiziert und – nochmals auf die inhaltliche Ebene einschwenkendattestierte er dem Film „kölnische Ironie von plebejischer Souveränität“. Diese bemühten, emphatischen Versuche Ruzickas um den Film, kannten das Selbstbewußtsein der gestandenen Video-Leute jedoch nicht aufbrechen. Auch ein Symptom der 8. Duisburger Filmtage. Eine Entwicklungstendenz – wie das notorische Fehlen der Altdokumentaristen in den Diskussionen um die “Frischlinge“.