Film

Juden in Norddeutschland
von Carlheinz Caspari
DE 1981 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 5
1981

Diskussion
Podium: Carlheinz Caspari
Moderation: Jutta Uhl
Protokoll: Fritz Iversen

Protokoll

Caspari, Schriftsteller und freier Mitarbeiter bei verschiedenen Fernsehanstalten, stellte zunächst dar, von welchen Überlegungen er sich beim Realisieren des Films leiten ließ. Der Film ist entstanden für die Reihe „Platt in III“ des NDR, mit der die spezifischen Wünsche einer Region, nämlich das Vorkommen des Plattdeutschen im Fernsehprogramm, bedient werden. So traten auch für den Autor neben die heimatkundlich-historische Recherche linguistische Interessen. Selbst gebürtiger Kölner und des Plattdeutschen eigentlich nicht mächtig, habe er die Beobachtung gemacht, daß das Plattdeutsche dort, wo es noch geschrieben und gedruckt wird, als Versteck vor allen Problemen der Wirklichkeit benutzt werde. Bei den Leuten, die Platt schreiben, sei regelmäßig eine Haltung anzutreffen, sich nicht mit all dem zu befassen, was als Themen im Hochdeutschen vorkomme. Auf diese Weise funktioniere das Platt als ein Ausweichidiom, das mit Behäbigkeit und „Humor“ von der Welt nur als einer heilen spricht.

Der Autor des Films wollte sich gegen diesen Verdrängungscharakter des Plattdeutschen wenden, indem er in seinen Gebrauch eine Thematik einführte, die schon im Hochdeutschen eine verdrängte ist und zu sprachlichen Verrenkungen und Verkrampfungen führe. Dadurch sollten zugleich die Ausdruckskapazitäten des Platts auf die Probe gestellt werden.

Friedrichstadt hat 2500 Einwohner und in seinem äußeren Erscheinungsbild dieses Jahrhundert bisher heil überstanden. Vor 1933 gab es in diesem Ort etwa 20 % Juden und Mitglieder einer Anzahl von Sekten. Die Juden lebten nicht im Ghetto und nahmen in allen Schichten der Bevölkerung am gesellschaftlichen Leben teil. Caspari hat sich nun für Friedrichstadt interessiert, weil selbst in diesem Nest noch eine Reichskristallnacht stattfinden konnte.

In seinem Film hat Caspari unter anderem sichtbar machen wollen, daß es Spannungen unter Einwohnern von Friedrichstadt gäbe, die aus einem unterschiedlichen Verhältnis zu der Geschichte der Judenvernichtung herrühren. Solche Spannungen aus kontroversen Positionen heraus sollten z. B. zwischen dem Tischlermeister Hansen, der detailreich über die Geschichte der Juden in Friedrichstadt publiziert hat, und dem quasi halb offziellen Lokalhistoriker, der über die Verfolgung der Juden in Friedrichstadt nach Aktenlage Aussagen trifft, zu spüren sein. Solche Spannungen genau auszuforschen und die Verdrängung der jüdischen Geschichte in Friedrichstadt vor dem Hintergrund nationalsozialistischer und antisemitischer Gesinnungsrelikte, bedrückender Gleichgültigkeit und gegenwärtiger politisch reaktionärer Einstellungen namentlich zu benennen und detailreich zu belegen, ließ sich wegen der Unüberführbarkeit dieser Mentalität nach juristischen Maßstäben, wenn alle – auch aus Furcht vor Gewalttätigkeiten ehemaliger und neuer Nazis schweigen, nicht durchführen. Von daher konnte Caspari nur hoffen, daß bspw. die schaudervolle Selbstentblößung des Lokalhistorikers, als dieser anhand möglicherweise manipulierter Archivkarteien, auf denen die abtransportierten Friedrichstädter Juden allen Ernstes als „ordnungsgemäß verzogen“ abgehakt wurden, die Unbeteiligtheit von Friedrichstadt an der Judenvernichtung nachweist, von den Zuschauern bemerkt und empfunden werde. Diese Selbstentblößung in einem Kommentar angriffslustig hervorzuheben und auszuformulieren, hätte aber sicherlich zu Prozessen geführt, die kaum zu gewinnen gewesen wären. Aus solchen Gründen sind i n dem Film auch weitere belastende Eindrücke von dem Verhältnis der Friedrichstädter zu ihren ehemaligen Mitbürgern nicht enthalten. Sie wurden dem Recherchierenden nur hinter vorgehaltener Hand und als Gerüchte zugänglich, ohne die geringste Aussicht darauf, sie vor der Kamera bezeugt zu bekommen.

An diesem Punkt meldeten sich Stimmen zu Wort, die grundsätzliche und harte Kritik an der Gesamtkonzeption des Films äußerten. Es sei heute, mehr als 35 .Jahre nach der Vernichtung der Juden, nicht mehr damit getan, daß man lediglich auf eine Art von Wirkung ziele, wie sie mit dem Begriff „Schauder“ angedeutet wurde. Es komme jetzt vor allem auf ein Begreifen der historischen Ursachen und der verantwortlichen politischen und gesellschaftlichen Strukturen, die zum Teil als fortwirkende zu erkennen seien, an. Das bloße Auslösen von Erschütterung erinnere an die Aufarbeitungsformen der 50er Jahre und sei politisch falsch, weil es den Verzicht auf tiefergehende Einsichten in die Geschichte bedeute. Es sperre sich gegen praktische Schlußfolgerungen aus der Geschichte, indem es sie als einen verhängnisvollen Naturvorgang interpretiere, als eine Art Gewitter, gegen das niemand etwas machen konnte, und damit gerade nicht als von Menschen gemachte Geschichte. Ästhetisch hätte Caspari so verfahren sollen, daß er an die Stelle des Versuchs, durch Anekdoten und Teilerfahrungen Einblick in die Geschichte zu gewinnen, eine Zusammenhänge herausarbeitende Montage gesetzt hätte. Mit seinen Überblendungen stimuliere der Film lediglich die verklärte Einfühlung in ein bekanntermaßen trauriges Kapitel deutscher Geschichte.

In seiner Erwiderung auf diese Kritik identifizierte sich Caspari mit dem politischen Standpunkt, von dem aus diese Kritik vorgetragen wurde und wollte sich deshalb nicht von ihr absetzen, wenn der Film tatsächlich Zuschauern den Eindruck vermittle, die Vernichtung der Juden habe sich wie ein Gewitter ereignet. Vielleicht komme er in dieser Arbeit tatsächlich nicht über die Bewältigungsformen seiner Generation, die Zeitgenosse des Völkermords war, hinaus. Scharfe Angriffe gegen die Verdrängung der Judenvernichtung haben in seinen schriftstellerischen Arbeiten Platz gefunden, er wollte und konnte sie aber nicht so direkt in diesem Film formulieren. Schließlich hätten auch einige interessante Momente einfach aus zeitlichen Gründen nicht in dem Film untergebracht werden können. Eine Zuschauerin fügte dagegen der grundsätzlichen Kritik an dem Film noch den Aspekt hinzu, daß der Film genau daran kranke, daß er dort ausblende, wo die Schwierigkeiten begonnen hätten. Die Probleme, auf die noch heute eine Untersuchung der damaligen Verbrechen stoße, hätten von dem Film dokumentiert werden müssen, weil sie selbst als ein wichtiges und vor allem aktuelles Ergebnis seiner Recherchen anzusehen wären. Mehr als alles andere hätten die Mauern aus Schweigen, auf die er getroffen wäre, die Kontinuität der Verdrängung zeigen können. Darauf antwortete Caspari, daß ein solcher Film gleichsam Schwarzfilm ohne Ton gewesen wäre, daß ein solcher Film also von ihm gar nicht zu machen gewesen wäre. Er hätte dann nur selbst immer wieder sich vor die Kamera stellen könne, um – auf Hochdeutsch – zu erklären, daß er hier und da und dort wieder gar nichts erfahren habe. Sein Ziel sei es aber gerade gewesen, die Leute in ihrer Sprache zu Äußerungen über das Thema zu bewegen, damit dies sich andere Leute derselben Sprachgemeinschaft anhören und vielleicht etwas von den nur mangelhaft zur Sprache gekommenen Konflikten mitkriegen.

Eine Zuschauerin wandte sich gegen die Kritik an dem Film. Sie konnte in ihm keine veraltete Form der Aufarbeitung von Geschichte entdecken. Der Film lege den Zuschauern nahe, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man sich selbst verhalten hätte bzw. würde, wenn dem Nachbarn durch den Staat Unrecht zugefügt oder sein Leben bedroht würde. Es sei für diese Bemühung um die innersten subjektiven Einstellungen der Menschen aber falsch, den analytisch-rationalen Einblick in die übergeordneten Zusammenhänge zu fordern. Weisheiten solcher Art fänden sich mittlerweile reichlich in der Literatur, die sich mit dieser Zeit befasse. Es entstand darauf eine Debatte über die ästhetischen Mittel des Films.

Einige Zuschauer legten dar, inwiefern sie den häufigen Gebrauch von Überblendungen für unangebracht hielten. Einer störte sich an ihnen, weil sie die sehr guten dokumentarischen Ansätze des Films, die in den langen beobachtenden Einstellungen zu finden gewesen seien, behinderten. Andere meinten, daß die Überblendungen den ganzen Film gewissermaßen unscharf machen. Der aufklärerische Impuls, der am Beginn der Arbeit gestanden hätte, sei in diesem „Überblendungszusammenhang“ untergegangen. Dem Film sei in seinen ästhetischen Mitteln die Konzentration auf die Thematik entglitten und spiegele darin einmal mehr die deutsche Unfähigkeit zu einer adäquaten Aufarbeitung. Auch sei danach zu fragen, aus welchen Zusammenhängen die ästhetischen Mittel des Films stammen. Die Tonmontagen bspw. erinnerten an die abgelutschten Formen der Vertonung von Krimis. Ferner sei die Problematik des Films ästhetisiert und allzu sehr in die ferne Vergangenheit gerückt worden, während das heutige Friedrichstadt als Idylle aufgenommen und gestaltet worden wäre.

Für diese Einwände zeigte Caspari ein gewisses Verständnis, erklärte dann aber seine filmische Taktik. Zunächst sei es ihm darum gegangen, die Idylle, wie sie in Friedrichstadt aufzufinden sei, noch durch die Bilder zu verstärken, um dadurch um so klarer werden zu lassen, wie diese Idylle als Versteck vor Vergangenheit und Gegenwart diene. Er habe bisher mehr als Spielfilmregisseur gearbeitet und sähe von daher vielleicht auch mehr die spielerischen Möglichkeiten des Films. Im übrigen habe er sich überlegt, wie dem Abschalteffekt, mit dem man bei dieser Thematik rechnen müsse, entgegengewirkt werden konnte. Er habe sich deshalb mit einer gewissen „Schlitzohrigkeit“ dafür entschieden, durch den „Trick des schönen Bildes“ das Zuschauerinteresse wach zu halten. Für die pointiertere Einbeziehung aktueller Aspekte der Thematik hätte er allerdings weit mehr Sendezeit zur Verfügung haben müssen. Andere Zuschauer versuchten dann noch, die Qualitäten der Ästhetik des Films positiver deutlich zu machen. So ginge die Kritik, die gegen den Film vorgebracht worden sei, völlig an ihm vorbei. Es handele sich bei ihm nicht um einen Dokumentarfilm im engeren Sinne, sondern um ein hochkünstlerisches Produkt. Die Musik und die Geräusche sind gezielt so verwendet, daß sie die idyllische Dimension der Bilder kontern und durchbrechen. Man könne an diesen Film nicht Forderungen stellen, wie man sie an ein en journalistischen Beitrag stellen müßte, weil es sich hier nicht um einen journalistischen Beitrag handele. Ein anderer Zuschauer beschrieb die Funktion der Idyllisierung als Kontrasteffekt. Aus der Idylle breche ein gegenläufiger Eindruck hervor, wodurch der Film gleichsam einen doppelten Boden besitze.

Gerade dies wurde aber von anderen Zuschauern bezweifelt. Der Film habe gerade darauf verzichtet, konsequent diesen doppelten Boden anzulegen. Er sei davor zurückgewichen. Es wurde schließlich noch in die Debatte geworfen, daß jeder Dokumentarfilm als Bruchstück anzusehen sei. Gegen die überdimensionierten Ansprüche, die immer wieder an die Inhalte von Dokumentarfilmen gestellt würden, sei darauf hinzuweisen, daß die Aufarbeitung immer nur fragmentarisch sein könne. Man müsse über jeden Film froh sein, der sich dieses verdrängten Themas annähme. Der Wunsch, Erklärungen und Zusammenhänge mit in die Filme aufzunehmen, verführe zu Simplifizierungen und einfachen Antworten. Darauf meldeten sich noch einmal die kritischen Stimmen zu Wort, die klarzulegen versuchten, daß dieser Film, bei allen guten Absichten, dennoch in seiner ganzen Anlage als Teil einer verfehlten Aufarbeitung der Geschichte zu kritisieren sei. Indem das heutige Verhalten, das eine Kontinuität bilde mit früherem faschistischem Bewußtsein, nicht in den Blick komme, setze der Film die Verdrängungen mehr fort, als daß er sich gegen sie wende.

Gegen solche Einwände, betonte Caspari am Ende noch einmal, wolle er nicht Recht behalten. Er sähe kein Manko des Films darin, daß solche Kritik vorgebracht würde. Vielleicht spiegelten sich die Schwierigkeiten der Deutschen im Umgang mit ihrer Geschichte, die im Film anklingen, tatsächlich auch an dem Film. Er sähe ein, daß er einen Film über diese Thematik nächstes Mal vielleicht anders machen solle, es aber nicht nur an ihm läge, ob er ihn auch anders machen könne.