Alexander Scholz

Eröffnungsrede 47. Duisburger Filmwoche

 
„Das ist ja eine Veranstaltung für uns“ sagte eine junge Frau auf dem Duisburger Flachsmarkt neulich. Das war bei unserer Vorführung von Cem Kayas Film „Ask, Mark ve Ölüm“. Die Frau stand vor einer Auslage mit türkischen Schallplatten, die einer der Sammler aus dem Film mitgebracht hatte. Und sie hatte recht. Die Vorführung war für alle, gekommen waren an dem Tag besonders Menschen aus Duisburgs deutsch-türkischer Community. Wir diskutierten einen Abend lang über türkische Popmusik in Deutschland, Labels aus Duisburg und über solche, die Menschen, die sie für fremd halten, ablehnen, weghaben wollen. Wir kamen zusammen. Der Anlass war ein Film.

Ein paar Wochen später erinnerten wir uns mit einem befreundeten Filmemacher und einem Stadtplaner daran, wie das war, als in den Neunzigern das Centro in Oberhausen gebaut wurde. Wie sich damals im Ruhrgebiet neue Städte und vielmehr noch neue Menschen vorgestellt wurden, die ihr abhanden gekommenes Klassenbewusstsein mit Erlebnisshopping kompensieren sollten. Zuvor hatten wir einen Film darüber gesehen.

Stadt der guten Hoffnung von Volker Köster

Im Frühjahr sprachen mit dem Sinti-Verein Duisburg über die Situation der Minderheit in Neuenkamp und in Meiderich. Darüber wie viel oder wenig sich seit 1980, als Rainer Komers mit den Menschen einen Film gedreht hatte, verändert hat. Einerseits ging es um Schmerz, Ablehnung, um strukturellen Rassismus. Andererseits wurden am Ende der Veranstaltung Nummern ausgetauscht. Menschen, die ähnliche Kämpfe austragen mussten, waren da, wollten sich vernetzen. Nach dem Film.

Film, Kunst generell, wird gleichzeitig unter- und überschätzt, wenn man sie sich als sozialen Kitt vorstellt, ihr eine Funktion zuschiebt, hofft, sie möge auf diffuse Art verständigend, im Falle des Dokumentarfilms am besten noch bildend wirken. Selbst als Leiter eines Festivals, das das Miteinandersprechen so deutlich in sein Zentrum stellt, glaube ich nicht, dass es die Aufgabe von Kunst sei, uns Vereinzelte wieder zu verbinden. Oder die Aufgabe eines Dokumentarfilms, uns über soziale Wirklichkeiten zu belehren. Ich bin nicht der Meinung, dass das oder irgendetwas die Funktion von Kunst wäre. Kunst ist kein Lagerfeuer und Rechthaben ist nicht poetisch.

Allerdings hat besonders Film häufig genau diesen Effekt: dass man Lust hat, sich auszutauschen, dass man diskutieren will, was man so noch nicht gesehen, erst recht nicht verstanden hat, dass man, genauso gut, einfach zusammen mit anderen berührt sein will. Weil einem bekannten Bild ein neues entgegengestellt wurde. Oder weil man vielleicht zur Abwechslung mal nicht als jemand adressiert wurde, der zu etwas bestimmt schon eine Meinung hat.

Zigeuner in Duisburg von Rainer Komers

Eine Veranstaltung für jemanden zu machen. Das bedeutet, einen Film als Raum anzubieten. Und Menschen in diesen Räumen willkommen zu heißen. Das gilt für die Menschen in Duisburg genauso wie für unsere Gäste während der Filmwoche. Im Kino habe ich in den letzten drei Jahren Leute getroffen, die im Angesicht der Filme, die wir seit 47 Jahren gezeigt werden, über Schwenks schwärmten oder die erzählten, dass sie mit den Leuten auf der Leinwand schonmal ein Bier getrunken haben. Die im Gezeigten das Eigene anders oder noch Fremdes sahen.

Die Filmwoche mag Räume stiften. Die Filme und die Zuschauer:innen prägen sie. Das ganze Jahr schon und in der kommenden Woche vor allem und erst recht: Sie alle, kommen, um an Bildern, an einer Erfahrung, an sich gegenseitig teilzuhaben, um Beziehungen herzustellen.

In den letzten Jahren sah es nicht immer so aus, als würde die Filmwoche ihre Einladung, eine Veranstaltung für jemanden zu sein, mit historischem und lokalem Interesse ausdehnen oder überhaupt aufrechterhalten können. 2021 wies ich an dieser Stelle darauf hin, dass die Sorge um das Festival kein Dauerzustand sein dürfe, dass auch in jedem Sinne aufopferungsvoll arbeitende Menschen Grenzen haben. Im vergangenen Jahr sprach ich davon, dass das Fortschreiben von und das Einladen in Traditionen eine Arbeit ist, die einer Perspektive bedarf, die weiter schauen lässt als bis ans Auslaufen von Stellenplänen am Ende des kommenden Jahres.

Inzwischen hat sich die Lage verändert. Inmitten von Nachrichten über Kürzungen bei großen Kultur- und Bildungseinrichtungen und der existenziellen Bedrohung befreundeter Kinos und Stätten der Filmkultur. Inmitten von Nachrichten über durch kulturpolitische Achtlosigkeit beschädigte Großfestivals und der Aussicht auf kaum verheißungsvolle Neuerungen in der Filmförderung. Inmitten dieser Nachrichten steht die Filmwoche nun gesichert da.

Wir fühlen uns mit dem, was dieser Ort bisher war und ist, gesehen, wertgeschätzt und ermuntert, uns treu zu bleiben. Denn sehr viele Menschen sehen in diesem Ort etwas Besonderes: einen Ort der Skepsis gegenüber künstlerischer wie politischer Saturiertheit, ein Refugium ästhetisch-begrifflicher Genauigkeit, einen Treffpunkt für Redebedürftige und Kritikwütige, einen Ort der Wertschätzung von Autor:innen und der Liebe für das Kino – und einen Ort, der seinem Publikum zutraut, ihn zu mitzugestalten. Ich bin mir dieser Erwartungen sehr bewusst. Sie sind mir recht.

Ich bin deshalb für die Entscheidung der Stadt Duisburg, diesen Ort zu sichern, dankbar. Ebenso dankbar bin ich unseren Förderern beim Land, in der Filmstiftung und bei 3sat und ARTE, die auf dem Weg hierhin immer an unserer Seite standen. Ich bin dankbar, weil ich mit diesem Ort so viel verbinde, dass ich ihn am liebsten mit anderen Menschen verbinden will. Weil es Arbeit war und ist, ihn zu erhalten und zu pflegen, und sich diese Arbeit offenbar lohnt. Vielen Dank für das Vertrauen in die Geschichte und die Zukunft der Duisburger Filmwoche!

Wir fühlen uns durch diese Entscheidung der Stadt respektiert und bestärkt, nicht etwa eingeengt. Kein neuer Zwang, sondern gestärkte Freiheit. Um Veranstaltungen für Menschen zu machen. Nicht für Kund:innen, die gehen, wenn sie ein Produkt erhalten haben, sondern für Gäste, die nach den Bildern bleiben. Für einen Ort der Filmkultur.

Filmkultur – daran lohnt es sich dieser Tage zu erinnern – hat keine Kund:innen ist aber nicht umsonst. Sie muss finanziert und unterstützt werden, nicht gekürzt und marginalisiert. Um überhaupt fortbestehen zu können und um sich gegen ihre Feinde wehren zu können, die sie immer offener attackieren. Weil sie entzweien, wollen, Unzweideutigkeit und Ambivalenz tilgen wollen, weil ihnen ihre Angst wichtiger ist als ihre Nachbarn.

Wenn man also stets – im Gestus der Sonntagsrede – den Wert der Kultur, den Wert des Fremden, Unbekannten, das Kunst bietet, den sozialen Wert des Austausches betont. Wenn man sagt, es brauche Foren des Gemeinsamen, um das Auseinanderdriften, es brauche Bildung, um die Ignoranz zu stoppen. Wenn man dieser Meinung tatsächlich ist, warum bleibt Kultur selbst in diesen Zeiten der erste Posten, an dem gekürzt wird? Wieso ist ein neuerdings in seinen Strukturen gefestigtes Festival eine Entwicklung gegen den Trend? Ruht, wer so spricht, nicht in einer wohlig eingerichteten Distanz zu den tatsächlichen Zuständen? Im konsequenzlosen bildungsbürgerlichen Urvertrauen? Unterschätzt, wer so redet, nicht wie ernst es den Feinden der Pluralität ist? Müsste so jemand nicht von einem Dokumentarfilm wachgeküsst werden?

Die Filmwoche glaubt fest an das Dokumentarische als eine Kunst für sich, die ihre Kraft dadurch gewinnt, eine filmische Sprache in Bezug zu derjenigen der Dinge zu setzen. Die immer wieder neu die Frage stellt, wie das, was uns umgibt, filmisch erfasst und verhandelt werden kann. Ihre Kraft erschöpft sich nicht darin, eine Gemeinschaft zu stiften. Aber Beziehungen zu gestalten, gehört zur Kraft des Dokumentarischen ganz elementar dazu: Weil es Öffentlichkeit für Zustände schafft. Gerade hier in Duisburg, zwischen Kino und Diskussionssaal.

Ich lade Sie ein, in Beziehung zu Bildern und zu ihren Nachbarn zu treten. Wir haben vor, eine Veranstaltung für Sie zu sein. Vielen Dank!