Synopse
Blick auf die BRD. Ein historischer Reigen der Irrungen und Wirrungen von Politik und Großindustrie. Irgendwie hat jeder mit jedem was zu tun. Absonderliche Verbindungen treten zutage, dunkle Geschäfte im Namen des Volkes. Und der gemeine Bürger weiß plötzlich wieder, dass er eigentlich nichts weiß.
Protokoll
Der Titel ist zu lang, aber der Film, mit dem Gerhard Friedl nach 7 Jahren und seinem damaligen Erfolgsfilm „Knittelfeld“ erneut in Duisburg auftaucht, ist gut.
Hatte man erst einmal die ersten Erinnerungsmomente an die scheinbar kaum veränderte Technik von Knittelfeld überwunden, sieht man einer aufwendigen Montage dabei zu, wie sie ihre ganz eigene Sogwirkung entwickelt und über das wurde in der folgenden Diskussion auch rege gesprochen – wenn auch streckenweise ohne Beteiligung des Regisseurs, dem die Produktion, wie er sagt, noch zu nahe war.
Der etwas kryptischen Einstiegsanalyse von Werner Ruzicka, dass es „sich bei dem Film um keine aleatorische, sondern um eine kaleidoskopische Form“ handle, pflichtet Friedl nicht nur bei, sondern erweitert deren Gedanken um die Aussage, dass die Pointe beim Kaleidoskop ja die ist, dass sie, Walther Benjamin gemäß, zerschlagen werden müsste (ich verstehe weder die erste noch die zweite Pointe – womöglich ein seelenverwandter innerer Dialog zwischen Regisseur und Moderator).
Gliedern wir die Diskussion der Übersichtlichkeit halber.
1. Einblicke in den gesellschaftstheoretischen Überbau von „Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen“
2. Zum möglichen Verhältnis von Text und Bild
3. resignative Organisation
4. Das Prinzip Hoffnung
1. Auch wenn sich Gerhard Friedl in späteren Strecken der Diskussion zurückzog und vom zuvorkommenden Werner Ruzicka mit möglichen Antworten vertreten ließ, gab er doch u.a. das gesellschaftstheoretischen Modell preis, das den Überbau des Filmprojekts liefert.
████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████████ Gleichzeitig aber über die Shoah so nachzudenken, wie dies Agamben tue, stelle individuell die Frage danach, wo man sich situiere, ob man sich naiv vor oder ernüchtert nach dem Entsetzen positioniere. Friedl habe versucht, deutlich zu machen, dass er sich so positioniere, dass er von einer Gesellschaft ausgehe, die politisch alternativlos gibt.
Mehr als die Erläuterung eigener Konstruktionsprinzipien interessiert Friedl aber ein Gespräch über die jeweils individuellen Assoziationen, das individuelle Gedächtnis das der Film produziere…
2. Immer wieder auch der Versuch des Publikums, Sinn aus dem Verhältnis von Text und Bild zu stiften. Friedl selbst sagt, es gäbe unterschiedliche Verhältnisse im Film zwischen distanzierten Bildern und einer dem Text entsprechenden Ästhetik der Aufnahmen (Wenn er etwa von den Hösch-Werken in den 80er Jahren die Rede ist, kombiniert er das Bild einer Stahlfabrik in Belgien, deren aktuelle Ästhetik der Erscheinung einer Hösch-Fabrik von vor 20 Jahren eher entsprechen könnte.)
Schöner Kommentar aus dem Publikum: man nimmt es irgendwie hin, dass es keine unmittelbare Anschlüsse zwischen Text und Bild gibt. „Da wir ja ohnehin schon von den Bilder aus den Medien erschlagen werden, von denen wir trotzdem nichts erfahren, überzieht der Film dies Verhältnis konsequent. Anderen erscheint es als eine Trennung aus untergründiger Macht und deren Organisation (Text) und scheinbar „reiner“ Alltäglichkeit (Bild).
Birgit Kohler findet es fahrlässig von einer Entkoppelung von Bild und Text zu sprechen „so einfach ist es aber, so wie es eingesetzt wird, nicht zu trennen!“
Die vom Publikum u.a. als „Stakkato-Rap“ bezeichnete Sprache, steht der „Verschlüsseltheit“ der Bilder (Werner Schweizer) gegenüber. Und der Text, mit seinen Einsprengseln banaler Informationen zu körperlichen Gebrechen seiner Figuren, lenkt sein Augenmerk deutlich auf das Motiv des Erzählens und die Konstruktion von Geschichte.
Die Mache: der Text ist zum großen Teil Zitat, den, so Friedl, gab es zuerst, anschließend schrieb Friedl sein Drehbuch für die Filmaufnahmen. Es folgen zwei größere Reiserunden, eine im südlichen und eine im nördlichen Raum, mit denen er die Aufnahmen für das Projekt sammelt.
Friedl wählt zur Erklärung für das Verhältnis der einzelnen Ebenen und Momente zueinander mehrmals Begriffe aus dem Feld der Musik. Letzten Endes, so Ruzicka, bleibt die Feststellung einer dichten Durchkomponiertheit.
3. Schlussfolgerungen aus diesem gestörten Verhältnis von Text und Sprache: „Es gibt am Ende ein Moment der Verweigerung des Schlüssigen“, so formuliert es Ruzicka, auch wenn die Reduktion und Kombination die Friedl betreibt, es erlaubt Sinn zu stiften – wenn man zum Beispiel versucht, Bilder konkret zu verorten.
Die Rolle der Ironie, merkt ein Gast an, wird im Gespräch etwas vernachlässigt. Das bleibt sie weiter. In Anknüpfung an die Humorfrage spielt Verwoert aber ein, er habe den Eindruck des permanenten „Nachkartens“, des „ironischen Entwickelns der Katastrophe“, das wie im Spy-Thriller oder der Verschwörungstheorie die Idee verfolgt wird, es gäbe einen sichtbaren Alltag und daneben verborgene Mächte. Und man frage sich, wer das letztlich alles wissen könne: „wer ist der Erlöser, Benjamin oder Agamben?“
Für Michael Girke, wie er selbst rhetorisch als altmodisches und naives Anliegen einräumt, und da Agamben schon ins Spiel gebracht wurde, stellt der Film die Frage, will ich die Welt so wie sie ist, oder will ich sie anders. Und damit die Frage an Friedl, ob es nicht auch möglich gewesen wäre, mit dem Film genau diese Frage zu stellen? Friedl aber macht klar, dass er das nicht wolle, der Film solle ein „Konzert mehrerer Assoziationsebenen“ sein.
Als Effekt der verweigerten Auflösung fällt immer wieder der Begriff einer „resignativen Haltung des Films“ vom Publikum. „Er“, so ein Gast, „sieht die Visualisierung eines Zustands, der so schon seit 30 Jahren existiert, das sind keine substantiell neuen Verhältnisse, und also ist es letztlich schon eine resignative Position.“
4. Aber dann taucht das Prinzip Hoffnung doch wieder auf. Denn Werner Schweizer findet den Film gar nicht so resignativ, da es im Text schon auch das Moment des Eingreifens gibt, „da gibt es doch auch Verhaftungen!“
Werner Ruzicka bezieht es auf das Handeln selbst: „dass es die Arbeit überhaupt gibt, ist ja schon ein Stück praktischer Optimismus.“
Auch möglich: Filmsehen als Äquivalent zur Drogenerfahrung. Einer beschrieb es so: der Film komme ihm vor wie ein Karussell mit Haken und wenn man nah genug drankommt, nimmt es einen mit.
In dem möglichen Schwindelgefühl aber ging es letzten Endes um die großen, existentiellen Haltungsfragen.