Friederike Horstmann

#Museum

Nina Pfannenstiel und Suzy van Zehlendorf in Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist von Sabine Herpich

Museumskritik ist so alt wie die Institution selbst. Sie zeigt, wie umstritten der Status von Anfang an war. Kurz nach der Gründung des Louvre im Jahre 1793 kritisiert der Archäologe Antoine Chrysostôme Quatremère de Quincy nicht nur Napoleons machtpolitische Beschlagnahmung von Kunstwerken, sondern beklagt ihre Historisierung und Pseudopräsenz im Museum. Ihrem ursprünglichen Entstehungskontextes und Sinnzusammenhang beraubt führen sie ein trauriges Mumiendasein. Mit provozierenden Parolen bekämpft der Futurist Filippo Tommaso Marinetti 1909 den „snobistischen Kult der Vergangenheit“, radikalisiert den Topos des Museums als Grabkammer der Kunst und ruft dazu auf, die verstaubten Räume der bürgerlichen Kunstinstitutionen zu fluten. Neben der Friedhofsmetapher findet sich in seiner agitatorischen Schrift ein weiteres, oft auftretendes Motiv der Museumskritik: das Museum als chaotische Rumpelkammer. 1923 notiert wiederum der Essayist Paul Valéry nach einem Besuch im Louvre, er fühle sich abgestoßen vom „Haus der Inkohärenz“ und „Tumult gefrorener Geschöpfe“, die einander eifersüchtig überwachen und versuchen einander den Blick wegzustehlen. Demgemäß diskreditiert Theodor W. Adorno 1953 das Museale als Inbegriff der Stagnation: „Der Ausdruck ‚museal‘ hat im Deutschen unfreundliche Farbe. Er bezeichnet Gegenstände, zu denen der Betrachter nicht mehr lebendig sich verhält und die selber absterben. Sie werden mehr aus historischer Rücksicht aufbewahrt als aus gegenwärtigem Bedürfnis. Museum und Mausoleum verbindet nicht bloβ die phonetische Assoziation. Museen sind wie Erbbegräbnisse von Kunstwerken.“

Till Kalischer kombiniert in Sabine Herpichs Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist Bilder und Begriffe

In ganz anderer, wenn auch ebenso kompromissloser Weise knüpft die Künstlerin Suzy van Zehlendorf 2019 in Sabine Herpichs Film Die Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist an die museumsstürmerischen Thesen der Avantgarde an, entwickelt eine künstlerische Form der Museumskritik und wettert verbal gegen das Bode-Museum, seine exkludierende Architektur und desolate Inszenierung der Skulpturen: Ziel sei die Zerstörung der Kunstinstitutionen, der direkte Angriff erfolge – so die verschmitzt schmunzelnde Künstlerin – durch Beschuss mit Dartpfeilen. Zuvor müssten jedoch die Kunstwerke aus dem unrechtmäßigen „Skulpturenknast“ befreit werden. Anstelle ihrer mangelhaften Präsentation im abgeschotteten, trostlosen Bode-Museum bevorzugt Suzy van Zehlendorf ihre museale Freisetzung im Schlosspark Charlottenburg. Aus Styropor, Holz und Papier baut sie ein Miniaturmodell des Bode-Museums, umspannt es mit Stacheldraht und gestaltet die Eingangstür so, dass sie wie eine Kerkertür aussieht. Eine Vorrichtung aus Pappe mit kleinem Guckloch ermöglicht ihr, den unerträglichen Anblick auf das zu bearbeitende Objekt zu beschränken. In einer der vielen schönen Szenen blättert Suzy van Zehlendorf im Katalog des Bode-Museums und spricht mit der Filmemacherin über einzelne Exponate und kritisierte die Isolierung der Objekte durch Musealisierung: Der Raum sei „kahl und leer“; die Präsentation „auf einem nackten Vollpfosten“ traurig. In Herpichs Film wird Kunst nicht nur produziert und rezipiert, sie wird ausgestellt und verkauft. In klaren, wenig bewegten Einstellungen beobachtet Herpich Künstler:innen bei ihrer Arbeit in der Kunstwerkstatt Mosaik in Berlin-Spandau: beim Setzen von Bleistiftstrichen, beim Sprechen mit Mitarbeiter:innen, beim Suchen nach Bildtiteln. Ihr offener Blick, der stets den auf die institutionelle Umgebung einbegreift, verlangt nachdrücklich, was eigentlich schon jedes Kunstwerk verlangt: etwas vom Betrachtenden.

Auffallend beim Blick ins Duisburger Protokollarchiv, dass nicht nur das Museum selbst, sondern auch Museumsfilme vehemente Kritik provozieren und eingebunden sind in kunstpolitische und ideologisch aufgeladene Debatten. Schnell zeigen sich Nutzen und Nachteil von Verschlagwortungen; pragmatisch erleichtern sie eine inhaltliche Suche. Doch Begriffe funktionieren nicht im Singular. Je nach Perspektive nehmen sie eine andere, mitunter gar widersprüchliche Bestimmung an – wie Karl Kraus weiß: „Je näher man ein Wort anblickt, desto mehr blickt es zurück.“ Oder desto mehr blickt der Film zurück: Er will etwas nicht auf den Begriff, nicht in den Griff kriegen, als eine (konkrete) Form, die Begriffsschärfe stutzig macht, um stattdessen etwas Inkommensurables zu bewahren. Selbst der Diskussion zum Film kann sich ein archivalisches Schlagwort nur annähern. Im Duisburger Archiv gerät der Begriff ‚Museum‘ sofort in Schattierungen, verfehlt einzelne Filme auf produktive Weise und generiert einen Überschuss. Unter den sieben Einträgen zum Museum hat die 28. Duisburger Filmwoche gleich drei, sehr unterschiedliche Filme zum Begriff zu bieten: Der Schuh Gottes (2004) von Renata Borowczak, Alles was wir haben (2004) von Volko Kamensky und Ein Besuch im Louvre (2003) von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub.

Ein „Skupturenknast“? Aus Ein Besuch im Louvre (2003) von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub © BELVA Film GmbH

Letzterem Louvre-Film liegt ein Buch zugrunde, Joachim Gasquets Gespräche mit Cézanne, ein aus Erinnerungen, Briefen und Notizen fingierter Dialog, der erst nach dem Tod des Malers publiziert wurde. Als Aneignung zweiter Ordnung haben Huillet/Straub fast alles Dialoghafte entfernt, den Text gekürzt, rhythmisiert, musikalisiert. Er wird von Julie Koltaï aus dem Off vorgetragen, während die Kamera in statischen, oft minutenlangen Einstellungen die Originale von Cézannes Malerkollegen im Louvre fokussiert. Cézannes Kommentare sind mal schwärmend voller Bewunderung, mal vehement ablehnend. Sie spiegeln nicht nur seinen Kunstgeschmack wider, sondern rekurrieren in ihrer Argumentation auf die alte Malereidebatte um den Vorrang von Disegno (Zeichnung) oder Colore (Farbe). Cézannes Abqualifizierung der Zeichnung äußert sich in kategorischer Kritik an klassizistischen Künstlern: „Ingres hat kein Blut. Er zeichnet.“ Den „Tugendbold“ Jacques-Louis David findet Cézanne am schlimmsten. Mit ihm wurde die Malerei glatt und artig, mit seiner Einführung von Schablonen, Idealfüssen und Idealhänden habe David die Malerei getötet: „Ich kenne nichts Kälteres als seinen Marat. Welch kümmerlicher Held!“ Cézannes Polemik richtet sich weniger gegen ein der Wirklichkeit entrücktes Museum, sondern er verschiebt sie auf jene Kunst, die dem Auge keinen lebendigen Eindruck zu geben vermag. Beeindruckend ist er hingegen von den „kühnsten der Venezianer“, von Tintoretto, dessen „Palette mit dem Regenbogen wetteiferte“, von Veroneses „Fülle der Idee in den Farben“ wie auch vom französischen Maler Courbet: „Ein Baumeister, ein wüster Gipskneter, ein Farbenstampfer.“ Immer wieder wendet sich die Off-Stimme mit Verve an einen imaginierten Begleiter: Mit Ausrufen oder besser Anrufungen bewegt sie sich gegen den starren Blick der Kamera.

So schlingert die eigene Wahrnehmung zwischen Sehen und Hören. Und Lesen wie dem Protokoll zu entnehmen ist: „Erst gegen Ende der Diskussion kommt aus dem Publikum die Beobachtung, dass beim Schauen des Filmes eine ständige Aufmerksamkeitsspaltung stattfindet, die Untertitel unentwegt von den Bildern ablenken und umgekehrt.“ Bevor der Hinweis auf die Dissoziation der Wahrnehmung kommt, wird in der hitzigen Debatte viel Kritik am Film geäußert: „Das Publikum hakt dann mehrmals nach: Was ist denn die Haltung des Films? Der Film handelt vom Sehen von Bildern, vom Sehen allgemein und ist letztendlich ein radikales Pamphlet gegen Theorie, Verallgemeinerungen, museale Aufbereitung. Er sagt: Sieh doch selbst! Habe einen eigenen Blick!“ Jedoch steht genau dieser eigene Blick zur Debatte: Wird er ermöglicht oder durch das selbstreferenzielle ,Straubsystem‘“ vereitelt? Anders gefragt: Wird die Kunst mit Cézanne aus einem snobistischen Kulturbetrieb befreit oder ist der Film selbst „in seiner Darstellung/Selbstdarstellung arrogant“? Am Ende des Films als sich Cézanne empört, da der von ihm verehrte Courbet im Louvre schlecht gehängt ist, kulminiert seine Entrüstung in einer museumsstürmerischen Forderung: „Wer versteht Courbet? Man sperrt ihn ins Gefängnis, in dieses Kellerloch. Ich protestiere. […] Wir haben in Frankreich ein solches Bild, und verstecken es. Wir sollten Feuer an den Louvre legen, sofort.“