Synopse
„Dear viewers, I am now editing this film“: Artem Terent’ev streift durch Kaliningrad und entwirft eine audiovisuelle Kartierung der Stadt. Halbe Häuser, blattlose Bäume und zufällige Begegnungen erzählen von seinem kürzlich verstorbenen Großvater. Aus dem Fernseher spricht Krieg. „Messer im Herzen Europas“ nannte ein amerikanischer Diplomat einst die russische Exklave. Es entfaltet sich ein Gefüge aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Armut und Militarisierung.
Protokoll
Gesehen, nicht gesehen. Gesagt, nicht gesagt. Diesen performativen Dauerzustand, bei dem thematisch zugespitzt Sujets schleifenartig durchgereicht werden, sucht man in dieser Arbeit vergeblich, was sich auch im Gespräch fortsetzt. Flüsternd betreten Menschen den Diskussionssaal, in dem das Gespräch über Zoom stattfindet und das von dem Jury-Mitglied Christiane Büchner übersetzt wird. Aus der angespannten Stille, die noch den bedrückenden Ton und die subkutanen Bilder des Films nachhallen lässt, bricht ein leiser anerkennender Applaus hervor. Dann werden noch einige Absprachen zur Übersetzung getroffen: Mischa Hedinger stellt seine Fragen auf Englisch und Artem Terent’ev antwortet auf Russisch, was durch die satzweise Übersetzung überlegt und kompakt wirkt; es bieten sich wenig Möglichkeiten zum Abschweifen.
Nach ein paar einleitenden Worten, in Anspielung auf die Übersetzung des Gesprächs, spricht Hedinger als erstes den Kommentar in Form von Untertitel im Film an, er möchte mehr darüber erfahren, wie dieser entstand. Artem Terent’ev erklärt, dass er während der Montage bemerkte, dass seine Arbeit eine weitere Reflexionsebene benötige, denn eine simple Voice-Over-Stimme wäre für ihn zu didaktisch gewesen. Die Untertitel sind in seinem polyphonen Ansatz, worin der Autor ein Zuschauer und der Zuschauer ein Autor sein soll, deshalb als vollwertige Ebene zu betrachten. Zwischen den rahmenden Untertitel-Voice-Overs beschreibt Hedinger in Bezug darauf die Dramaturgie aber als „going somewhere else“ und fragt nach dem Zusammenhang zwischen den einzelnen Filmteilen. Der Regisseur erklärt, dass der Film dem Weg zur Datscha folge, auf dem sein Großvater in einer Nacht verlorenen ging, bis er wiedergefunden wurde. Er selbst kennt den Weg seit seiner Kindheit sehr gut und habe dabei nach nichts Besonderem gesucht, sondern nur dokumentiert, was sich ihm und seiner Kamera als erfahrbare Eindrücke darbot, womit auch die selbe Zeitspanne des Großvaters, vom Tag zur Nacht bis zum neuen Tag, durchlebt werden sollte.
Am nächsten Tag hatte er das Gefühl, diesem Erlebnis eigene Assoziationen hinzufügen zu müssen. So hatte er einfach die Kamera aufgestellt, wodurch er auch die Jungen kennenlernte, die im Film zu sehen sind. Erst hätte er sie aus der Entfernung entdeckt, nach der Begegnung mit ihnen eine gemeinsame Sprache (?) gefunden, sich visuell immer mehr angenähert und sich mit ihnen darauf geeinigt, sie begleiten zu dürfen. Hedinger möchte daran anschließend nochmal über die haptische Kameraarbeit sprechen: Terent’ev wollte möglichst viel Freiheit mit seiner Kamera erreichen, was für ihn bedeutet, die Welt sage ihm, was er zu machen hätte, die Bilder entstünden im Austausch mit dem Ort. Allerdings entstehen sie auch aus seinem eigenen DIY-Verfahren, er meint seine Blackmagic Kamera, gepaart mit zwei zersägten sowjetischen Optiken.
Welche Rolle der Krieg dabei spiele, sei eine sehr schwierige Frage für ihn. Auf Kaliningrad färbe zwar alles ab, aber für ihn sei das interessante am Film, was nicht zu sehen ist, über den indirekten Weg erzähle sich das innere Russland. Ohnehin wäre ein Film nicht für direkte Aussagen geeignet, was Hedinger nochmal bekräftigt, um für das Publikum zu öffnen, das allerdings immer noch verstummt zurückbleibt. Aus diesem Grund betrachtet der Moderator den Film nochmal aus einer abstrakteren Perspektive, indem er die direkte Publikumsadressierung zu Beginn erwähnt. Ähnlich zu der Art der Filme, die den Regisseur am meisten begeistern, solche, die eine Erfahrung hervorrufen, sollte sein Film dann doch wieder so direkt wie möglich sein, heißt es von Terent’ev. Wie man merkt, kommt hier auch die korrekte Übersetzung an ihre Grenzen. Es geht dann noch weiter um die unterschiedlichen Ebenen des Films und Mittel der Filmsprache, die Terent’ev miteinander ins Gespräch bringen wollte. Michael Bautes Frage zum Anwesend-Abwesenden, die aufgrund ihrer Länge nicht ausreichend übersetzt werden kann, wird mit einem Verweis auf die schon erklärte intuitive Arbeitsweise beantwortet.
Kurz vor Gesprächsende kommen dann nochmal Fragen zu den Produktions- und Projektionsbedingungen in Russland auf. So gab es bislang nur in Moskau und St. Petersburg Underground-Vorführungen, denn in einem institutionellen Rahmen wolle der Regisseur die Arbeit nicht zeigen. Hinsichtlich der Produktion, die zum Teil auch in Deutschland und Österreich stattfand, ergänzt er, dass man Filme, die ihn interessieren, eigentlich nicht in Russland produzieren könnte. Dazu berichtet auch Felix Leitner, einer der beiden Produzenten, der im Publikum sitzt, wie der Kontakt zu Terent’ev entstand und wie die Zusammenarbeit über die Entfernung beim Mixing mit Timecode-Listen stattfand. Es wirkt, als überlasse der Regisseur nichts dem Zufall und es zeigt sich nochmal auf eine andere Weise, direkt-indirekt, wie die Umstände die Produktion bedingen. Aufgrund von Visa-Schwierigkeiten konnte er selbst nicht zur Filmwoche anreisen. Er hofft, dass das Publikum nicht von seinem Film enttäuscht sei, wovon nichts zu hören war. Eine unsicher gespaltene Resonanz, die dem Film sicher nicht gerecht wird, konnte man im Nachhinein allerdings trotzdem wahrnehmen: Mögen, nicht mögen. Gehen, nicht gehen.