Film

365 Tage im Jahr
von Dietrich Schubert
DE 1980 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 5
1981

Diskussion
Podium: Dietrich Schubert, Edith Schmidt, David Wittenberg
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Dietrich Leder

Protokoll

Zunächst wurde über den Film von Dietrich Schubert gesprochen, der eingangs die Produktionsbedingungen erläuterte und noch einmal auf die Arbeit der Schauplatz-Redaktion im WDR hinwies, für die und innerhalb der dieser Film gedreht worden war. Es standen 20 Drehtage zu Verfügung, während derer das 2-Mann-Team – Wolfgang Klein: Ton und Dietrich Schubert: Kamera – die Aufnahmen in der Eifel zu tätigen hatte.

Die Kamera war mit Fest-Optiken bestückt, sie stand zudem fast immer auf dem Stativ, nur wenige Takes waren mit Handkamera aufgenommen. Die jeweilige Kadrierung sei genau geplant gewesen, um die Arbeitsvorgänge exakt darstellen zu können. Als Beispiel führte Schubert die Szene an, in der der Stacheldraht aufgezogen wird. Hier sei es wichtig gewesen, daß die Kamera „beim Draht geblieben sei“ und nicht zur Frau geschwenkt hätte. Über die Wahl der Objektive wurde später gestritten, ein Diskussionsteilnehmer stellte einen häufigen Gebrauch von Teleobjektiven fest, die das Heranziehen dieser Nahwelt durch den Filmemacher betont hätten. Hier sei die Faszination des Städters für das Land spürbar gewesen, die andrerseits im Film nicht thematisiert worden sei. Schubert bestritt den häufigen Gebrauch einer langen Brennweite, sagte, daß das längste Teleobjektiv ein 75-mm-Objektiv gewesen sei. Ansonsten habe er mit einem Normalobjektiv gearbeitet.

Die hier aufscheinende Problematik der Beziehung zwischen Filmern und Gefilmten wurde mehrfach aufgegriffen. Es wurde beispielsweise gefragt, ob das Verhältnis zur Familie nicht vom Verwertungsinteresse – Schubert verdient sein Geld mit dem Film über die Familie – bestimmt sei. Schubert erzählte, daß er dort draußen seit Jahren wohne und daß er die Familie ebensolange kennen würde. Mit Herrn Schmitz würde er beispielsweise manche Flasche „Eifel-Geist“ leeren. Er hätte diesen Film zwar über, aber auch für die Frau Schmitz gemacht, deren Stärke ihm „unheimlich“ imponiere. Ihre Arbeit, ihre Sorgfalt, ihr Umgang mit den Tieren – all das sei ihm darstellenswert gewesen.

Problematisch sei allerdings die Veröffentlichung dieser Familie insofern, als die anderen Dorfbewohner sie als Diffamierung ihres Ortes begriffen, weil hier nicht ein Reklamebild nach außen abgegeben worden sei. Es sei aber, so Schubert, ein grundsätzliches Problem von dokumentarischer Arbeit, daß der Wunsch des Filmemachers nach „wahren Aussagen“ mit dem Interesse der Betroffenen kollidiere, ein ihnen genehmes Bild abzugeben. Mit der Familie wären alle Szenen abgesprochen worden, d. h. sie nahmen nur auf, wenn diese einverstanden waren. Der Film stieß allgemein auf Anerkennung. Ein Freund von Agrarprodukten erfuhr – so teilte er dem Auditorium mit durch den Film erstmalig, wie Milch „entsteht“. Gelobt wurde vor allem die ästhetische Unbedingtheit, mit der sich Schubert auf diese Wirklichkeit eingelassen habe. Der Film habe diese Wirklichkeit sinnlich erfahrbar werden lassen. Auch Schuberts Verzicht auf Interviews, Gespräche etc. („Die reden auch in Wirklichkeit so wenig“) fand Zustimmung. Bemängelt wurde allerdings der Origina-lTon, da man an den wenigen – und daher wichtigen – Stellen nichts habe verstehen können.

Der Diskussionsleiter wechselte mit der Feststellung, daß er gerecht sein wolle, zum anderen Film über. Doch ehe die Diskussion hierüber so recht begonnen hatte, kehrte ein Teilnehmer zu Schuberts Film zurück, indem er feststellte, daß er mit diesem „die Einführung der Idylle in den deutschen Dokumentarfilm“ betrieben habe. Diese Bilder, die an alte Bauernkalender erinnerten, könnten durchaus ihre Funktion für den Zuschauer haben, doch würde mit ihnen letztendlich eine Idyllisierung dieser Arbeitswelt betrieben.

Auf diesen Verdacht wurde in der weiteren Diskussion nicht eingegangen. Es schien aber so, als ob die Teilnehmer in ihrer spezifischen Kritik am Film von Edith Schmidt und David Wittenberg auch jeweils das herausstellen wollten was ihn am Schubert Film ge- oder missfiel. Diese wechselseitige Argumentation, die durch Missverständnisse zusätzlich emotional aufgeladen wurde, verhinderte ein detailliertes Eingehen auf beide Filme.

So tadelte einen Teilnehmer, der zwar den Schubert Film vor dem Idyllisierungsverdacht in Schutz nahm, am „Land“-Film dass dieser dialogfixiert sei. Er erläuterte den Tadel mit dem Beispiel, dass bei der Dachreparatur gesagt würde, dass die Balken krumm seien, aber genau dieser Tatbestand im Bild nicht gezeigt wurde. Auf diesen Einwand antwortete David Wittenberg mit einem interessanten Exkurs über die Differenzen im zivilisatorischen Prozess zwischen Italien und Deutschland, der sich bis in die Sprache bzw. Die unterschiedliche Funktion der (gesprochenen) Sprache der Bauern erstrecken. So erhellend der Exkurs auch war, konnte er doch nicht als Antwort oder als Erwiderung auf den Einwand gelten, dass der Film bildlich zu wenig aufgelöst sei.

Andere kritische Bemerkungen konnten hingegen von den Filmemachern relativiert werden. Beispielsweise entstanden zahlreiche Informationslücken dadurch, daß in den deutschen Untertiteln die Gespräche des Kollektivs nur verkürzt und unwichtige Elemente reduziert übersetzt worden. Von einem des italienischen mächtigen Zuschauer wurde hervorgehoben, daß zahlreiche der von den anderen Zuschauern eingeklagten Informationen – etwa über soziale Differenzen in der Gruppe, ihre unterschiedlichen Ansprüche an die Gruppe etc. – den Gesprächen, aber auch die – nicht übersetzt waren – Andeutungen oder den diversen Dialektfärbungen hätten entnommen werden können.

Die Filmemacher akzeptierten vor allem die Kritik, die sich über das Gefühl einiger Zuschauer aufbaute, daß manche Szene arrangiert worden wäre. Schmidt und Wittenberg erklärten, daß die erwähnte Szene (einer Frau wird am Marktstand die Geschichte der Kooperativen erzählt) zwar nicht von ihnen so geplant war, doch sie verstünden das Unbehagen, das diese Szene hervorrufe.

Als ein Hauptmanko des Films wurde ausgemacht, daß er die Knochenarbeit auf dem Land nicht zeige, daß er die Situation in der Kooperative idyllisiere, daß dank dieser Idyllisierung einige Konflikte in der Kooperative schlicht unverständlich blieben. Während Edith Schmidt und David Wittenberg erklärten, daß sie sich auf die Arbeitsaufnahmen konzentriert hätten, die die kommunikativen Aspekte der Landarbeit demonstrierten, konterte Regine Heuser, die den Film geschnitten hat, mit der Frage, ob nicht im Idyllisierungsvorwurf pure Angst vor Emotionen mitschwinge, die bundesdeutschen Intellektuellen so eigen wäre.

Zu den Produktionsbedingungen: Der Film wurde mit dem WDR koproduziert; er wurde an 60 Drehtagen zu verschiedenen Phasen und über einen Zeitraum von 15 Monaten aufgenommen. Die Filmemacher kannten die Kooperative bereits über Jahre hinweg, als sie mit dem Film begannen.