Film

Paradies! Paradies!
von Kurdwin Ayub
AT 2016 | 78 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
09.11.2016

Diskussion
Podium: Kurdwin Ayub
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Iris Fraueneder

Synopse

Zweckoptimismus im Rohbau des Sehnsuchtsorts: Der Wiener Arzt Omar Ayub reist mit seiner filmenden Tochter in den kurdischen Nordirak, um Wohnungen für ein diffuses Später zu besichtigen. Ein vermeintlicher Heimatbesuch zwischen seinem despektierlichen Rambogetue an der Frontline zum IS und ihrem heiteren Zwecksarkasmus inmitten einer zerrissenen Familie. 

Protokoll

Brockmann beginnt das Filmgespräch mit der Frage nach Ayubs bisherigen Filmen. Sie erwähnt darauf ihr Animationsfilmstudium und eine Arbeit, in der ein singender Knetmasse-Penis zu Rockmusik tanzende Vaginas isst. Später kamen dann Videos im You-Tube-Stil, in denen sie selbst als Protagonistin schlecht singt oder über Beziehungen redet. Diese Arbeiten waren aber nicht für die You-Tube-Rezeption gedacht, sondern wurden in Galerieräumen bzw. Kinos gezeigt. Sie sieht sie auch mehr als Spielfilmkunst denn als Performancekunst.

Der Schritt zum Dokumentarfilm war insofern naheliegend, als sie schon immer und überall gefilmt hatte. Seit acht Jahren war auch bei den Verwandtenbesuchen in Kurdistan stets ihre Kamera mit dabei gewesen.

Paradies, Paradies! war nicht von Vornherein als der Film geplant, der er am Ende geworden ist. Das Material entstammt mehreren Kurdistan-Reisen. Konzepte, es zu einem Film zu verarbeiten, hatte sie verschiedene – je nach Förderstelle. Anti-USA hat nicht geklappt. Universität wäre auch ein Ansatz gewesen, am Ende erschien ihr aber die schlussendlich gewählte, intime Variante am ehrlichsten. Zum Protagonist wurde unter den Verwandten ihr Vater erkoren, da sich in dessen Entwicklung die spannendste Dramaturgie abzeichnete. Brockmann kommt auf ihre Selbstinszenierungen zurück und fragt, was denn beim Vater gespielt sei. – Nichts, er mache das mit den Selbstinszenierungen auf natürliche Weise.

Seine nächste Frage betrifft ihre eigene Position: Wie es für sie dort ohne Kamera gewesen wäre, ob die Kamera Türen geöffnet, oder auch eine Schutzfunktion erfüllt hätte und inwiefern sie der Selbstbeobachtung und ihrer Positionierung als Frau gedient hätte. Das Dazwischen des Displays, so Ayub, hatte jedenfalls eine Selbstschutz- bzw. Distanzierungsfunktion, ob in der Familie oder an der Front. Ihr Vater hätte sich allerdings stets sehr westlich gegeben und ihr immer erlaubt, überall dabei zu sein, auch wenn es für Frauen unüblich war. Den Verwandten war sie teils eher peinlich.

Zwischen lustig und traurig – einfach skurril

Nun lenkt Brockmann das Gespräch zu den politischen Inhalten des Films und der Frage, wie man am besten im Krisengebiet filmt – d. h. zunächst schlicht, weiters wie es möglich ist, dort zu filmen, weiters wann ein Filmen im Lager in Richtung Peshmerga-Tourismus gehe, und ob die lustige Präsentation denn legitim sei.

Die Idee, Uniformen für die Soldaten zu kaufen, schildert Ayub, hatten sie gezielt verfolgt, um auf diesem Weg in das Peshmerga-Lager an die Front zu gelangen, auch wenn sie sich am Ende doch aus einer zufälligen Begegnung heraus einer anderen Gruppe von Soldaten anschlossen. Zur Frage des Lustigen antwortet Ayub, dass nicht alles dort traurig sei – halt einfach sehr skurril. Etwa die Alltäglichkeit, die sich in den Gesichtern der Soldaten in der Reaktion auf Bombeneinschläge abzeichnet, im Warten auf den Schießeinsatz. Skurril auch ihre eigene Reaktion etwa in der Farbkorrektur als sie sich bei dem Gedanken ertappt, den Rotton von Blut zu intensivieren.

Eltern – Zerrissenheit und Patriotismus

Für ihren Vater ist die Beziehung zur Heimat, seine Heimatverbundenheit, bis heute ein Kampf. Obwohl er bereits zwei Wohnungen in Kurdistan besitzt, war er seit den Dreharbeiten zum Film nicht mehr dort. Kurdwin sind die Reisen inzwischen zu heikel geworden, aber ohne sie wolle er nicht mehr hinreisen.

Britta Hartmann kommt auf Ayubs Mutter als Heimat-Anker zu sprechen, darauf, wie sie zu Beginn und Ende des Films im Bett in der Wiener Wohnung gefilmt wird, und fragt nach ihrer Rolle als strukturierende Abwesenheit im Hintergrund des Films. Ayub berichtet vom Alleine- Bleiben der Frauen, ihrer Zuschauer_innen-Position im Verhältnis zum Wahnsinn der Männer. Unter dem Strich sei aber ihre Mutter die eigentliche Patriotin der Familie. So bedeutet auch ihr Name, Kurdwin, Liebe der Kurden. Der Patriotismus der Mutter mündete jedoch mit der Flucht 1991 in große Enttäuschung. Ihr Vater hingegen sei erst nach der Flucht im Alter richtig patriotisch geworden, gebe nun dort ganz gern sein Geld aus und – ja – Made in Turkey-Etiketten auf vermeintlich lokal produzierten Klamotten passen da nicht ins Bild, sodass die Aufklärung des Fakes große Erleichterung bringt.

Roadmovie?

Joachim Schätz lobt den dichten Schnitt und das gänzliche Auskommen ohne Talking Heads. Er empfindet aber Unbehagen in der Schlussbewegung des Films an die Frontlinie, wo die Dramaturgie des Schnitts eine Road-Movie-Struktur evoziere und die Absurdität der Situation auf Spannungsmomente trifft. D. h., wenn in der Freude, endlich die Linie erreicht zu haben von der aus das Bild der Front eingefangen werden kann, ein journalistischer Charakterzug durchdringt.

Für Ayub war der Spannungsaufbau hier tatsächlich zentral. Nicht zuletzt mit dem Einschub des schönsten Arsch der Welt (dem Song, Anm.) zwischen der Begegnung mit den Soldaten im Laden und der Fahrt zur Front (Männlichkeit im Kontext der Familie / an der Front).

Am Ende stellt Brockmann die Frage, wohin uns Ayubs nächste Filme führen würden.

– Jedenfalls nicht mehr in familiäre Gefilde, das sei ihr zu brutal. Aktuell arbeite sie an einem Spielfilm über Internet-Mobbing unter Wiener Jugendlichen, für den gerade über Förderungen entschieden wird. Parallel schreibe sie an einem Drehbuch zu einem Film über Mädchen, die sich dem IS anschließen.