Film

Eine Million Kredit ist normal, sagt mein Großvater
von Gabriele Mathes
AT 2006 | 23 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
10.11.2006

Diskussion
Podium: Gabriele Mathes
Moderation: Fred Truniger
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Bilder vom Urlaub am Meer, von Ausflügen in die Berge, von idyllischen Familienfeiern. Doch dahinter verbirgt sich die Katastrophe: Der Vater übernimmt den verschuldeten Tischlereibetrieb des Großvaters, aber gegen die Konkurrenz der Massenproduktion hat er keine Chance. Der Film erzählt von der Demütigung durch die Schulden, von verderbendem Fleisch, vom langsamen Zerfall einer Familie.

Protokoll

Der Film ist montiert aus Archivmaterial oder präziser Found-Footage-Material. Konkret: Super8 Filme aus den 60er und 70er Jahren, die der Vater gedreht hat. Ungefähr 80 Prozent des Films stammen aus dieser Quelle, kommen aus dem Keller und sind Familieneigentum. 20 Prozent des Filmmaterials hat die Filmemacherin selbst Anfang der 80er Jahre gedreht. Das ist schon einige Zeit her; sie hat Distanz zu dem Material. Gabriele Mathes war 2005 auf der Diagonale und hat sich dort vorgenommen selber „etwas zu machen“. Sie hat die alten Filme gesichtet und sich gefragt, was das Material ihr erzählt. Sie hat einen Text dazu geschrieben, einen Rohentwurf. Dann ließ sie das Material digitalisieren. Sie fing wieder an zu schreiben – ein halbes Jahr – der Text für den Film entstand. Die Bilder wurden zu diesem Text montiert. Da gibt es Bilder die bebildern den Text. Das ist manchmal ganz einfach und manchmal vielleicht sogar platt oder plakativ: Text: die Tochter will von zu Hause weg. Bild: die Raubkatze im Käfig. Generell hat Mathes das Material aber eher assoziativ verknüpft. Manchmal ergibt sich eine Parallelität und manchmal macht sie „auf“: Sprache und Bild sollen auseinander laufen. Der Text erzählt eine Geschichte, er hat eine klassische Drei-Akt-Struktur. Auch ist der Text sehr streng, es werden fast nur Hauptsätze benutzt. Kurze Sätze funktionieren wie Einstellungen. Gesprochen wurde der Text von einer befreundeten Schauspielerin, die einfach besser spricht, dem Text angemessener. Es handelt sich ja auch nicht um einen biografischen Tagebuchauszug, sondern um ein Stück Literatur.

Es gibt ein literarisches Ich, sogar ein aggressives Ich, das liegt an der Geschichte. „Bei dieser Geschichte ist die Aggression klar“. Für Gabriele Mathes muss die Ich-Erzählerin nicht unweigerlich Gabriele Mathes sein – die Aggression ist die Aggression der Ich- Erzählerin. ,Denn es gibt eine Distanz, die nötig ist, genauso wie eine emotionale Involvierung wichtig ist für „das Arbeiten“. In der Montage wurde der Struktur des Textes gefolgt. Niemals wurde der Text verändert; Die Bilder mussten sich dem Text anschmiegen. Ist der Text „super“ oder erdrückt er die Bilder ohne Raum zu lassen? Sollte der Text zu dominant sein, wäre Mathes in ihrem Konzept gescheitert. Doch andererseits gibt es im Film viele Leerstellen, viele Szenen, die Raum lassen, sei es zum spekulieren oder zum psychologisieren: Bild: der Vater, der keinen Kopfball kann, bedeutet: der Vater, der scheitert?

Bedeutet die „Sexszene“, dass da noch mehr gefrorenes Fleisch im Keller liegt? Und was erkennen wir aus dir Information, dass die Tochter ihren Kopf auf den Bauch des Vaters legt? Zur Sexszene soviel: Im Film geht es um Liebe und Sexualität gehört dazu. Das klingt zu schön, denn interessanter war für Mathes das der Mann seinen Arm in Gips hat und das es in der Erzählung eine Stelle gibt in der von der Armverletzung des Vaters die Rede ist. Mathes hat lange überlegt, ob sie die Szene mit in den Film einbaut, die ihrer Erfahrung nach öfters Anlass zu Spekulation gab. Zur hilfreichen weiteren Einordnung: man sieht eine heterosexuelles Paar und der Filmausschnitt stammt aus ihrem Materialfundus.

Aber weg vom Symbole sehen, weg vom psychologisieren und der Versuch hin zu den anderen Themen. Was erzählt uns das Material? Gabriele Mathes hat Glück und Liebe in dem Material gefunden, aber nicht den Kokurs. Sie hat einen Text geschrieben und montiert. In „Eine Million Kredit ist normal, sagt mein Großvater“ finden sich Familiengeschichte, Loslösung von Familie und Wirtschaftsgeschichte, nicht auf einer analytischen, sondern auf einer affektiven Ebene. Und das ist doch schon eine ganze Menge.

Symbole werden gesehen.