Film

Die Schöpfer der Einkaufswelten
von Harun Farocki
DE/AT 2001 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 25
09.11.2001

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Essen, Schlafen, Arbeiten und nicht zuletzt Einkaufen. Als könnten wir es uns nicht anders vorstellen, wandeln wir durch Oasen der Kaufeslust. Doch hinter diesen Einkaufszentren steht eine riesige Industrie der psychologischen Verkaufstricks. Architekten, Berater-Firmen und Relaunch-Analytiker beschäftigen sich mit unserem Verkaufsverhalten. Bliebe nur noch zu klären: Muß das Knäckebrot in Augenhöhe liegen?

Protokoll

Der Begriff und die Vorstellung von Schöpfung steht im Gespräch um Harun Farockis Film Die Schöpfer der Einkaufswelten zur Diskussion. Während Deleuze (oder doch Schiller?) über die Unwahrscheinlichkeit dieses Aktes philosophiere, macht Vrääth Öhner bei den Protagonisten des Films eine Orientierung an konkreten Paramatern aus. Farocki stellt den Zusammenhang zur Kreativität her, ein Wort, das von den Schöpfern der Einkaufswelten zur Beschreibung der anzustrebenden Atmosphäre ihrer Bauvorhaben immer im Munde geführt wird. Bemerkenswert, so die beiden Herren auf dem Podium, dass im Gegensatz zum bibli- schen Verständnis des Schöpfungsaktes die Einkaufswelten unter ständigem Innovationsdruck stünden, immer wieder neu geschöpft und umgebaut werden müssen. Dass die Schöpfungen wesentlich vom Akt des Benennens abhängen, verdeutlicht Farocki mit der Frage nach dem anständigen Konsumenten, die in den Diskussionen der Protagonisten implizit verhandelt werde. Es gehe um neue Klassengrenzen und Kompetenzen, die er am Beispiel des gepflegten Capucchino (auch im österreichisch Kaffeehaus?) beschreibt. Flexible Menschen, wie wir (Diskussionsteilnehmer), seien die Adressaten, doch um als System zu funktionieren müsse Konsum immer wieder auch an ‚die anderen‘ vermittelt werden. Über die vermeindliche Konsumkrise (und hier der Hinweis auf den 11. September), die über die Behauptung von Verschleiß aber auch die Strategie des Relaunch plausibilisiert werde (angedeutet: Farockis eigene Kindheit, in der noch keine Klarheit bestand, welches die zu begehrenden Gegen-stände sind), kommt Farocki zur Wahrnehmungszuspitzung (’schöne Blicke‘ bei Ausblendung von Unorten – die jedoch in der Fotografie (vgl. THE FACE) inzwischen wieder aufgesucht werden), der die Konsumenten unterworfen seien. Schöpfung also als In- und Exklusionsprozess, stellt Öhner fest, greift das Bemühen um die Erfindung einer eigenen Identität und Geschichte am Beispiel der Gössel-Szene heraus und beschreibt diese als Versuch der BILDfindung, die immer auch für (die Präsentation vor) andere(n) gedacht sei. Im Film fehlen diese Bilder; ob diese Auslassung mit der Konkurrenz zu tun habe, in die Farocki sonst geraten wäre, will Öhner wissen. Ja, sonst würde er ja selbst junkmail herstellen; und: da geht es auch um etwas Nicht-Abbildbares; und: ein anderes Projekt über die SelbstBILDER, ein Vergleich der Architekturen der Einkaufswelten (da fällt der Protokollantin beim Schreiben auf: in Bitterfeld ging es nur um die Konsumländer), von Springbrunnen und Eingangsbereichen, würde vom Fernsehen nicht gezeigt werden, sondern müsse ein Underground-Projekt bleiben….

Farocki über seinen Ausgangspunkt: die Beobachtung, dass sich das Militär nach dem Ende des Ost-West- Konfliks ein neues Betätigungsfeld gesucht habe: Der Blick habe sich auf das eigene Volk gerichtet; wie können Gegenstände und Menschen besser repräsentiert und computerisiert werden; wie dadurch Räume besser beherrscht werden? Eigentlich habe er einen Film nur mit diesen Computerauswertungen (z.B. wie verändern sich Schritte der Konsumenten durch Muster auf dem Boden) machen und dadurch die geplanten Projekte der Schöpfer verschwinden lassen wollen. Doch ((eiser Spott über das Verfahren der empirischen Mallforschung (unterbezahlte Studentenjobs, Anzahl d. Befragten usw.), auf deren Grundlage enorme Investitionen getätigt werden: so ernst kann die Lage nicht sein!!!): das Material gibt wenig her, wird nicht aufbewahrt usw. Zur Differenz zwischen deutsch/österreichischer (Planung, Kommunikation) und US- amerikanischer (Computerauswertung) quantitativer Mallforschung im Film: hier handele es sich nicht um eine Aussage zur Forschungslage, vielmehr um ein Ergebnis der geografischen Vorgaben.

Was bedeutet der Fokuspunkt für dich? will Öhner von Farocki wissen. Diese (auf einen Bierdeckel passenden) Überlegungen vergleicht Farocki mit Regeln der Filmproduktion (die, wie auch Syntaxregeln, eine Herausforderung darstellen….). Auch im Gespräch über Architektur, die trotz zunehmender Aufmerksamkeit für den Körper in der Wahrnehmungs-theorie immer noch wie im 19. Jahrhundert visuell gefasst werde, zog er diesen Vergleich heran: Warum die Einkaufs- nicht wie die Illusionswelten und Kulissen einfach schäumen oder aus Pappmaché bauen? Um Funktionen gehe es in den Projekten scheinbar sowieso nicht.

Ob es eigentlich eine Möglichkeit gebe, will ein Diskutant wissen, den intellektuellen Diskurs der Schöpfer, der Gegenstand von Farockis Betrachtung sei, noch durch eine Metasprache zu toppen? Schließlich benützen die Protagonisten genau die Begriffe, die man zur Analyse selbst heranziehen würde. Durch Worte (voice over Kommentar) und Montage sei das sicherlich möglich, überlegt Farocki und beschreibt einige Probleme seines Films, die den Eindruck entstehen lassen, er sei selbst nicht ganz zufrieden: kein fester Korpus, doch eine längere Studie? Nummerncharakter, unsaubere Anknüpfungsstellen…

Als Öffnung einer bisher verschlossenen Welt („kaltblütige Männer“) lobt ein Zuschauer den Film und fragt nach der Materialbeschaffung. Farocki berichtet über Zufälle und absurde Geheimniskrämerei (als ob nicht jeder sehen könnte, wie die Produkte in den Regalen ange-ordnet sind…), Selbstdarsteller und Fernsehdeformationen. Er habe keine spezifische Methode; die Kunst sei: zu sehen, wenn etwas passiert (und die Herstellung des Zusammenhangs).

Um die imperialen Gesten der Einkaufsweltplaner geht es, und die Frage, ob sich in ihnen militärisches Denken manifestiere. Die Militärs haben andere Sehhilfen, weist Farocki diesen Zusammenhang ab. Dass immer über das Sehen gesprochen werde, so Farocki, liege vielleicht auch daran, dass es für die Planung der Malls keine wirklich sicheren Kriterien gebe. Überlegungen, wie sie für die Industrieproduktion angestellt werden (Taylor, Ergonomie usw.), gebe es höchstens beim Einräumen von Supermarktregalen.

Ein Lob für die Auflösung der Situationen, für das Einfangen eines zufriedenen Lächelns nach getroffener Entscheidung, das zeige, dass es bei den Scheingefechten nur um die Legitimation gehe, einen Auftrag zu vergeben. Auch hier ein Vergleich mit der Filmproduktion: je größer das Projekt, um so mehr verflüchtige es sich ins Vage. Aber auch, so Öhner: je kleiner ein Problem, um so unlösbarer werde es, während die Lösung der großen Frage immer schon bekannt zu sein scheine.

Angeknüpft wird auch an das die Duisburger Diskussionen durchziehende Thema zur Visuali-sierbarkeit von Strukturen: Schöpfer der Einkaufswelten beinhalte die Aussage, dass nicht der Film für die Sichtbarmachung zuständig sei, sondern der Kapitalismus das schon übernehme. Farocki stimmt zu: Ihn interessiere weniger die Schattenseite der Dinge (vgl. Dokumentarfilm), sondern deren Selbstausdruck (mit dem man sich natürlich nicht zufrieden geben dürfe). Ob man damit dem Kapitalismus nicht immer zwei Schritte hinterher sei? Farocki: zwei Schritte wären schön! Vieles was passiert haben wir noch nicht einmal be-griffen…. Die Idee, sich souverän äußern zu können, sei ihm sehr fremd…. Und die Frage nach der Darstellbarkeit kommunikativer Prozesse? Da gibt es undarstellbare Dinge (was passiert eigentlich in Computerfirmen, außer dass Turnschuhtypen Kaffee trinken?), die von Selbstdarstellern erzählt werden, die jedoch selbst wieder verschobene Repräsentanten (vgl. Politiker) sind. Ins Zentrum dieses heiklen politischen Problems vorgestoßen, zog sich die Diskussion auch schnell wieder daraus zurück: Ob er neue Erkenntisse gewonnen oder bereits Erwartetes vorgefunden habe? Er sei über die Weichheit der weichen Faktoren, die merk-würdige Unorganisiertheit dieses tribes und die Unklarheit der Auskünfte erstaunt gewesen. Er selbst fühle sich nun jedoch als Experte. Damit könne er doch nun Geld verdienen, so ein lustiger Einwurf aus dem Auditorium, …müsse sich jedoch auch gut anziehen, Farockis Erwiederung zurück.