Synopse
Eine Reise durch ein bedrängtes Land, vorbei an fragilen Siedlungen und improvisierter Infrastruktur. Gaza im Jahr 2001. Kamal Aljafari ist auf der Suche nach einem Mann, mit dem er nach der ersten Intifada im Gefängnis saß. Sein Fahrer und Guide ist Hasan. Gemeinsam sehen sie israelische Panzer, die im staubigen Dunst warten, und von Raketen zerstörte Quartiere. Aber auch: belebte Märkte und Cafés, Palmenplantagen und Olivenhaine, Kinder in Schuluniform. Flüchtige, auf MiniDV eingefangene Momente einer Wirklichkeit, die unwiderruflich verloren ist.
Protokoll
Seltsam wäre es von Regieführung zu sprechen, wenn man Dokumentarfilme macht, meint der Filmemacher Kamal Aljafari auf die Frage von Patrick Holzapfel, warum im Abspann “a film conceived by …” steht. Für Aljafari hängt das Filmemachen oder Dokumentieren nämlich vor allem von Zufällen ab, also den Menschen und Orten, denen er begegnet. Conceiving beziehungsweise Konzipieren, was er ursprünglich bei einem Film von Apichatpong Weerasethakul zum ersten Mal las, drückt dahingehend aus, dass sein Film aus unterschiedlichen Quellen zusammenfließt. Er meint damit insbesondere die Arbeit an der Musik zusammen mit Simon Fisher Turner. Aber man könnte auch an Hasan denken, der Aljafari selbst in manchen Szenen geradezu dirigiert hätte.
Im Film sagt Hasan noch, dies sei eine Dokumentation, die erst in vielen Jahren erscheinen werde – etwas, das für Holzapfel geradezu unheimlich wirkte. Aljafari teilt dieses Gefühl und stellt selbst immer wieder fest, welchen eigenartigen, inneren Logiken das Leben folgt. Jedoch gibt er an, dass es ursprünglich nicht seine Absicht war, einen Film zu machen. Eher wäre es gewissermaßen eine Recherche gewesen, denn primär wollte er seinen Freund finden, wie man auch im Film erfährt. Über zwanzig Jahre lang hatte er die Kassetten nicht mehr angesehen und dabei nicht nur vergessen, dass sie existieren, sondern auch wie er das Material damals selbst aufnahm. Eigentlich suchte er zum Zeitpunkt des Funds in seinem privatem Archiv nach etwas ganz anderem, plötzlich wären ihm dann aber drei nicht wiederzuerkennenden Beschriftungen aufgefallen. Aber ohne die Beschriftung hätte er das Material sicherlich bis heute noch nicht gefunden. Deshalb betont Aljafari in Richtung Publikum, das wichtigste sei, Dinge immer sofort zu notieren. Zur Arbeit am Mythos des Found-Footage-Genres gehört aber auch, dass das Material angeblich genau zum richtigen Zeitpunkt auftauchte, zumindest in den Augen von Aljafari.
Als Grund dafür, warum das Material so wenig geschnitten wurde, nennt der Filmemacher das Gefühl, es handele sich schlichtweg um ein Dokument, das für sich selbst spricht und an dem nicht mehr viel verändert werden musste. Einzig eine etwa vierzigminütige Passage am Anfang des Tages und ein paar kleinere Szenen wären im Film nicht zu sehen. Zwar sei der Film sehr roh, aber er könne sich für diese eigenwillige Ökonomie begeistern, eine Freiheit, die er auf andere Weise unlängst bei Pasolini wiederentdeckt habe. So bezog sich die Bearbeitung des Materials dann vor allem auf die Arbeit an der Musik und die Arbeit am Text. Aljafari spricht hier sehr klar über das Anliegen seines Films: Unwillkürlich rufe der Film Fragen hervor, was mit den Menschen, die darin zu sehen sind, heute sei. Seine Arbeitsweise bestünde aber gerade nicht darin, direkte Verbindungen zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem zu ziehen, sondern einen Raum für Imagination zu schaffen, den das Publikum selbst füllen muss. Der Film beinhalte eine Erinnerung, eine vergessene, allerdings keine Information, das könnte man im Fernsehen haben.
Die abschließende Textsequenz des Films, die auch am Anfang sein könnte, wie Holzapfel anschneidet, bezieht sich dabei stark auf das Moment des Vergessens. So berichtet Aljafari nochmal davon, er hätte den Eindruck gehabt, das Material sei gar nicht sein eigenes, bis er sich in den Bildern auf einmal auch selbst wiederentdeckte. Mit dem Material umzugehen sei fast so gewesen, als hätte er mit einem Fremden gesprochen. Für ihn als Filmemacher, der schon immer wieder mit Found-Footage arbeitete, ist die Erinnerung vor allem an ein Bild geknüpft, das erst gefunden werden muss. Den selben Prozess wollte er auch das Publikum erfahren lassen, in dem die Erzählung ganz zuletzt im Film erscheint und dann den Bildern einen bestimmten Rückhalt liefert, nachdem sie so lange offen sichtbar waren. Damit glaubt er, einen Weg gefunden zu haben, wie das Publikum den Film nach dem Ende nochmal sehen wollen würde.
Hinsichtlich der Musik hebt Aljafari die nostalgische Färbung der eingesetzten Songs hervor, was man auch politisch lesen könnte, allerdings war das der Versuch, dies durch die Verzerrungen der Komposition zu durchbrechen. Wenn man in der Kunst zu viel ausspreche, würde man die Möglichkeiten der Vorstellungskraft begrenzen, präzisiert der Filmemacher dann nochmal. Das gelte auch für die Graffitis an den Gebäuden, deren Bedeutung er nicht übersetzen wollte, denn als Zuschauer oder Zuschauerin könne man sich schon vorstellen, was dort steht. Aus dem Publikum meldet sich dann eine Frau und möchte über die im Film wiederholt erlebte Sorge sprechen, die Kamera könnte an den Checkpoints mit einer Waffe verwechselt werden. Daraufhin erzählt Aljafari von seiner Arbeit mit der Kamera, die nicht zuletzt auch mit seiner eigenen Unbedarftheit zu tun hatte. Damals benutzte er zum ersten Mal eine Kamera selbst; wenn man älter wird als Filmemacher, treffe man dann nur noch falsche Entscheidungen. Man kann den Eindruck gewinnen, die Kamera wäre geradezu autonom, jedenfalls nicht menschlich, wie Mischa Hedinger bemerkt.
Anders als bei Musikern und Musikerinnen könnten Filmemacher und Filmemacherinnen nicht wirklich kollaborieren, meint Aljafari, denn einer oder eine wolle immer irgendwie Regie führen, ihm gefalle es hingegen, die Kamera in andere Hände zu geben. Es ist erstaunlich, wie im Laufe der Woche (womöglich dank des gesonderten Programms) dieses Jahr auf der Filmwoche über Musik gesprochen wurde. Die Relevanz des Themas könnte etwas mit dem Hinweis des Filmemachers zu tun haben. Gleichzeitig erschließt sich die Differenzierung von Film und Musik nur, wenn man auch über ihre jeweilige Präsenz spricht. Aljafaris Filmminimalismus könnte insofern auch davon erzählen, dass es sich hier womöglich gar nicht um einen Film, sondern eher eine Erinnerungsperformance handelt, die in Form eines projizierten Dokuments erscheint. Was Dokument oder Film, gar Dokumentarfilm sein soll, fragen sich gegen Ende der Filmwoche nicht wenige, ohne eine Antwort darauf geben zu können. Manches spricht für sich.