Film

Palliativstation
von Philipp Döring
DE 2025 | 245 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49
04.11.2025

Diskussion
Podium: Philipp Döring
Moderation: Serpil Turhan
Protokoll: Caroline Schöbi

Synopse

Die Palliativstation im Berliner Franziskus-Krankenhaus ist ein Ort des Übergangs, an dem die letzten Schritte verhandelt werden. Was macht die Schmerzen erträglich? Wo endet das Leben? Wie Abschied nehmen? Mehrere Monate dreht Philipp Doering in den Krankenzimmern, auf den Gängen, in den Besprechungsräumen. Biografien, vom Ende her gelesen. Pflege und Zuwendung, Verzweiflung und Akzeptanz. Eine Institutionsbeobachtung, die deutlich macht: Jedes Sterben ist anders.

Protokoll

„Danke für die vier Stunden – genau für die“. Viele im Raum scheinen diese Meinung zu teilen, denn gedankt wird Philipp Döring für sein Dokumentarfilm-Debüt an diesem Abend gleich mehrmals: dafür, dass er mit seinem Film einem Berufsstand ein Denkmal gesetzt habe; dafür, dass er mit der Palliativstation des Berliner Franziskus-Krankenhaus einen Ort zeige, wo Menschen einander wirklich zuhören würden – „was vielleicht das ist, was man erwartet“, äußert eine Person aus dem Publikum, aber nicht das, was sie selbst in einer ähnlichen Situation als Angehörige erlebt habe. Deswegen mache der Film Mut – „danke auf jeden Fall!“.

Das Teilhaben an den intimen Geschichten und Begegnungen wirkt im Raum nach und bewegt das Publikum nicht nur dazu, von persönlichen Erfahrungen zu erzählen, sondern auch, beim Regisseur nach solchen zu fragen: Bestimmt hätte der Film auch bei Philipp Döring selbst einiges verändert oder in Bewegung gebracht; worin sich dies zeige, möchte eine Person wissen. „Mir hat’s Angst genommen“ antwortet Döring bestimmt; die persönliche Angst vor dem Tod sei natürlich nicht einfach verschwunden, sie werde nun aber von einem Gefühl begleitet, dass man über den Tod und das Sterben mit anderen sprechen könne; dass man damit nicht komplett allein ist. Eine Angst, die – wie Döring erzählt – am Anfang des mehrjährigen Filmprojekts steht: Ein Onkel habe die Zeit vor seinem Tod in einem Hospiz verbracht und trotz starker Schmerzen seine Fröhlichkeit und seinen Lebensmut nie verloren; „das war für mich unvorstellbar; wie man in einer solchen Situation so durchhalten kann, so eine Freude behalten kann“.

Ein anderer Ansatz hätte mit dem Theater zu tun, ein Feld, in dem Döring selbst tätig war; insbesondere habe ihn die Arbeit im Team fasziniert – wozu schließlich auch die ziemlich krassen Hierarchien gehören würden, die diese Zusammenarbeit strukturierten. Parallelen zum Gesundheitsbereich sind augenfällig, was mit Blick auf den Film – die Wahl und Gewichtung der Protagonist:innen – zu kritischen Nachfragen anregt: „Mir ist aufgefallen, dass ich mehr und mehr das Gefühl hatte, ein Porträt des charmanten Oberarztes zu schauen“, schildert eine Person aus dem Publikum; es hätte sie überrascht, wie wenig sichtbar Pflege- und Reinigungskräfte im Film wären. Dass der Film die ärztliche Hierarchie nicht zu unterlaufen vermag, sieht auch Döring: „Ich gebe dir total Recht“. Die Entscheidung, sich an den Oberärzten zu orientieren, hätte verschiedene Gründe gehabt: Zum Beispiel wollten einige der Pfleger:innen nicht gefilmt werden, andere wiederum wären in Leasing-Verträgen angestellt gewesen. Zudem sei es schwierig gewesen, über den Arbeitsalltag der Pfleger:innen die für den Film entscheidenden Momente überhaupt mitzukriegen; das Pflegepersonal würde im Vergleich zu den Ärzt:innen zwar viel öfters nach den Patient:innen schauen, meistens aber nur für wenige Minuten in den Zimmern bleiben.

„Ich habe auch durch deinen Film erst verstanden, was Palliativpflege wirklich bedeutet“, schildert Serpil Turhan ihre Seherfahrung und fragt sodann nach der Herangehensweise – dem Ineinandergreifen von Mensch und Institution. „Ich dachte, es würde mehr ein Institutionsfilm werden“, erklärt Döring. In diese Richtung sei aber nicht so viel passiert – und dann kam Corona. Schlussendlich habe er versucht, den Menschen und dem Ort mit einer Offenheit entgegenzutreten und auf sein Bauchgefühl zu vertrauen. Im Weiteren bezieht sich Turhan auf die Eröffnungsszene: eine gut acht Minuten dauernde Einstellung, in der wir ein Gespräch zwischen Chefarzt und (im Bild nicht sichtbaren) Patienten aus der Distanz – durch die Tür des Krankenzimmers spähend – mitverfolgen. Die Kamera würde den Menschen mit zunehmender Filmzeit immer näherkommen, beschreibt Turhan, woraufhin Döring ausführt, dass früh gedrehtes Material tendenziell in der ersten Hälfte des Films untergekommen sei – „als Regisseur bin ich mit dem Film erwachsen geworden“. In diesem Zusammenhang spricht Serpil Turhan einen weiteren Aspekt der Montage an, den sie auch beim wiederholten Schauen irritiert hätte: Schnittabfolgen, in denen das Sprechen mit und über Patient:innen direkt aufeinander montiert wäre – diese Sequenzen, die eine eher fragmentarische und lose Erzählstruktur verlassen, würden ein anderes Gefühl bei ihr als Zuschauerin erzeugen. Döring führt diese Form zum einen auf die Dramaturgie des Films zurück – eine Dreiteilung, die er mit „Sterben“, „Tod“ und „Weiterleben“ umschreibt – und zum anderen auf die Fälle, die Geschichten an sich. Als Zuschauer:in brauche man natürlich Verschnaufpausen; man müsse sich aber auch auf die eigentlichen Szenen konzentrieren können, Zwischenbilder hätte es – so sein Gefühl – immer weniger gebraucht.

Wieso denn eigentlich vier Stunden, will eine Person wissen. Weil das für einen Film „gerade noch so gehe“, meint Döring. Das Publikum lacht. Und außerdem finde er persönlich das alles sehr interessant; „deshalb habe ich gedacht, wenn dir keiner sagt, das ist zu lang, dann kannst du’s auch so lassen“.