Synopse
Nackte Pobacken, zärtlich gestreichelt vor Alpenpanorama: innige Liebe in Südtirol. Doch was, wenn vermeintlich geteilte Werte auseinanderdriften? Matthias Lintner filmt sich und seinen Freund Sadiel, der sich, enttäuscht vom kommunistischen Kuba, politisch zunehmend nach rechts bewegt. Zwischen Protestaktionen und hitzigen Videocalls mit anderen Aktivist:innen vollzieht sich eine Radikalisierung, die die Beziehung der beiden in die Krise stürzt. Matthias hält fest – an seinen Überzeugungen und an der Liebe zu Sadiel.
Protokoll
Es ist eine fast surreale Erfahrung, im Filmforum am Dellplatz die letzten Minuten des Eröffnungsfilms der 49. Duisburger Filmwoche zu sehen: Der Abspann von „My Boyfriend El Fascista“ ist ein mit kubanischer Musik untermalter Ausflug ins von Kinderfotos bevölkerte VFX-Weltall, ein audiovisuelles Erlebnis, durch das ich mich plötzlich auf einem anderen Festival in einer anderen Realität wähne. Ein Auftakt, der sicher noch einen Moment nachhallen wird.
Nichtsdestotrotz herrscht im Anschluss eine etwas träge Stimmung im Diskussionssaal, das Publikum hat schließlich zuvor schon allen erdenklichen Interpretationsmöglichkeiten des Festivalmottos „HALT“ gelauscht. Auf dem Podium sind Mischa Hedinger und der Filmemacher Matthias Lintner, im Publikum sitzen der Schnittmeister Ginés Olivares und der Protagonist Sadiel Gonzalez. Hedinger beginnt das Gespräch damit zu bemerken, MY BOYFRIEND EL FASCISTA sei ein sehr körperlicher Film, in dem die Protagonisten sich nackt und verletzlich zeigen und das Politische auch auf die Körper übergeht. Er möchte wissen, welche Rolle der Körper im Film spielt. Lintner zeigt sich erfreut, weil er lange dachte, der Film sei zu sprachlastig. Das Körperliche sieht er im fehlenden Abstand zum Verhandelten, dem sich hineinbegeben „mit Haut und Haar“. So fungieren die nackten Pobacken gleich zu Beginn auch im übertragenen Sinn als ein „Hosen runterlassen“.
Der Film wirke dramaturgisch sehr gebaut, merkt Hedinger an. Das komme unter anderem durch Lintners Selbstinszenierung und gewisse Szenen, die initiiert anmuten – als hätte er sich vorher überlegt, was passieren sollte. Er fragt, wie diese Szenen entstanden sind und wie der Privatalltag zum Filmalltag wurde. Der Regisseur erklärt, dass es für ihn vor allem sehr wichtig ist, durch ein flexibles Kamerasetup jederzeit einem Drehimpuls folgen zu können. Dann stelle sich im Laufe der Zeit natürlich eine Erwartung ein, die immer mehr in den Drehprozess einfließe. Man studiere sich gegenseitig und versuche den anderen zu überlisten, dieses „Katz-und-Maus-Spiel“ müsse es beim Arbeiten auf Augenhöhe auch geben.
Hedinger möchte es genauer wissen: Was bedeutet das konkret? Welche Modi gab es beim Filmen? Lintner betont, dass er sehr „aus dem Bauch heraus“ arbeite, es gab daher nie einen Plan, was gesagt werden soll. Sein Geheimnis sei es, ganz viel Zeit mit den Protagonist:innen zu verbringen, um deren Verhalten antizipieren zu können.
Lintner ist als Liebhaber, als Protagonist, als Regisseur und als Kameramann gleichzeitig im Drehprozess, weshalb sich der Moderator fragt, wieviel Kontrolle er noch hat, wenn er vor der Kamera steht. Es sei eine schizophrene Position, zwischen Gespräch und Kamera, beschreibt der Filmemacher, die sich nicht ganz frei anfühle. Hedinger lässt nicht locker, zum Inszenierungsstil des Regisseurs nachzuhaken und möchte wissen, ob es schon beim Drehen ein Gefühl für Timing und Humor gegeben hätte, ein Bewusstsein über die Szenen, dass ihn beispielsweise schon an „Reactionshots“ hätten denken lassen. Wieder beruft sich der Regisseur auf das „aus dem Bauch nehmen“ und betont, dass viel an Rhythmus und Witz im Schnitt entstanden sei. Er versuche jedoch beim Drehen, viele Angebote zu machen und seinem Spieltrieb zu folgen. Um sich Freiheiten zu lassen, habe er auch seine Methoden immer wieder verändert.
Hedinger möchte dazu die Perspektive des Protagonisten hören und ob dieser sich manchmal manipuliert gefühlt hätte oder als wolle Lintner etwas von ihm bekommen. Sadiel verneint, manipuliert habe er sich nie gefühlt, auch wenn die Kamera zu Drehbeginn für ihn ominpräsent war und er nicht wusste, wann sie lief. Im Prozess des Filmens hat er das jedoch besser einschätzen können und es war auch immer klar, dass er durch Handzeichen die Aufnahme abbrechen kann, auch wenn er das nie getan hat.
Auf die erneute Frage des Moderators nach der Gebautheit des Films und seiner narrativen Achse erklärt der Regisseur wieder, dass davon viel im Schnitt entstanden ist, die Wahlen habe er beispielsweise nicht vorab dramaturgisch eingeplant. Er habe eine Form gesucht, die „man kennt“. Zugunsten der Geschichte und des Inhalts wollte er nicht versuchen, formal revolutionär sein, sondern sich für eine klassische Form entscheiden. Schmunzelnd schließt er, er wolle jetzt die alte Diskussion zu Form und Inhalt nicht wieder aufwärmen, aber mache das was er sagt Sinn? Hedinger bejaht und konstatiert, in dem Spannungsfeld von Privatem und Politischem interessiere sich Lintner in seinen Augen mehr für das Private als für das wirklich Politische. Das habe ihm schon auch Unbehagen bereitet, dass die kubanische Geschichte und die aktuelle politische Situation nicht ausführlicher erklärt, sondern zugunsten der „Romantic Comedy“ in den Hintergrund gerückt werden.
Auf eine breit gefächerte Publikumsfrage hin holt Lintner kurz zu seiner Filmphilosophie aus: Er mag es, nicht von Anfang an zu wissen, wo es hingeht, denn für ihn ist ein Film ein Vehikel, um etwas herauszufinden. Er kehrt zur Frage nach dem Verhältnis zwischen Privatem und Politischem zurück und bekräftigt seine Entscheidung für die Liebesgeschichte als guten Drehpunkt des Films. Diese sei anschlussfähig und der Anspruch wäre ohnehin nicht, die kubanische Geschichte und die politische Situation wiederzugeben, das mache „ein Fass auf, was man nicht füllen kann“. Vor der Filmvorführung hatte er bereits darauf hingewiesen, dass die Zuschauenden dazu eingeladen seien, sich gemeint zu fühlen und eine Haltung zu entwickeln. Darauf kommt er jetzt zurück und betont, dass das Publikum zum Nachdenken aufgefordert sei und er hofft, dass das eine Qualität seines Films ist. Hedinger kommt auf die verschiedenen, bisweilen spielerischen filmischen Modi zu sprechen: Die collageartigen mit Musik unterlegten Sequenzen, der Abspann, die Montage des Fidel Castro-Archivmaterials mit den Armutsbildern aus dem heutigen Kuba, was fast wie ein Propagandavideo anmute. „Warst du mal auf Kuba?“ entgegnet der Regisseur und beteuert, man könne zwar sagen, das sei plakativ, aber er habe hinter die Tourismusfassade gefilmt und es sei so plakativ. Er können jede:n nur einladen, sich das selbst anzuschauen.
Eine Person aus dem Publikum lobt die verbale Zurückhaltung Lintners im Film und seine Suche nach etwas Drittem, einem Dazwischen von Links und Rechts. Der Regisseur betont, dass er durch seine Zurückhaltung Angebote mache und die Zuschauenden gebeten sind, selbst Denkarbeit zu leisten. Es hätte auch schon die Kritik gegeben, dass er Sadiel nicht stark genug kontere. Er glaube jedoch, dass er sich schon genug durch den Film an sich positioniert und es auch durchaus Kommentare in MY BOYFRIEND EL FASCISTA gibt, in denen er Stellung bezieht. Aus dem Saal meldet sich Alexander Scholz zu Wort und beschreibt, wie der Filmemacher Sadiel durch die Arbeit im Hotel einführt und dann später zwischen den beiden ein Disput übers Bildermachen entsteht. Für ihn steckt darin die Frage, welche Art von Protest man sich leisten kann. Er möchte wissen, ob Lintner auch mal die Idee hatte, seine Position, die Klassenverhältnisse und die Hierarchie präsenter zu machen. Der Regisseur verneint, er ist der Meinung, seine Position sei dem Film schon eingeschrieben und das Klassending schwinge mit, insbesondere im letzten Streit. Hedinger wirft ein, vielleicht sollte die Frage an Sadiel adressiert werden und ergänzt, dass viele Bilder im Film die „power dynamics“ zeigen, beispielsweise das Versöhnungsgespräch, wo er Lintner durch sein Outfit und die Interaktion mit den Pferden wie einen Hacienda-Besitzer wahrnimmt.
Hedinger fragt, inwiefern die Machtdynamiken auch im Schnittraum vorhanden waren und was das Recht Sadiels war, zu intervenieren. Der Protagonist erklärt, dass Lintner von Anfang an klar gesagt hat, dass er der Regisseur ist und er sich gern Sadiels Meinung anhört, es aber sein Film bleibt. Damit war Sadiel einverstanden, auch weil er wusste, dass Lintner sensibel ist und er nichts zu verlieren hat. Im Drehprozess habe er zudem auch Widersprüche in sich entdeckt. „Widersprüche“ greift Hedinger auf, sei ein gutes Wort, um es in die nächsten Tage mitzunehmen und entlässt das Publikum in die Nacht.