Synopse
Körniges Super-8-Material trifft auf verwackelte Handyaufnahmen, heimliche Ausgelassenheit auf Gewaltakte der Polizei. Aus Farahnaz Sharifis Sammlung gefundener Filmrollen, Internetvideos und persönlicher Aufnahmen fügt sich ein Kaleidoskop des politischen Protestes im Iran. Ein Archiv kollektiver Erinnerungen, das mehrere Jahrzehnte Kontinuität der feministischen Protestbewegung umspannt: Freundschaft, Tanz und der Akt des Filmens als Praktiken des Widerstands.
Protokoll
Wie das Leben im Exil die eigene künstlerische Praxis beeinflusst, wird deutlich, wenn der Zugriff auf die eigenen Bilder verwehrt bleibt. „My Stolen Planet“ von Farahnaz Sharifi arbeitet mit diesem Bild- und Heimatverlust, in dem es verlorenes Material anderer bewahrt und damit ein Archiv widerständiger Alltagsgesten bildet. Das Gespräch kreist um diesen Komplex, der die Form bestimmt.
Doch anstelle der Filmemacherin, die krankheitsbedingt nicht in Duisburg sein kann, ist die iranische Künstlerin und Medienwissenschaftlerin Sarah Savalanpour aus ihrem Hamburger Exil per Videogespräch zugeschaltet. Sie spricht als Freundin, die Sharifis Werk nahesteht und erzählt, wie der Prozess des Filmemachens begann und über Sharifis Begehren und Enthusiasmus mit ihrem Archiv zu arbeiten, in denen sie nach den kleinen, alltäglichen Dingen suche, im Staub der Bilder, zu denen sie ihre eigenen Aufnahmen hinzugibt. Wie im Film beschrieben, war Sharifi während der Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung der privaten Festplatten bereits in Deutschland als artist in residency, wo sie dann bleiben sollte, die Festplatte noch immer konfisziert; „in the hand of the other“.
Hier wird das Othering des iranischen Regimes umgedreht, entsprechend Sharifis Filmtext („mein Planet, deren Planet“), in dem ihre Gegen-Bilder und die Tausender Frauen keinen Platz haben. Die räumliche Aneignung, die damit evoziert wird, trifft sich mit der Freude, dem Widerstand der Tänze und der Zeit mit den Freund:innen. Eine Freiheit, die Koppe in der Montage erkennt und erfahren möchte, wo dieser Prozess begann. Als found footage Film war zuerst der Text da, dazu wurden die Bilder gefunden und der Text angepasst, wenn es nötig war. Savalanpour spricht über den Zugang zum Material und betont die Rolle der Konsument:innen in Bezug auf „das Archiv“. Sie erkennt es als einen zivilen Journalismus an, „as a citizen journalism“. Das Archivmaterial als strukturierendes Element und die flüchtige Qualität des flackernden Super-8 wie der verschwommenen Smartphone Videos, also deren Materialität, trete der Auslöschung von Erinnerung entgegen, so die Moderation.
Spannend ist ihr archivarischer Ansatz, der sich einer traditionellen Verschlagwortung (zum Beispiel nach zeitlichen Kategorien) widersetzt, sondern Dinge thematisch sortiert. Koppes Nachfrage, ob Sharifi ihre Archivpraxis als eine aktivistische ansieht, beantwortet Savalanpour mit Verweis auf die Nutzung der Kamera als Tagebuch, womit sie Momente ihres Lebens sammelt. Die Frauen so zu filmen oder zu einem Konzert zu gehen, ist mit Blick auf die Situation im Land bereits ein politscher Akt. Der Körper werde zum lebenden Archiv, ein „living archive“, den Sharifi im Film auch so benutzt. Auf Koppes Beschreibung dieses feministischen Widerstands folgt eine Publikumsfrage zum Zeigen der Gesichter als eine Form des Aktivismus und dem Umgang im Film damit. Es ist eine ethische Frage, weshalb Sharifi alle um ihre Erlaubnis gefragt habe – nur bei einer Person war dies nicht möglich und erklärt deren Unkenntlichkeit.
Durch das Setting des Videogesprächs scheint die Fragerunde aus dem Publikum etwas verstellt, die Fragenden müssen neben Moderatorin Koppe vor den Laptop ans Mikro treten, während die Gesprächspartnerin groß auf der Leinwand erscheint. Eine Nachfrage zur Musik bringt Savalanpour auf die Zusammenarbeit am Film im Allgemeinen zu sprechen: Es seien Freund:innen und Menschen dabei, nach denen Sharifi suchte, die den gleichen Kampf kämpfen, „the same struggle“. Eine weitere Publikumsfrage bezieht sich auf die Zirkulation und den Verbleib ihrer Filme. Sie hätten ihr Publikum gefunden und Sharifi ihren Lebensunterhalt mit ihrer Filmarbeit bestreiten können. Die Möglichkeit im Iran unabhängig Filme zu produzieren und zu zeigen, werde erst in der Verbindung von Beruf und Aktivismus problematisch, also im Dokumentarfilmmachen schlechthin. Wer so nicht arbeite, könne auch dort davon leben. Die im Film erwähnten festgenommenen Dokumentarfilmerinnen, mit denen Sharifi auch einen Film drehte („Profession: Documentarist“, 2014), befänden sich mittlerweile ebenfalls im Exil.
Auf einen unbedarften Kommentar eines Zuhörers über die Dokumente der Gewalt (man sieht Erschießungen, Schüsse auf Filmende), die in Europa so nicht zustande kommen würden, reagiert Sarah Savalanpour weiter gelassen freundlich. Sie möge die Debatte, denn diese Bilder aus den sozialen Medien seien relevant und verweisen auf Sharifis Vorgehen, dieses Material durch ein anderes Seitenverhältnis zu markieren, das ihre Bilder nicht haben. Für die Regisseurin war es wichtig, diese im Film zu haben; man könne sie nicht ignorieren. Sharifi hätte es als ihre Verantwortung angesehen, sie zu sammeln, da sie meist nicht lange zur Verfügung stehen und aus dem Netz genommen werden. Es ist ein Privileg, sich diesen Bildern entziehen zu können, so Savalanpour. Betroffene seien dem schon seit Jahrzehnten ausgesetzt, „so audiences can sit in this discomfort“.
Die Publikumsfrage, was Sharifi aktuell mache, könne sie nicht beantworten, aber sie weiß, dass sie weiter filmt. Gegenüber dem Schmerz im Exil zu leben, den die Moderation zum Schluss mit Blick auf das Verhältnis zu ihrer künstlerischen Arbeit anspricht, steht der bewundernswerte Umgang, die Wut und die Trauer in die eigene Praxis einfließen zu lassen; etwas, das einem niemand nehmen kann.
Therese Koppe, Sarah Savalanpour v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald