Film

Mâine Mă Duc
von Maria Lisa Pichler, Lukas Schöffel
AT/RO 2024 | 75 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 48
05.11.2024

Diskussion
Podium: Maria Lisa Pichler, Lukas Schöffel
Moderation: Ute Adamczewski
Protokoll: Eva Kirsch

Synopse

Maria lebt in einem Zustand der Zerrissenheit. Alle vier Wochen verlässt sie ihr Dorf in Rumänien und fährt 1.000 Kilometer nach Österreich, um eine Seniorin rund um die Uhr zu betreuen. Dort Palatschinken und André Rieu im Fernsehen – hier ihre eigenen, alten Eltern und ihr Mann, der sich um die beiden Söhne kümmert. Für einen bescheidenen, materiellen Traum füllt die 40-Jährige die Lücken in einem dysfunktionalen System und hinterlässt eigene Leerstellen. „Wenn du nach Hause kommst, ist es, als wärst du nicht hier.“

Protokoll

Die Unterhaltungen des Publikums plätschern noch leise im Diskussionssaal vor sich hin, als die Moderatorin Ute Adamczewski das Gespräch beginnt: Wenn ein Film das Thema Arbeitsmigration und ihre Auswirkungen behandele, komme die Frage auf, wo sich die Welten der Filmemacher:innen und die der Betroffenen überschneiden. War der Ausgangspunkt für den Film eine Begegnung mit der Protagonistin oder haben die Filmemacher:innen Maria ausgehend von der Thematik gefunden? Laut Regisseur und Kameramann Lukas Schöffel begann die Recherche für den Film im ersten COVID-19-Lockdown, als plötzlich die Systemrelevanz der rumänischen Gastarbeiter:innen sehr deutlich wurde. Über die IG24, eine Interessensgemeinschaft von Personenbetreuer:innen, lernten sie die Protagonistin Maria kennen. Bei einer Hauruck-Reise zu ihrer Familie nach Rumänien ergab sich mit dem Mann der Protagonistin ein interessantes Gespräch darüber, dass die Österreicher:innen die Rumän:innen viel mehr bräuchten als umgekehrt. Diese Beobachtung sei für das Regie-Duo eine interessante Machtumkehrung gewesen.

Adamczewski fasst zwei zentrale Themen des Films zusammen: Ökonomie und das Verhältnis zu ihr und zwischenmenschliche Beziehungen, die unter dem Druck der migrantischen Arbeit stehen. Wie habe man sich konkret den Prozess des Filmens vorzustellen, sodass es möglich gewesen sei, auch Konfliktgespräche innerhalb der Familie aufzuzeichnen? Das Thema Geld habe sie von Anfang an interessiert, antwortet Pichler, das Thema Pflege hingegen weniger, auch wenn sich daraus leicht ein sehr erwartbarer Film stricken ließe. „Was ist der Preis für ein gutes Leben?“ wollte sie sich stattdessen fragen. Schöffel führt fort, die beiden hätten unheimlich viel Zeit bei der Familie verbracht und das sei für alle Beteiligten auch anstrengend gewesen. Sechsmal drei Wochen waren sie in Rumänien, immer mit der Kamera auf Bereitschaft, hätten abgewartet und gefilmt, manchmal auch nur so getan, als würden sie filmen. Pichler ergänzt freiheraus, dass die Protagonistin artikuliert habe, dass sie der Familie über den langen Zeitraum irgendwann auf die Nerven gingen, gleichzeitig sei die Zeit auch lustig gewesen.

Adamczewski wirft ein, dass die Familie sehr großzügig gewesen sein müsse, bei dem was die Filmemacher:innen von ihnen verlangten. Dann bezieht sie sich auf die vorausgegangene Diskussion zu „HAUBI“, in der die Frage nach der Bezahlung des Protagonisten aufkam und möchte auch von Pichler und Schöffel wissen, wie es bei ihrem Film mit der finanziellen Entlohnung aussah. Alle Protagonist:innen aus der Familie sowie weitere größere Rollen wären fair vergütet worden, es wäre auch absurd, einen solchen Film zu machen und die Protagonist:innen nicht zu bezahlen, erklärt das Duo. So finden die ökonomischen Verhältnisse in Bezug auf die Kamera ebenso ihren Weg in die Diskussion wie jene vor der Kamera.

„Mâine Mă Duc“ ist kein klassisches Portrait, da sind sich alle einig. Eher ein Film über Frauen wie Maria, die dadurch stellvertretend für all die anderen Menschen in dem Berufsfeld steht und auf die Struktur des Systems verweist. Trotzdem sei die Protagonistin laut Pichler in der Branche außergewöhnlich, da sie sich nicht mehr ausbeuten lasse und sich bewusst und nicht aus einer akuten Notsituation heraus für diese Arbeit entschieden habe.

Es erscheint nur logisch, dass die Thematik des Ökonomischen nun auch zum Film als Endprodukt überschwappt, wenn eine Publikumsfrage sich nach der Auswertung des Films („Was geschieht jetzt mit dem Film?“) und dem fraglichen kommerziellen Erfolg und der Platzierbarkeit im Fernsehen oder im Kino erkundigt (einige im Publikum lachen). Auf die Rekapitulation der bisherigen Auswertungsgeschichte folgt eine witzelnde Bemerkung Adamczewskis: Duisburg sei „das ideale Festival für die Vermarktung eines Films“, eigentlich sowieso das ideale Festival für alles aber im Speziellen für Vermarktung (wieder wird gelacht). Zwischen den Zeilen des leichthin und vielleicht auch oberflächlich anmutenden Austauschs blitzen in meinem Kopf sonst seltener in den Duisburger-Filmdiskussionen anklingende, übergroße Fragen auf. Welchen ökonomischen Stellenwert haben formal anspruchsvolle, politisch engagierte, eigenwillige, widerständige, sich dem Mainstream verweigernde Filme, wie sie auf der Duisburger Filmwoche gezeigt und in den Diskussionen mit solcher Zugewandtheit und Dringlichkeit besprochen werden? Wie lange werden Filme wie dieser noch finanziert und präsentiert werden können, wenn mittlerweile im Rahmen der um sich greifenden Kulturkürzungen sogar um 3sat, den langjährigen Partner der Filmwoche, gebangt werden muss? Während ich nachdenke, schreitet das Gespräch voran.

Auf die Publikumsfrage nach der politischen Arbeit der Protagonistin, die im Film eher im Hintergrund stehe, erklärt Pichler, es bräuchte eigentlich drei Filme, um davon zu erzählen. Zwei davon gäbe es schon, ihren Film über die Ökonomie der Arbeitsmigration und einen gleichzeitig bei der Diagonale aufgeführten Film über die Pflegearbeit selbst („24 Stunden“). Der Film über die Pflegeagenturen und deren mafiöse Strukturen stehe noch aus. Bei ihrem Film sei die politische Thematik auch deshalb nicht so im Fokus, da die Protagonistin derzeit nicht mehr politisch aktiv sei und das Duo mit dem Film in der Gegenwart von Maria bleiben wollte. Schöffel ergänzt fast beiläufig, der Film solle wie von Maria selbst erzählt wirken und keine westeuropäische Perspektive einnehmen. Für die politische Dimension, in der noch so viel drinstecke, gäbe es im Film nicht genug Zeit.

Aus Fragen von Ute Adamczewski und Ronny Günl aus dem Publikum erwächst sich ein Gespräch über die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, die in den einzelnen Bildern und zwischen den Bildern durch bestimmte Schnitte gezeigt werden: die alte Dame mit ihrem flauschigen Hund und das Kutschpferd der Großeltern, die Haustier-Nutztier-Dichotomie. Die Filmemacher:innen hätten nicht auf Folkloristisches hinweisen wollen, sondern in Rumänien das Nebeneinander zeigen von Instagram und Pferdekutschen, ländlicher, scheinbar zurückgebliebener Realität und digitalen, modernen Aspekten. Dennoch fiel das Feedback in Bezug darauf in Rumänien eher negativ aus, da die Rumän:innen ihr Land als hässlich und zurückgeblieben dargestellt empfanden. Dem setzt Schöffel entgegen „er habe das nie so gesehen“ und in seinen Augen zeige der Film verschiedene Facetten des Landes. Seine Kollegin ergänzt, dass das Herzeigen des Landes ein „wunder Punkt“ sei und eine „offene Frage“ wie man anders mit der Darstellung der ländlichen Gegend umgehen könnte.

Über weite Strecken ist „Mâine Mă Duc“ ein beobachtender Film, allerdings gibt es durch das Voice-Over eine Art Metatext, der sich über den Film legt. Adamczewski fragt sich, woher das Rohmaterial dafür stammt und ob das von Anfang an so geplant war? Die Editorin des Films erzählt, dass dem nicht so ist. Das bei der ersten Fahrt nach Rumänien aufgenommene Gespräch habe jedoch im einjährigen Schnittprozess als Voice Over für sie irgendwann die nötige Distanz hergestellt und sie der Protagonistin gleichzeitig erst wirklich nah gebracht.

Am Ende der Diskussion kulminieren die Gesprächsstränge zur Wirtschafts- und Finanzthematik und es wird die so oft ausgesparte aber doch eigentlich unvermeidliche Frage nach der Ökonomie des Filmemachens gestellt, wenn Adamczewski mehr zum Kontext der finanziellen Förderung des Films wissen möchte. Mit ca. 60 000 Euro Budget war das Duo „nicht reich aber auch nicht arm“ und in der immer weniger selbstverständlich werdenden Position, komplett unabhängig das eigene Projekt finanzieren zu können. „Das niemand reingeredet hat, das sieht man dem Film auch an“ fasst die Moderatorin zuletzt zusammen und entlässt damit das Publikum in den Nachmittag, während die ökonomischen Verflechtungen vor und hinter der Kamera nachhallen.