Extra

Duisburger Klassik

Duisburger Filmwoche 48
10.11.2024

Podium: Lisl Ponger, Hito Steyerl
Moderation: Lino Rupprecht, Arvid Schrör, Martha Leidorf, Nina Ćosić
Protokoll: Ronny Günl

In dem gemeinsamen Format der Duisburger Filmwoche und ihrem Partnerfestival doxs! zeigen Jugendliche Filme aus der Historie der Filmwoche und kommen mit Filmemacher:innen ins Gespräch. — präsentiert von der Sparkasse Duisburg.

déjà vu
von Lisl Ponger / AT 1999 / 23 Min.

Found-Footage-Material von Reisefilmen europäischer Touristen. Neu montiert und dem Blick auf das Fremde nachgehend. Dazu elf Geschichten, erzählt in elf Sprachen. Ton und Bild korrespondieren in beunruhigender Weise in dieser Auseinandersetzung mit dem Postkolonialismus. Es ist ein Film, der keine Sicherheiten vermittelt, sondern Rätsel aufgibt.

November
von Hito Steyerl / DE, AT 2004 / 25 Min.

Andrea Wolf. Protagonistin eines feministischen Martial Arts-Films aus den 1980ern. 1998 wurde sie als kurdische Terroristin in Ostanatolien erschossen. Aus dem Amateur-Trashfilm wurde ein Dokument. Aber „November“ ist kein Film über Andrea Wolf. Und kein Film über die Situation in Kurdistan. Eine Reflexion über die Gesten der Befreiung nach dem Ende der Geschichte. Sie zirkulieren weiter – als reisende Bilder.

Protokoll

Beide Gespräche bei dieser zweiten Ausgabe der Duisburger Klassik eint, dass sich die beiden Filmemacherinnen mit Mühe an die Entstehungszeit ihrer Filme zurückerinnern müssen, was bei Lisl Ponger etwa fünfundzwanzig Jahre und bei Hito Steyerl zwanzig Jahre her ist. Hinzu kommt, dass beide Gespräche online über Zoom geführt werden, was kleinere, technische Schwierigkeiten und einhergehende Improvisationen von den jungen Moderator:innen einfordert. Trotz der Müdigkeit, die man nun am letzten Festivaltag nach der Abschlussfeier in den ermatteten Gesichtszügen erkennt, erzeugt das aber ebenso eine ungezwungene Gesprächsatmosphäre, in der Programmideen, viele Eindrücke sowie Anekdoten aus ehemaligen Protokollen geteilt werden. Analog zur Schwierigkeit des Erinnerns liegt ein weiteres Hauptaugenmerk so auf der Gegenwärtigkeit von Pongers und Steyerls Filmen, also inwiefern man diese Filme heute nochmal so umsetzen würde oder worauf sie heute wieder Bezug nehmen.

Die erste Frage des Moderators Lino Rupprecht an Ponger richtet sich an die Materialherkunft. Dazu erzählt sie, dass ihr Film „déjà vu“ im Zusammenhang des Films „Passagen“ entstand, für die sie von einer Wiener Firma, die Super-8-Filme entwickelte, einige Rollen von fremden Privatpersonen erhielt, die auf Nachfrage weitergegeben wurden. Arvid Schrör, der zweite Moderator, fühlte sich bei den Bildern, als wäre er zurück im Urlaub, nicht immer alles Gesprochene zu verstehen, hätte ihn nicht gestört. Das begeistert Ponger, denn ihr blieb die aggressive Stimmung des ehemaligen Duisburggesprächs in Erinnerung, weil sie keine Untertitel verwendete, sodass im Nachhinein sogar ein Text mit dem Titel „Where did the subtitles go“ erschien. Für die dreizehn gesprochenen Sprachen waren diese nie angedacht, entweder man versteht es oder eben nicht, meint die Filmemacherin.

Laut Patrick Holzapfel, lässt die Sprache anders auf die Bilder schauen und fragt damit die beiden Moderatoren, ob sie einen Unterschied zu heute sehen würden. Beide sind sich einig, einen großen Unterschied zu den Bildern beispielsweise auf Instagram wahrzunehmen. Pongers Film wirke viel roher und entfernter, man spüre die Fremdheit. Die Filmemacherin ergänzt, dass sie bestimmte Bilder ausgewählt hat, hier handelt es sich im Wesentlichen um Urlaubserinnerungen, von denen sie aber lediglich über die notierten Orte auf den Rollen erfuhr. Allerdings muss die Person aufgrund der vielen Reisen sehr wohlhabend gewesen sein, das erkenne man auch am Schiff wieder, was vor allem in ihrem Film „Passagen“ in einem Schwenk auftaucht, als würde es eine Versicherung darstellen, nicht in der Fremde zurückbleiben zu müssen.

Viele Stimmen und unterschiedliche Geschichten zu hören, hat Alexander Scholz zudem an die Erfahrung im Kino erinnert, wo er sich den Raum auch mit vielen fremden Menschen teilt. Ponger hat damals in Wien Personen aufgesucht, die ihr etwas erzählen. Die einzige Anweisung war nur, hin und wieder ein verstehbares also deutsches oder englisches Wort zu sprechen. Auch wenn sie nicht alle Sprachen spricht, weiß sie, wovon alle Geschichten handeln, jedoch hat sie bis heute noch niemand danach gefragt. Auf Rupprechts prompte Nachfrage, erklärt sie, dass die Geschichten von gängigen Klischees und ihrer Entgegnung handeln, oder von einzigartigen Erlebnissen, wie dem Hissen der neuen Fahne während der Unabhängigkeit von Kap Verde. Zur Kritik, dass niemand die Offensivität des Blicks thematisiere, verweist Ponger darauf, wie der Ton das Bild konterkariert, allerdings sei der Diskurs heute ein anderer als früher, weshalb sie den Film nun nicht mehr so drehen würde. Sie selbst hat lang in Mexiko gelebt und dort auch gefilmt, dabei fragt sie sich, ob ihre Bilder so anders ausgesehen haben, denn Super-8 war schon immer ein Machtinstrument. An den Bildern werde aber die Ambivalenz zwischen Faszination und Kritik sichtbar, worin sich ein Raum für den Diskurs öffne. Gewissermaßen würden sich die Bilder selbst entlarven, denkt Rupprecht ergänzend.

Unterschiedliche Sprachen würde man darüber hinaus, laut Ponger auf Scholz Frage hinsichtlich der Spielorte des Films, nicht nur in ihrem Film hören, sondern auch zwischen den Universen des (Kino-)Films und der (bildenden) Kunst: Ihr Film wurde nach den Festivals später in Ausstellungen gezeigt, wo ganz anders darüber gesprochen wurde. Damit endet das erste Gespräch und eröffnet zugleich eine Perspektive auf den zweiten des Vormittags, „November“ von Hito Steyerl. Auch dieser vermittelt sich dem Publikum nicht auf dem direktesten Weg, indem er, wie die beiden Moderatorinnen, Martha Leidorf und Nina Ćosić, meinen, mit seiner Geschwindigkeit zunächst Überforderung erzeuge, worin sich die Realität verzerrt und man immer mehr an der Existenz von eindeutiger Wahrheit zweifele.

Erst durch die „Fußnote“, das Ende des Films, hat Holzapfel die Bauweise des Films verstanden, denn darin zeige sich die Wechselwirkung von Film und Realität, was manchmal dazu führe, dass die Realität dem Kino hinterherrennt. Steyerl, die aufgrund von Verbindungsschwierigkeiten etwas später zum Gespräch kommt, bestätigt diesen Eindruck. Sie kannte Andrea Wolf sehr gut und hat sich an die Aufnahmen erinnert, als sie von ihrem Tod erfuhr. Zu dieser Zeit – wenige Jahre nach 9/11, während des Kriegs gegen den Terror – hätte es keine greifbare Wahrheit gegeben, deshalb wollte sie diese aus dem Material, den Posen, den Gesten, den Heldengeschichten politischer Bewegungen filtrieren. Viele thematisch ähnlich gelagerte Filme würden sich, laut Scholz, oft in allerhand Reflexionsschleifen eindrehen, Steyerls Film behalte hingegen Bodenhaftung, indem er auch zeigt, wie Menschen direkt betroffen sind, zugleich kommen aber die von Tanja Tlatlik erwähnten Referenzen wie Symbole vor, die aus heutiger Sicht sehr weit entfernt zu liegen scheinen, fast angestaubt.

Steyerl wollte sich damals vor allem über das Klischee des betroffenen Dokumentarfilmemachers lustig machen, den man früher oft beispielsweise auf der Filmwoche antreffen konnte. Scholz verweist dazu auch auf das Protokoll des Gesprächs, was sich um die Rolle des privaten Engagements drehte – insbesondere ob der Film wie Andrea Wolf sei. Die Filmemacherin entgegnet darauf, dass der Film nie über Wolf sein sollte, allerdings ähnele der Film der ehemaligen Gegenkultur, die laut Steyerl, ziemlich hart und rotzig gewesen sei. Nach diesem Film und auch in diesem Augenblick hat sie weitere Filme über Kurdistan gedreht, bei denen sie ähnlich arbeitete. Das heißt aber auch, dass die Filme nur in ihrer historischen Gegenwart passieren und nicht einfach wiederholt werden können, sie sind damit Dokumente der medialen Umgebung. Sie selbst hat sich selbst immer weiter vom klassischen Kurzfilm entfernt, was vielleicht auch damit zu tun haben könnte, wie die Aufmerksamkeit des Publikums abnimmt.

Den von Leidorf nochmals angesprochenen Reflexionsstrudel und das Essayhafte könne nach Steyerls Meinung nur indirekt erzählt werden, wenn man stattdessen Zuschauer einfach nur „zulabert“, funktioniere das nicht. Mit dieser Pointe, muss wohl jeder unweigerlich rückblickend an die Filme und Gespräche der zu Ende gehenden Duisburger Filmwoche denken und ein spontanes Lachen kitzelt den Saal, der sich allmählich geleert hat, womit nun auch das Gespräch beendet wird.