Film

Wankostättn
von Karin Berger
AT 2023 | 37 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
06.11.2023

Diskussion
Podium: Karin Berger
Moderation: Patrick Holzapfel
Protokoll: Eva Kirsch

Synopse

Ein Häuserblock in Wien. Karl Stojka durchmisst auf einen Regenschirm gestützt seinen früheren Wohnort. Die Wankostättn, ein ehemaliger Lagerplatz der Sinti:zze und Rom:nja. 1941 wurden die Bewohner:innen deportiert. Damals eine weitläufige Wiese, heute dicht bebaut. Er deutet auf einen Briefkasten: Dort stand sein Wohnwagen. Der Überlebende erzählt, legt Zeugnis ab für die Nachwelt. „Nichts ist da, was erinnern könnte. Wenn ich dann wieder hier weggeh’, dann bin ich ganz leer.“

Protokoll

Das Gesprächssetting am Eröffnungsabend der 47. Duisburger Filmwoche im BORA ist atmosphärisch, aber ungewohnt. Der Saal ist gut gefüllt, in der Luft liegen neben Eindrücken des Films auch die Eröffnungsreden. Vielfach wurde die Duisburger Gesprächskultur hervorgehoben: die Lust am Austausch, am Miteinander-Sprechen. Nun wird es eingeläutet, ebenjenes Sprechen.

Patrick Holzapfels erste Frage an die Filmemacherin Karin Berger zielt auf den Entstehungsprozess des Films ab. Das Material wurde 1997 gedreht, aber erst 2023 veröffentlicht. „Warum jetzt?“ Karin Berger erklärt, dass sie damals mit der Schwester des Protagonisten gedreht hat und die mit Karl Stojka aufgenommenen Szenen eigentlich in diesen Film einfließen sollten. Dort passten sie dann aber doch nicht hinein. Im Nachgang wollte Berger noch ein größeres Projekt mit dem Protagonisten realisieren, doch dafür gab es keine Zeit. Jetzt – 25 Jahre später – hat sie das Material wieder hervorgeholt und „Wankostättn“ daraus geschnitten. „Die Zeitzeugin der Zeitzeug:innen“, wie Patrick Holzapfel sie beschreibt, habe vielleicht gerade jetzt den Film realisiert, da das Ende einer möglichen Zeitzeug:innenenschaft der NS-Zeit immer spürbarer werde. Bergers filmisches Dokument erhalte dadurch eine andere Dringlichkeit.

Holzapfel fährt fort, nach dem vertrauten Verhältnis zwischen Regisseurin und Protagonist zu fragen. Die Filmemacherin beschreibt, dass es durch die Arbeit mit seiner Schwester auch zu Karl Stojka bereits eine Art Vertrauensbasis gegeben hätte. Vertrauen bedeute jedoch nicht immer eine enge Beziehung, Vertrauen sei auch etwas, dass sie als Dokumentarfilmerin „geschenkt bekomme“. Dadurch, dass sie den Protagonist:innen vermittele: ihnen wird eine Öffentlichkeit gegeben, um ihre Geschichte zu erzählen.

Ebenjenes Erzählen ist elementarer Bestandteil von „Wankostättn“: Im Gehen und Stehen erzählt Karl Stojka von dem ehemaligen Lagerplatz der Sinti:zze und Rom:nja, beschreibt anschaulich den Alltag der Menschen, die dort gelebt haben. Im Erinnern und Durchwandern werden architektonische Veränderungen sichtbar: Wo damals auf der Wiese der elterliche Wagen stand, wird die Erinnerung heute von Asphalt und Häuserbeton verdeckt. Stojkas Erzählung wird zum Zeugnis, der Film zum Dokument der auf der Wankostättn vormals ansässigen Sinti:zze und Rom:nja.

Sich weiter für die Entstehung des Films interessierend, fragt Holzapfel nach, inwiefern der Dreh vorab mit dem Protagonisten abgesprochen war. „Möglichst wenig absprechen, aber möglichst viel vorab über die Protagonist:innen erfahren“ lautet daraufhin Bergers Credo. Für den Dreh mit Karl Stojka war nur der Treffpunkt vereinbart, sowie die Grundprämisse des Zeigens und Erzählens. Laut Berger hatte Stojka ohnehin seine eigene Dramaturgie und die Regisseurin wollte bloß zart lenkend eingreifen. Die Souveränität des Protagonisten und sein Vertrauen Karin Berger gegenüber sind elementare Bestandteile des Films. Stojkas Souveränität hat vermutlich auch damit zu tun, dass er sich vielfältig über das von ihm Erlebte ausdrückt: so beispielsweise durch das Anfertigen von Objekten, die er als „Beweisstücke“ bezeichnet. Eines dieser Objekte vertraut er auch Karin Berger und ihrer Kamera an: Ein von einer Axt durchbohrter SS-Helm, der für ihn den Moment der Befreiung von den Nationalsozialisten repräsentiert.

So wie Stojka „Beweisstücke“ als Kunstobjekte rekonstruiert, lässt Bergers Film durch Stojkas Erzählung das Sozialsystem der Wankostättn greifbar werden. Der Film verbleibt jedoch nicht mit Karl Stojka auf den Straßen Wiens, auf die Erzählungen folgen Fotografien des ehemaligen Wankostättn-Gebiets. Diese wurden vom NS-Reichsgesundheitsamt angefertigt, um das Leben der Sinti:zze und Rom:nja „zu erforschen“. Als abschließende Sequenz folgt ein Gespräch in Stojkas Wohnung. Patrick Holzapfel möchte wissen, wie es zu der Entscheidung kam, diese beiden Sequenzen in den Film einzuflechten und nicht bei der Straßensituation zu bleiben. Der Film macht einen starken Punkt für das Dokument, warum folgt darauf noch etwas?

Die Regisseurin erklärt, dass die Fotografien der Ausgangspunkt des Films waren, und anfangs noch mehr davon im Film zu finden gewesen wären. Diese schienen jedoch Stojkas Erzählung zu stören und die Zuschauenden das Erzählte hinterfragen lassen. Die Fotografien kreierten eine andere Erwartung, die der spiraligen, redundanten Erzählweise Stojkas entgegenstand. Direkt in das Erzählte eingebundene Bilder hätten „Wankostättn“ zu einem Dokumentarfilm gemacht, der „etwas nachweisen möchte“. Eine Person aus dem Publikum hakt etwas später erneut ein und zeigt sich erstaunt über die Verwendung der Fotografien, die ihrer Meinung nach einen Täterblick darstellen und dem Erzählten entgegenwirken. Berger kann diese Kritik nachvollziehen. In ihren Augen sind die Bilder jedoch auch ein Moment der Trauer und entsprangen dem Bedürfnis, die Menschen sehen zu wollen, die dort gelebt haben. Die Publikumsrückfrage, ob es dafür denn keine anderen (nicht von Täterseite) stammende Fotos gegeben hätte, verneint Berger (ihres Wissens nicht).

Nun klinkt sich Alex Gerbaulet aus dem Publikum ein: Am Anfang habe sie auch geglaubt, dass der Film die Fotografien nicht brauche, nun sehe sie diese jedoch als „Nachbilder“. Sie fragt sich: Wie mit der Ambivalenz umgehen, dass häufig von bestimmten Ereignissen nur Täterbilder existieren? Dass die Fotografien in Bergers Film erst nach dem Gesagten gezeigt werden, entringt sie Gerbaulet zufolge dem Täterblick. Die Schwierigkeit des Umgangs mit diesen Bildern rege außerdem zum Nachdenken an: Was kann Film? Was kann Film diesen Bildern noch abringen? (Trotz oder gerade wider ihres Entstehungskontexts.) Später ergänzt eine Person aus dem Publikum treffend: Durch die Montage der Fotografien als „Nachbilder“ verhalten diese sich zum Gesagten, nicht umgekehrt. Nicht die Bilder beeinflussen das Erzählte, die Bilder werden durch das zuvor Erzählte kommentiert.

Eine weitere Person aus dem Publikum möchte wissen, ob Berger mit Teilen des Materials unzufrieden war. Ein Moment auffälliger Kamerabewegung wird angesprochen: Während Karl Stojka auf einer Kreuzung steht, distanziert sich die Kamera peu à peu, bis er schlussendlich beim aufgebrachten Erzählen in einer Totale zu sehen ist. Berger erwidert, dass sie nicht mit dem Material gerungen habe, auch nicht mit diesem spezifischen Moment. Die Bewegung empfindet sie nicht als Distanzierung, sie findet es interessant, dass unklar ist, ob der Kameramann oder der Protagonist die Dynamik initiiert haben.

Was am Ende des Gesprächs seitens des Publikums wie auch seitens der Moderation bleibt ist das Interesse an Karin Bergers Gesamtwerk. Und eine von Patrick Holzapfel charmant formulierte, indirekt direkte Aufforderung: Alexander Scholz solle in Zukunft bitte weitere Filme der Regisseurin zeigen.

 Karin Berger, Patrick Holzapfel v.l Foto: Maria Kotylevskaja
Karin Berger, Patrick Holzapfel v.l Foto: Maria Kotylevskaja