Film

Thomas Schütte – Ich bin nicht allein
von Corinna Belz
DE 2023 | 95 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
7.11.2023

Diskussion
Podium: Corinna Belz
Moderation: Alexander Scholz
Protokoll: Maxi Braun

Synopse

Mit seinen Händen fährt er den Mund und die Augen ab, streicht die Brauen aus und tupft in den Tonkopf einen adressierenden Blick. Der Bildhauer Thomas Schütte ist ein Menschenmodellierer. Aus kleinen Knetfiguren schafft er großformatige Bronzeskulpturen. Seine Triebkräfte sind Intuition und Ungeduld, seine Arbeitsform ist die Kooperation – mit befreundeten Künstler:innen, 3D-Artists und Gießern. Eine Porträtreise zwischen New York, Venedig und Neuss, zwischen Kunstbusiness, Atelier und Buchhaltung.

Protokoll

Es gibt zahlreiche fimlische Herangehensweisen an ein Künstler:innen-Portrait. Von der ehrwürdigen Verneigung vor dem kreativen Genie, über den intimen Blick ins Atelier auf Augenhöhe bis hin zur kritischen Auseinandersetzung hat der Dokumentarfilm jede Form bereits erprobt. Filmemacherin Corinna Belz, die sich filmisch regelmäßig mit Kunst und Künstlern beschäftig hat, widmet sich mit „Thomas Schütte – Ich bin nicht allein“ nun einem Bildhauer. Schütte tritt darin als sympathischer, wortkarger, spröder Typ auf. Ein bisschen schluffig, stets mit einer Kippe im Mund, aber trotzdem versiert darin, mit geübtem Blick im Lehm zu hantieren oder mit scheinbar wenigen Handgriffen aus Knetmasse seine typischen Charakterköpfe zu formen. Die exemplarische Genese einer Nixen-Skulptur rahmt dabei die Annäherung an Schüttes Werk als dramaturgische Klammer.

Auf den ersten Blick wirkt das sympathisch, unprätentiös. Andererseits könnte man Schüttes Kokettieren mit seiner wortkargen Schnoddrigkeit auch prätentiös finden. Moderator Alexander Scholz steigt in das Filmgespräch mit der Thematisierung dieser Ambivalenz ein: zwischen dem Understatement und der Tatsache, dass Schütte ein international renommierter Künstler ist, der weltweit ausgestellt wird. Belz beschreibt Schütte als „Anti-Kiefer“, der Pathos vehement und ernsthaft ablehne, genau wie Theoretisierung und Mystifizierung seiner Person. Sie erzählt von der Vielseitigkeit der Materialien und davon, wie Schütte mit Glas, Bronze oder Knetmasse umgehe. Ihrer Schilderung ist die Begeisterung für sein Werk anzumerken. Scholz steigt beim Prozesshaften der Kunst wieder ein, die der Film ausführlich abbildet. Eine weitere Ambivalenz macht er dabei auch auf der Bildebene aus, wo sich intime Nahaufnahmen mit Totalen in den Werkstätten abwechseln. Letztere erinnere fast an Industriefilme: Überall brodelt, zischt und spritzt es, Metall wird geschweißt, Styropor gesägt, Glas geblasen. Im Verlauf dieser Prozesse wird die Nixe in ihrem Maßstab immer wieder verändert, schwillt an, wird dekonstruiert, angemalt, abgeschliffen, zerhackt und wieder zusammengesetzt.

Scholz möchte wissen, wie die Annäherung an das Skulpturale konkret verlief, jemand aus dem Publikum präzisiert die Frage dahingehend, wie man bildende Kunst in Film übersetzt und zum Beispiel das immense Gewicht der Skulptur darstellt werden könne. Belz erläutert, sie habe versucht, zu Beginn zunächst in Schüttes Formsprache einzuführen, sein Werk zu umkreisen und dadurch plastisch vorzustellen. Eine weitere wichtige Rolle spielte der Ton: Wenn Teile der Nixe in wuchtiger Schwere über den Boden kratzen, Hammer dagegen schlagen oder Nähte martialisch verschweißt werden, klingt die Materialität der Bronze tatsächlich durch und nach.

Die Diskussion kehrt aber doch immer wieder zu Schüttes Intention, auf den Annäherungsprozess zwischen Filmemacherin und Künstler und somit auf die Person Schüttes selbst zurück. Man habe sich getroffen, sei ein paar Mal Essen gegangen und habe dann 2019 beschlossen, diesen Film zu machen, fasst Belz nüchtern zusammen. Ihre Antworten scheinen nicht das zu sein, was das Publikum erwartet. Niemand fragt, wie Schütte denn privat sei, aber es wird über Umwege wiederholt danach gebohrt. Auch danach, ob im Film nicht die kapitalistischen Mechanismen und Machtstrukturen des Kunstmarkts hätten hinterfragt werden müssen. Belz kann damit nichts anfangen, hält das nicht für ihr Thema. Während der Dreharbeiten habe sie keine nennenswerten Konflikte zwischen Schütte und Menschen, mit denen er teilweise seit Jahrzehnten zusammenarbeite, erlebt. Da sei nichts gewesen, was sie dann bewusst rausgeschnitten habe. Sie schließt mit der Bemerkung: „Ich hätte natürlich auch die Menschen in seinem Umfeld fragen können, wie Thomas Schütte eigentlich privat beim Skat spielen so ist. Aber das interessiert mich einfach nicht“.