Synopse
In den wenigen Quadratmetern ihrer Geflüchtetenunterkunft und in den Clubs der Stadt nehmen sich Mahmoud und Lohan eine neue Freiheit. Musik, Style, Pose. Die syrischen Geschwister können in Deutschland das sein, was sie sind: Frauen. Mutter Zuhur ist das Aussehen und Auftreten ihrer beiden Söhne, die jetzt ihre Töchter sind, unangenehm. Sie denkt an die Tradition und die Community. Aber es sind ihre Kinder. „Wir verlassen uns auf Gott und schauen, was passiert.“
Protokoll
„Warum habt ihr diesen Film gedreht?“ Recht früh stellt eine junge Frau im Publikum diese Frage in der Diskussion. Die Betonung liegt eindeutig nicht auf dem „Warum“, sondern auf dem „ihr“. Spivaks Spirit ist deutlich zu spüren, die „Subalternen“ sind in diesem Fall die Protagonistinnen des Films, die als Trans-Frauen und Geflüchtete doppelt marginalisiert sind. Dabei liegt das Problem nicht in der privilegierten Position des Regieduos als weiße Cis-Menschen. Problematisch ist die Art und Weise, wie der Film gemacht ist, worauf er sich konzentriert und vor allem, was er ausblendet.
Laurentia Genske und Robin Humboldt recherchieren 2016 eigentlich zu männlichen Sexarbeitern in einem Stuttgarter Schwulenclub, als sie auf die Geschwister Samar und Lohan aufmerksam werden. Begeistert vom Charisma der Frauen überzeugen sie beide davon, gemeinsam einen Film über deren Geschichte zu machen. Die Filmemacher:innen begleiten die Schwestern, die mit ihrer Familie vor dem Krieg in Syrien geflohen sind und jetzt in einem Heim für Geflüchtete leben, bis 2019 durch verschiedene Phasen ihrer Transition.
Schon die erste Einstellung lässt keinen Zweifel daran, wie die Schwestern mit aufwendigem Make-Up und auffälliger Kleidung mit der für sie neuen Geschlechterrolle experimentieren. Das ist plausibel, wenn man bedenkt, dass auch junge Cis-Menschen, die sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, damit ringen. Aber jenseits des Trans-Seins gibt der Film wenig aus ihrem Leben preis, Samar und Lohan werden allein durch diesen Umstand definiert; wer sie sind, bleibt hinter der fast schon manischen Hyperweiblichkeit verborgen. Genske und Humboldt scheinen vor lauter Faszination für ihre schillernden Protagonistinnen vergessen zu haben, andere Themen aufzugreifen. Themen, die mit der Transsexualität zusammenhängen, aber weder verhandelt noch überhaupt angerissen werden.
Beispielsweise die titelgebende Mutter Zuhur, von deren nicht minder spannender Biografie Genske und Humboldt nur beiläufig im Filmgespräch berichten. Zuhur wurde in Syrien versklavt und zweimal zwangsverheiratet, lebte dort aber liberaler und westlicher als in Deutschland. Erst hier, nach der Flucht, legt sie das Kopftuch an, um nicht aufzufallen zwischen all den anderen muslimischen Geflüchteten. Sie lebt als Zweitfrau ihres Mannes in einem anderen Heim als dieser und nimmt später auch eine fremde, geflüchtete Trans-Frau bei sich auf. Im Film ist davon keine Rede. Zuhur wird lediglich eingeführt als religiöse Muslima, die jeden Tag dafür betet, „dass meine Söhne wieder normal werden“. Später drückt sie ihre Missbilligung, aber auch die Sorge um das Wohl ihrer Kinder nur noch in Blicken aus. Wie kann ein Film, der auch von familiärem Zusammenhalt erzählen will, das ausblenden?
Weitere wichtige Fragen in diesem Kontext stellt nicht der Film, sondern das Publikum: Bewegen sich Samar und Lohan freier und sind extrovertierter aufgrund ihrer männlichen Sozialisation? Wie gehen sie mit dem Widerspruch um, dass vor allem Samar heteronormative Setzungen übernimmt – sie will ein „ganz normales Leben“ mit Hochzeit, Ehemann, Kindern und einer Oberweite wie ihr Vorbild Kylie Jenner –, stereotyp weiblich konnotierte Aufgaben wie Waschen, Putzen und Kochen aber Mutter Zuhur und der kleinen Schwester vorbehalten bleiben? Was ist die Rolle der Filmemacher:innen selbst, die zwar hinter den Kulissen bei den Tücken der Bürokratie des deutschen Gesundheitssystems helfen, aber vorgeben, sich komplett herauszuhalten?
Manchmal blitzen diese Widersprüche auf, jedoch meist zwischen den entscheidenden Szenen und abseits der Narration. Wenn Samar von der Freiheit in Deutschland spricht und wir später beim Blick aus dem Fenster des Heims vor allem Zäune sehen. Wenn sich die kleine Schwester der beiden mit einer Freundin unterhält, die die Schminkkünste von Samar und Lohan lobt und es keine Vorbehalte zu geben scheint? Jedes Mal, wenn sich Zuhur rauchend ihre kleinen Auszeiten nimmt und wir nur erahnen, welche Gedanken sie umtreiben. Genske und Humboldt verwenden diese Zwischenbilder laut eigener Aussage teilweise als „Verschnaufpause“, die die Montage gewährt. Bettina Braun widerspricht heftig: „Ich will keine Pausen, ich will wissen, wo ihr als Filmemacher steht!“, und spricht stellvertretend für ein Publikum, dem durchaus mehr hätte zugemutet und zugetraut werden können.
Genske und Humboldt hätten auf diese Fragen bei diesem Thema vorbereitet sein müssen, scheinen aber davon überrascht. Man glaubt ihnen, ein Vertrauensverhältnis zu Samar und Lohan aufgebaut zu haben. Auch die Beteuerung, Empathie erzeugen und Toleranz für Trans-Menschen wecken zu wollen, wirkt ehrlich und aufrichtig. Es ist legitim, dass sie diesen Film gemacht haben, der nicht alle Fragen beantworten kann. Was sie aber auslassen, an Gender- und Identitätsdiskursen vernachlässigen und vor allem angesichts ihrer Protagonistinnen verschenken, bleibt dagegen unverständlich.