Film

Derweil
von Samuel Heinrichs
DE 2021 | 43 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 45
11.11.2021

Diskussion
Podium: Samuel Heinrichs [per Zoom], Max Sänger (Kamera, Schnitt), Malte Rollbühler (Ton)
Moderation: Alexander Scholz
Protokoll: Patrick Holzapfel

Synopse

Die Braunkohlebrachen enthalten ein Versprechen. Blühende Seen-Landschaften sollen dereinst die Topografie um das Städtchen Welzow in der Niederlausitz prägen. Derweil:Deutschland gegen Mexiko, neben dem Fernseher hängt eine wandgroße, schwarz-rot-goldene Fahne. Ein Touristenbus macht Sightseeing zwischen Abbruchkante und Aufbruch. Junge Männer fahren auf ihren Motorrädern durch eine Gegend, zu der es keine aktuelle Karte gibt. Freisein, Freizeit. Warten auf die neue Heimat.

Protokoll

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ich für den diesjährigen Festivalkatalog mit einem Essay beauftragt wurde, das sich mit der Absurdität von Zoom-Gesprächen befassen sollte und ich nun, im physischen Raum des zu später Stunde nur spärlich besuchten Diskussionraums, ein eben solches als mein erstes protokollieren sollte. Immerhin konnte Filmemacher Samuel Parkes Heinrichs, der aufgrund einer Covid-Erkrankung seiner Freundin nicht anreisen konnte, rauchen, was im Raum undenkbar gewesen wäre, aber, so vernehme ich, den alten Gepflogenheiten in Duisburg entspricht. Vor Ort fanden sich derweil (einmal sei das sich aufdrängende Wortspiel erlaubt) Kameramann und Co-Editor Max Sänger sowie Tonmann Malte Rollbühler ein. Die Moderation oblag Alex Scholz. Aufgrund der altbewährten Verbindungsprobleme konnte ich nicht jedes Wort verstehen.

„Derweil“ nähert sich dem Lausitzer Tagebauort Welzow wider dem Klischee. Statt offensichtlicher Bilder des Strukturwandels (ein Thema des heutigen Festivaltages) sind es um sich kreisende Bilder des Alltags einiger Kleinstadtbewohner. Es geht hier um die altbekannte, kleingeschriebene Geschichtsschreibung; das, was jenseits der großen Schlagzeilen lebt. Für diesen Ansatz fallen im Gespräch zahlreiche Begriffe, die letztlich bereits im Titel zusammengefasst sind: ein Nebeneinander, ein Film der Ansätze, ein Reisen durch Landschaften, Fragmente, ein Umkreisen, eine Vorläufigkeit, ein gemeinsames Tasten, ein Rumhängen, Gleichzeitigkeiten, Hintereinander von Eindrücken, ein schweifender Blick…

Bezeichnend für den Film ist die Sequenz eines Fußballspiels des SV Borussia 09 Welzow (nach einer 1:2 Niederlage gegen Traktor Laubsdorf derzeit Tabellensiebter der Kreisliga Niederlausitz), die statt der Dynamik des Sports merkwürdig entrückte, starre Momente einfängt. Die Spieler wirken so, als wären sie nicht da. Sie stehen auf dem Platz und nichts passiert. Es sei diese Spannung zwischen Bewegung und Stillstand gewesen, die sie gereizt habe, erzählen die Filmemacher. Der US-amerikanische Filmdenker Thom Andersen nannte solche Filme einmal Hanging-Out-Films. Sie seien wortwörtlich herumgehangen, erzählen die Filmemacher. Manchmal sei lange gar nichts passiert. „Wie das so ist beim Dokumentarfilm, am Ende ist man viel in Kneipen.“

Moderator und Festivalkurator Scholz sowie der im Publikum anwesende Luc Schaedler (Mitglied der Auswahlkommission) zeigten sich darüber begeistert, dass sich der Film dem offensichtlichen Ansatz verweigere und nach anderen Bildern suche. Dabei entstünden Leerstellen, die man selbst ausfüllen könne. Eine weitere Publikumsmeldung vergleicht den Film mit einer Ansammlung von Anfängen für Kurzgeschichten. Heinrichs antwortet mehrfach ehrlich, dass viele der jetzt schlüssig wirkenden Entscheidungen schlicht aus der Not geboren wären. Man habe nicht genug Material gehabt, um ein umfassendes Porträt des Ortes zu realisieren. Heinrichs habe auch Interviews mit den Ortsansässigen geführt, aber diese wären nicht besonders gut geworden. Man hätte sehr viele Versionen gehabt bevor man sich auf diese offene, driftende Form einigen konnte. Die Idee wäre ein zunächst zusammenhangloser Strom, der dann immer wieder zu einzelnen Protagonisten oder Motiven zurückkehre. Die Erkundung des Gebiets gehe immer von den Protagonisten aus. Tatsächlich bewegt sich der Film stets begleitend, egal ob auf diversen Zweirädern, im Auto oder Flugzeug.

Es ist wahrlich nichts Neues, dass sich eine Kluft auftut zwischen der intellektuellen Rezeption eines Films und den Intentionen der Filmemacher. Im Gespräch zu „Derweil“ tritt zu Tage, dass aus einer Pragmatik des eigenen „Scheiterns“ (nicht funktionierende Ansätze, zu wenig Material/Zeit etc.) eine mehr oder weniger kohärente filmische Vision entstehen kann. Es mutet nur etwas seltsam an, dass der in Kino und Literatur eigentlich weit verbreitete Ansatz, an den Rändern oder im Abseits der großen Themen nach dem Leben zu suchen, von den Festivalverantwortlichen als so ungewöhnlich aufgefasst wird. Zugegeben, es gibt tendenziell einen Überschuss an Themenfilmen. Der Ansatz ist trotzdem nicht neu. Es ist ja auch keineswegs so, dass das eigentliche Thema komplett ausgespart würde. Max Sänger fasst es vielleicht am Besten, wenn er beschreibt, dass es um die Frage ginge, wie all diese Dinge nebeneinander existieren könnten. Das würde für mich aber nur dann Sinn ergeben, wenn die Bilder aus dem Ort wirklich wider dem Klischee wären. Das sind sie aber nur manchmal, wenn ein „Sommergefühl“ (Scholz) entsteht. Ansonsten sieht man durchaus Bilder einer Perspektivlosigkeit, eines „Nichts“ wie es aus dem Publikum heißt. „Wenn ich einen Mann mit Hasseröder vor einem Südseeplakat sitzen sehe, dann weiß ich schon viel“, bemerkt der Moderator. Heinrichs gibt zu, dass sie Trinkszenen wieder rausgeschnitten haben, um nicht in die Klischeefalle zu tappen. Es ist erstaunlich, dass ein Film, der sich so dezidiert den typischen Bildern entziehen möchte, doch nicht ganz um sie herumkommt.

Es gibt natürlich keine unzusammenhängende Gleichzeitigkeit in einem Film (und vermutlich auch nicht in der Wirklichkeit). Alles, was nebeneinander gestellt wird, tritt in Beziehung zueinander und genau in diesen Zwischenräumen existiert „Derweil“.