Film

Searching Eva
von Pia Hellenthal
DE 2019 | 84 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
09.11.2019

Diskussion
Podium: Pia Hellenthal, Yana Höhnerbach (Schnitt), Janis Mazuch (Kamera)
Moderation: Alejandro Bachmann
Protokoll: Eva Königshofen

Synopse

„Ich will einfach nur ein Nest bauen. Aber jeder Ort ist gruselig.“ Eine junge Frau als Vexierbild gesehen. Model, Feministin, Autorin, Sexarbeiterin: Eva ist weder Eigen- noch Fremdbild noch „Identität“, Eva ist Influencer. Inmitten Berliner Zwischenmieten-Lifestyle und italienischem Kleinstadtkonservatismus versucht sie auf keinen Fall greifbar, nur auf dem Display fixiert zu werden. Wirklichkeit als Pose, die Kamera selbst bei vermeintlichen Intimitäten als steter Begleiter.

Protokoll

„Sie hörten, ich sei Regisseurin und wollten wissen, worum es in meinem Film geht. Ich rührte im Risotto und sagte verlegen, dass ich es immer noch nicht richtig erklären könne und der Mann sagte, ‚Wir hörten es geht um eine Prostituierte im Internet.‘“ – So liest sich der Ankündigungstext im Programmheft zu Searching Eva von Pia Hellenthal, die mit ihrer Cutterin Yana Höhnerbach und Janis Mazuch, der für die Kamera zuständig war, vorne auf dem Podium sitzt. Das folgende Gespräch wird sich viel darum drehen, dass es Hellenthal und ihrem Team genau nicht darum ging, ihre Protagonistin Eva Collé auf ein Dasein als Bloggerin und Sexarbeiterin festzulegen. Auch Alejandro Bachmanns erste Frage richtet sich auf die Zusammenarbeit mit der Protagonistin und das Erarbeiten der auffälligen ästhetischen Parameter des Films: die starke Fragmentierung, Tableaus, Texttafeln, auf denen die Kommentare von Evas Followern zu lesen sind. Hellenthal erzählt zunächst, sie sei zufällig auf Evas Blog gestoßen, den sie führt, seit sie 14 Jahre alt ist. Das Lesen des Blogs habe viel in ihr ausgelöst; insbesondere die Offenheit, mit der Eva ihr Leben dokumentiert, habe sie beeindruckt. Diese Offenheit mache Eva in gewisser Weise unangreifbar, fast unsichtbar in ihrer extremen Sichtbarkeit.

Daraufhin hatte Hellenthal sie kontaktiert und es kam zu einem ersten Treffen und einem Gespräch, in dem Eva sich nicht weniger offen zeigte. Danach trafen sie sich über ein halbes Jahr lang, bevor die Arbeit am Film begann. Eva habe zunächst kaum Fragen an das Filmprojekt gehabt, ihre einzige Sorge sei es gewesen, dass der Film so ein „Identity-Politics-Ding“ würde, sie auf etwas „festnageln“ wolle. Aber Eva habe interessanterweise auch während des Entstehungsprozesses sich der Festlegung durch ihr Bloggen entzogen, indem sie vorab Synopsen des Films oder Bilder vom Set postete. Sie sei einfach „ein Profi“, „sie habe mit ihnen gespielt“, sagt Hellenthal. Die unterschiedlichen visuellen Ebenen des Films, die vielen Aufnahmen, in denen wiederum Handyaufnahmen, Selfies etc. eine Rolle spielten, wiesen daraufhin, dass der Film selbst Evas Ästhetik verhaftet sei. Diese löse sich aber nach und nach auf, sagt Bachmann und fragt nach der Entstehung der Fragmente und der Internetästhetik des Films. Eva habe viele Vorschläge gemacht, denen sie häufig gefolgt seien, antwortet Yana Höhnerbach. Und Hellenthal ergänzt: „Ja“, häufig haben sie die Kamera einfach im Raum installiert und als Team „wie Möbel im Raum gestanden“ und erstmal gewartet, was passiert. Die „Internetästhetik“, die auch in der anschließenden Publikumsdiskussion Thema ist, sei nicht ihr vorwiegendes Interesse gewesen – vielmehr größere Fragen nach Repräsentation, Determination, Entzug und, wie möglichst eine stringente Entwicklung der Figur vermieden werden kann.

„Was kann dann Dokumentarfilm?“, fragt Bachmann (und meint es nicht als negative Kritik, sondern als medienreflexive Frage), wenn die dokumentierte Person schon derart in mediale Feedbackschleifen eingebunden sei, „was kann der Film dann mehr als von dieser Eingebundenheit erzählen?“ Ihr größtes Interesse gelte der Projektion, ihren Flächen und der Intimität, so Hellenthal, und (charmant) sie „zitiere ja eigentlich nie“ und tut es dann doch – Deleuze: Alle Geheimnisse offenlegen, bedeutet selbst zum Geheimnis zu werden. („Oder so ähnlich.“)

Und bliebe aber nicht doch die Frage nach dem, was möglicherweise „dahinter liege“, insistiert Bachmann. Teils ja, teils nein, entgegnet Höhnerbach, es ginge ja um die Möglichkeit einer Gleichzeitigkeit verschiedener Identitäten und darum, den Versuch, diese einzuordnen, immer wieder zu brechen. Das Publikum scheint größtenteils angetan. (Aber ich vermute, dass es darunter Leute geben mag, die mit dem Film nichts anfangen können, so hatte ich es nämlich beim Verlassen des Kinos im Vorbeigehen gehört.) Eine Person gefiel die „Kurzlebigkeit“, mehrere mochten insbesondere den Soundtrack, zwei Personen leiten ihre Redebeiträge damit ein, „ihre eigenen Projektionen“ anbieten zu wollen. (1: Ob es nicht am Ende des Films doch auf eine Schließung der Figur hinauslaufe?, 2: Ob der Umgang mit der Farbe Weiß darauf hindeute, dass es neben Unschuld auch um Evas Versuch ginge, den Katholizismus des italienischen Dorfes loszuwerden, in dem sie aufwuchs?)

Auch Eva selbst habe der Film gefallen, als sie ihn zum ersten und einzigen Mal in Berlin sah, sagt Hellenthal. Sie sei eine „solche Perfektionistin“ und habe Angst davor, alle ihre Posts überarbeiten zu müssen, wenn sie sie so auf der Kinoleinwand reproduziert sehe. – Das wiederum wäre dann noch eine weitere Reflexionsstufe der dokumentierten Dokumentation.