Film

Mama Rosa
von Dejan Barac
CH 2019 | 20 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
06.11.2019

Diskussion
Podium: Dejan Barac
Moderation: Alejandro Bachmann
Protokoll: Mark Stöhr

Synopse

Eine kleine, abgedunkelte Wohnung, vollgestellt mit Elektronik. Mal werden die Gesichter ihrer Familie von Bildschirmen illuminiert, mal dienen sie als Versteck. Rosa kümmert sich hier um alles: Sie geht arbeiten, kocht, reicht ihrem kranken Mann Kaffee mit vier Stück Zucker auf die Couch, stiftet prekäre Geborgenheit. Ihre Kinder wollen der Enge endlich entfliehen. Rosa bleibt, raucht, fühlt sich entwurzelt.

Protokoll

Ein Film als Mittel zum Zweck. Um mit der Mutter ins Gespräch zu kommen – und noch mehr: Um sie dazu zu bringen, aus ihrer Ehe und aus der unerträglichen Enge ihres Lebens auszubrechen. Ein gewaltiges Vorhaben für einen Abschlussfilm mit einer vorgegebenen Erzählzeit von 20 Minuten.

Auf dem Podium saßen zwei ganz unterschiedliche Typen und Temperamente. Rechts Alejandro Bachmann, der Moderator, selbstbewusst, analytisch und eloquent. Links Regisseur Dejan Barac, scheu, leise und wortkarg, der aber, wie sich im Verlauf immer klarer zeigte, ziemlich genau wusste, was er in seinem Film getan hatte.

Bachmann eröffnete das Gespräch mit der großen Warum-Frage. Warum machte Barac das Unglück und die Klaustrophobie seines Elternhauses öffentlich, mit einer depressiven Mutter und einem offenbar schwer diabeteskranken Stiefvater, der die Couch als Kommandobrücke nutzt? Die Situation zuhause, so der Schweizer, sei immer ein Tabu gewesen. Das wollte er brechen. Und mit der Kamera als Kommunikationsfilter mit der Mutter über Dinge reden, die nie zur Sprache gekommen seien. „Aber es findet im Film gar kein gesprochener Dialog statt“, hakte Bachmann ein. Ja, das erste Gespräch sei zwar lösend, aber keinesfalls zu verwenden gewesen, da seine Mutter fast durchgehend geweint hätte. „Es gab mir jedoch einen Zugang zu ihr und die Legitimation, diesen Film zu machen.“

Mama Rosa ist ein Kammerspiel des Schreckens. Auf wenigen Quadratmetern verdichten sich Sprachlosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Hier ein Verzweifeln, dort ein Fläzen. Mit ungeheurer Präzision bildet Barac das soziale Stillleben ab, das sich auf TV und Tablet, Nikotin und Nahrungsaufnahme beschränkt. „Ich habe lange in dieser Wohnung gelebt“, sagte er, „und kannte die Abläufe.“ In einigen Sequenzen begleitet er die Mutter mit der Kamera nach draußen zu ihrem Putzjob. Bachmann gefiel das Fragmentarische dieser Passagen, das Nicht-Auserzählte sehr.

Ein im Film fast unsichtbares, im Gesamtgefüge deswegen aber nicht weniger starkes Zentrum ist der Mann der Mutter. Bachmann nannte ihn „das schwarze Loch, das eine wahnsinnige Macht hat“. Von seinen Mentoren an der Hochschule in Luzern, erzählte Dejan Barac, sei ihm geraten worden, ihn als Spektakel zu inszenieren. Als eine Art Monster, das suspensemäßig am Ende enthüllt wird. „Ich antwortete mit einer Trotzreaktion – und zeige ihn gleich am Anfang.“ Die patriarchalen Strukturen, die die Beziehung des Paares prägen, sind in der Familiengeschichte angelegt. Der Großvater war ebenfalls ein Dominator, die Großmutter kreuzunglücklich. Mehrfach versuchte sie, sich umzubringen. Barac will diesen Kreislauf – auch mit Mama Rosa – durchbrechen. Bislang offenbar ohne Erfolg.

Luc Schaedler, Schweizer Kommissionsmitglied, fragte, was der Film mit der Mutter gemacht habe. Barac: „Sie will ihn nicht sehen, zumindest noch nicht. Ich hatte während des Drehs eigentlich das Gefühl, dass bei ihr etwas in Bewegung gerät. Dass sie den nächsten Schritt macht und ihren Mann endlich verlässt. Doch sie schafft es nicht. Sie will ihn nicht allein lassen.“

Was der Film mit ihm selbst gemacht habe, will jemand aus dem Publikum wissen. Ob es ihm gut tue, öffentlich darüber zu sprechen. Für ihn, antwortete der Regisseur mit einem gequälten Lächeln, seien solche Gespräche eine Gratis-Therapiestunde. Es sei zwar schwer, mit dem Thema immer wieder konfrontiert zu werden, es helfe ihm aber auch, damit abzuschließen. Und: „Der Film erinnert mich daran, an meiner Mutter dranzubleiben und sie zu besuchen.“