Film

HAMBI – Der Kampf um den Hambacher Wald
von Lukas Reiter
DE 2019 | 85 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
04.11.2019

Diskussion
Podium: Lukas Reiter
Moderation: Alex Gerbaulet, Alejandro Bachmann
Protokoll: Eva Königshofen

Synopse

„Das ist alles eine juristische Geschichte. Wir können es nur länger dauern lassen, dass noch mehr Bilder entstehen.“ Blickwinkel treffen aufeinander: Oben in den Baumhäusern und unten bei den Polizeiaufmärschen, bei den Protestliedern umgeben von gepanzerten Fahrzeugen im Waldstück Hambacher Forst. Es wird mit schwerem Gerät geräumt. An diesem Ort kulminiert der Konflikt um die Zerstörung der Natur durch den RWE-Konzern und der friedliche Widerstand.

Protokoll

Der Saal ist gut gefüllt an diesem ersten Abend der Duisburger Filmwoche. Das Licht ist fast ein bisschen zu hell, in dem Raum, der sich in den kommenden Tagen als Diskussionsforum beweisen darf. Denn Redebedarf besteht, wie sich gleich heute im Gespräch über HAMBI zeigt, der Film, mit dem soeben die Filmwoche eröffnet wurde. Für mich ist es das erste Mal Filmwoche überhaupt und ich protokolliere entsprechend ein bisschen nervös. Auf dem Podium sitzen zwei der Kommissionsmitglieder – Alex Gerbaulet und Alejandro Bachmann – sowie der Filmemacher Lukas Reiter, der seinen ersten Langfilm soeben selbst zum ersten Mal auf einer großen Leinwand gesehen hat. Er hatte vor zwei Jahren von einer Freundin über die Proteste im Hambacher Wald erfahren, sich daraufhin selbst dorthin begeben, um dann kurze Zeit später, als die Räumung des Baumhaus-Camps erwartet wurde, mit einer Kamera wiederzukommen.

Zu Beginn dreht sich das Gespräch um die Entstehung der Bilder, die zunächst weniger einem Konzept als dem Kennenlernen der Situation vor Ort und den Bedingungen des Waldes folgten; kein Strom um die Kamera-Akkus zu laden, das langsame Hochklettern der Bäume, insgesamt habe er nur 30 Stunden Material gesammelt, so Reiter. Alex Gerbaulet erkundigt sich zu Beginn des Gesprächs danach, inwiefern die Regeln der Protest-Community – die ideologischen, aber auch die Sicherheitsregeln – das Filmen bestimmten und wie Reiter damit umgegangen sei, dass die Bildproduktion im Hambacher Forst aus Gründen der Anonymität auch problematisch sein kann. Es habe sich im Laufe des Protests eine Verschiebung im Umgang mit Bildern auch seitens der Protestierenden gegeben, antwortet Reiter, einige haben sich dazu entschlossen mit ihren Gesichtern nicht für die Bewegung zu stehen, nein, sondern für sie einzutreten – korrigiert er sich selbst. Außerdem habe er viel Zeit dort verbracht und mit den Leuten gesprochen, sich bekannt gemacht, bevor er einige Personen darum bat, sie filmisch begleiten zu dürfen, dort im Wald, der der eigentliche Protagonist des Filmes sei. Er habe sich gegen eine Verpixelung der Gesichter entschieden, weil es Gesichter bräuchte, um Empathie und Sympathie seitens der Zuschauer*innen für die Protestierenden zu erzeugen. Ein Punkt, auf den Reiter im späteren Verlauf der Diskussion immer wieder zurückkommen wird; seinen Film, nicht nur ein kaleidoskopisches Portrait (wie Alex Gerbaulet es formuliert) des „Hambi“, sondern auch als Appell an das politische Engagement der Zuschauer*innen zu begreifen.

Ob es eine konzeptuelle Entscheidung bezüglich der Darstellung des Verhältnisses beider Seiten gegeben habe, fragt Alejandro Bachmann, denn er sei beeindruckt gewesen, dass der Film zwar durchaus Position für die Protestgemeinschaft beziehe, aber ohne eine Denunziation der Gegenseite auskäme. Reiter entgegnet, er habe die Skurrilität der Dimensionen zeigen wollen: eine Handvoll Menschen oben auf den Bäumen gegen 3.500 Beamte unten am Waldboden; und dass er den tendenziell friedlichen Protest auch als solchen habe zeigen und zugleich aber markieren wollte, dass es durchaus zu gewaltvollen und unverhältnismäßigen Übergriffen seitens der Polizei kam. Bevor die Diskussion für das Publikum geöffnet und gerade die Positionierung des Filmemachers von Uneinigkeit im Publikum zeugen wird, erwähnt Bachmann, er habe beim Verlassen des Kinos von einigen Filmemachern (wie ich hier vermute) gehört, sie haben sich an Protest-Dokus der 80er Jahre erinnert gefühlt. Er habe sich eher im Nachhinein mit Filmen wie Wackersdorf oder Hamburger Gitter beschäftigt, so Reiter. Es folgen Nachfragen aus dem Publikum bezüglich Drehzeit (sechs bis sieben Wochen), Kameraführung (mal ruhig im Baumhaus ausharrend, mal selber tanzend in der protestierenden Menge ist sie Zeugnis der Involvierung des Filmemachers), bevor Pepe Danquart in seinem Redebeitrag danach fragt, ob denn in den letzten 40 Jahren Filmgeschichte nichts passiert sei. Der Film begnüge sich zu sehr damit, auf der richtigen Seite zu stehen und sei eine „beständige Wiederholung eines versöhnlichen Ringelreigens mit dem bitteren Beigeschmack von Toten“, der die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst ästhetisch auf ein Spiel herunterdezimiere. Reiter kennt die Kritik, dass der Film „zu brav“ sei bereits und verweist erneut darauf, dass er „ein Bild malen“ wollte, dass mehr Leute motiviere sich zu engagieren. Er ordnet seinen Film als einen bestimmten Blickwinkel von vielen ein, denn es gibt mittlerweile mehrere Filme zu den Protesten um den Hambacher Forst. Im Folgenden dreht sich die Diskussion um die Frage danach (und dabei auch ein wenig im Kreis), ob der Film nun systemkritisch genug sei oder nicht. Einige Stimmen beschweren sich, der Film hätte mehr auf die strukturellen Hintergründe eingehen müssen, wie z. B. RWE in seiner Rolle als Großkonzern zu thematisieren. Andere lobten gerade, dass der Film deshalb so bemerkenswert sei, weil er durch das Auslassen der Extreme Ansatzpunkte zur Diskussion schaffen würde. Jemand verweist auf den Titel und dass er hielte was er verspricht, und darauf, dass es gerade gut sei, dass es sich bei HAMBI nicht um einen „Erklärfilm“ handele. Zustimmungsrufe folgen, kurzer Applaus. Danquart insistiert, es ginge ihm um die Haltung; alles zu zeigen zeige nichts, sondern nivelliere bloß.

Angesichts des jungen Alters Reiters bin ich persönlich irritiert von der doch harschen Kritik Danquarts, nicht weil man junge Leute nicht kritisieren darf, Nestschutz oder so etwas; meines Erachtens vergisst er in seiner Kritik, dass nicht nur in 40 Jahren Filmgeschichte sicherlich doch einiges passiert ist (bezüglich HAMBI sind es vielleicht die gut platzierten Drohnenaufnahmen des Abbaugebiet-Leichnams rund um den Forst), sondern auch in 40 Jahren Protestgeschichte, auch wenn Gitarrengesänge vielleicht davon ablenken, dass alleine die Beschleunigung der globalen Zirkulation von Bildern – für die der Protest im Hambacher Forst ja immer wieder als beispielhaft genannt wurde – die Filmemacher*innen auf einen von vielen Plätzen verweisen. Dessen ist Reiter sich durchaus bewusst. Auch Alex Gerbaulet betont die Transformationen, die die Protestformen durchlaufen, die selbstkritischer werden, weiblicher und queerer, und dass aber auch darin Gewalt stecke, die der Film wiedergebe. Reiter bejaht, der Film solle die Vielfältigkeit von Protestformen zeigen und sei noch vor der großen Popularität von Fridays for Future entstanden. Auf die Frage, an welche Orte und in welche Debatten er mit seinem Film möchte, antwortet er: „In Schulen zum Beispiel. In die Öffentlichkeit, damit wir darüber reden können.“ Genau das ist heute Abend passiert.

 Alejandro Bachmann, Lukas Reiter, Alex Gerbaulet v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Alejandro Bachmann, Lukas Reiter, Alex Gerbaulet v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald