Film

Eye Candy
von Katharina Kraft
DE 2019 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
08.11.2019

Diskussion
Podium: Mariana Schneider (Produktion)
Moderation: Bettina Braun
Protokoll: Joachim Schätz

Synopse

Im Ring wird Yasmin zu Charlie Morgan. Einer Kämpferin mit Superkraft, furchtlos und cool. Für die junge Britin ist Wrestling kein Fake. Es ist nur eine andere Realität. Ein Show-System mit echten Schmerzen. Akribisch bereitet sie sich auf die Kämpfe vor und studiert mit ihren Gegnerinnen die Choreografien ein. Dann beginnt die Transformation. Umschalten. Im Modus sein. Charlie Morgan sein.

Protokoll

Der Film: Eine Frau Mitte zwanzig erzählt sich. Biografie wird als erlittene berichtet – Überlebenskampf als Frühgeborene, Beziehungsleid samt übriggebliebenen Schulden in der britischen Arbeiterklasse –, aber auch als Ermächtigung zur Rollenarbeit. Wenn Yasmin früher in London und Umgebung in den Ring stieg, hieß sie Penelope und war als gefälliges „eye candy“ gecastet und gestylt. Jetzt lautet ihr Wrestling-Name Charlie Morgan, und ihr energisches Auftreten und burschikoses Outfit adressieren nicht mehr heteronormative Männerblicke, sondern die kinetische Freude an Moves und Choreografien des Schaukampfes. Der Film folgt Yasmin und erzählt Charlie selbst weiter, entlang einer Sportfilm-Handlungskurve von Rückschlägen zum finalen Triumph.

Zur Diskussion wird Regisseurin Katharina Kraft, die erst kürzlich ein Kind geboren hat, von Produzentin Mariana Schneider vertreten. Schneider betont – auf einer Linie mit dem Text der Regisseurin im Filmwochen-Katalog – die Nähe des Films zur Protagonistin als Schlüssel zu seiner Form. Als Kraft eine Wrestlerin als Protagonistin gesucht hatte, war Yasmin Lander gleich bereit gewesen mitzumachen. Zuerst habe sie aber nur in ihrer Eigenschaft als Athletin und Performerin Auskunft geben wollen und ihre Privatperson rauszuhalten versucht. Über eineinhalb Jahre Drehzeit habe sich Lander dem Filmteam langsam geöffnet. Diesem Vertrauen wollte das Filmteam gerecht werden, so Schneider: „Das Entscheidende war, sehr nah bei ihr zu bleiben und ihrer Sichtweise zu folgen.“ Diese Betonung einer subjektiven Perspektivierung durch die Protagonistin und ihr Erleben stellte sich als zentraler Drehpunkt (oder Zielscheibe?) der Diskussion heraus. Zum Prinzip der subjektiven Perspektive kehrte Schneider oft als Begründung zurück, wenn Dramaturgie und Bildpolitik des Films befragt und auch kritisiert wurden. Umgekehrt zielten nicht wenige der interessierten bis kritischen Nachfragen darauf ab, die geläufige Rede von der Nähe zur Protagonistin zu perforieren.

Entsprechende Linien der Befragung wurden schon zu Beginn am Podium gezogen: Bettina Braun merkte an, dass sie der Geradlinigkeit der Heldinnenreise und der Deutlichkeit der gewählten filmischen Mittel (etwa die Zeitlupe bei den Kämpfen und die klare Farbdramaturgie mit blau für Kampfszenen und rot für Zuhause) in diesem konkreten Fall für angebracht und durchaus lustvoll anzusehen hielt. Die Wahl dieser Mittel aus dem Sportfilmkino wäre nicht bloß als Signet der Filmhochschule Baden-Württemberg in Ludwigsburg zu verbuchen (von Braun spitz gefasst als „Keine Angst vor Eindeutigkeiten“), sondern für die Themensetzung in Eye Candy speziell plausibel: Der Film verhandle schließlich mit dem Wrestling-Showgeschäft bereits Fragen des Selbstentwurfs und die Verstrickung von real und fake. Ob denn nicht auch die reale Person Yasmin Lander und ihre Biografie als Konstrukt – als Arbeit am Sich-Erzählen – sichtbar würde, wenn die Protagonistin pünktlich beim Lesen eines Briefes aus ihrer Jugend an ihr älteres Selbst in Tränen ausbreche? Dagegen pochte Schneider auf die Realität des Moments: „Das war tatsächlich so“ – und Ergebnis sowohl eines langen Drehprozesses als auch eines Glücksfunds.

In der Diskussion wurde die Frage der Konstruktion einer Protagonistin dann allmählich in verschiedene Stränge auseinander gedröselt, welche Braun sich zwischendurch auch zu ordnen bemühte. Da ist zum einen die Befragung weiblicher Schönheitsideale, die im Kontrast der Alter Ego-Figuren Penelope und Charlie Morgan formuliert sein will. Auf die Anmerkung Brauns, auch als Charlie Morgan sei Yasmin doch „auch immer schön“, antwortet Schneider, der Prozess einer Befragung des eigenen Gender-Erscheinungsbilds habe bei Yasmin erst allmählich eingesetzt. Hier hakt im Publikum Pia Hellenthal ein: Im Film sagt die Protagonistin explizit, als Charlie Morgan kein „eye candy“ fürs Publikum zu sein. Warum dann der Filmtitel, der ihrer Selbsteinschätzung offen widerspreche? Schneider meint, der Titel solle sie nicht widerlegen, sondern der Begriff des „eye candy“ mit seinem Glamour über den Film hin für eine Selbstermächtigung reklamiert werden. Ein Mann im Publikum sieht die Emanzipation in der Rollenfindung von einer Wrestling-Figur zur anderen hingegen geglückt und auch glücklich filmisch transportiert.

Dass der Film die gesundheitlichen und existentiellen Gefahren des Wrestling-Betriebs – Verletzungen, Abhängigkeit von Schmerzmitteln – zwar erwähne, aber eher an den Rand seiner Underdog-Narrative stelle, begründet Schneider wieder aus der Binnenperspektive Yasmins heraus: „Sie sieht die Probleme, aber schaut vorbei“ – und der Film mit ihr, wie eine Stimme aus dem Publikum anmerkt. Die Brüche mit dieser Binnensicht, die Schneider im Film angelegt sieht, sind einigen Mitsprechenden zu schwach. Ein „Mangel an Löchern“ wird dem Film etwa hinsichtlich seiner großzügigen Portionen Gitarrenmusik konstatiert, und Bastian Blachut probiert eine Gleichsetzung: Wolle der Film in seiner eigenen Art, Selbstentwürfe gefällig auszugestalten statt zu dekonstruieren, eine Metapher anbieten für das Wrestling-Geschäft als Produktion von Lügengeschichten? Eine Frontstellung von Wahrheit versus Konstruktion findet Schneider nicht brauchbar dafür, über die filmische Gebautheit einer Figur zu sprechen, erst recht, wenn diese sich selbst eine Wrestling-Persona als Wunschfigur erfunden hat. Die Yasmin des Films will Schneider auch auf Rückfrage nicht als Konstruktion verstanden wissen: „Sie ist eine klassische Protagonistin. Manches gibt sie preis, manches nicht.“ Entsprechend sei etwa ihr homosexuelles Coming-Out erst spät im Film gesetzt, weil das der allmählichen Öffnung im Reden auch über ihr Privatleben während des Drehs entsprochen habe.

Die Kämpfe fokussieren schon aus produktionslogistischen Gründen – sie wurden nur mit einer Kamera gedreht – auf Charlie Morgan. Gelobt wurden die Probenszenen, die einen Einblick in die gemeinsame Verfertigung der durchgeskripteten Wrestling-Kämpfe durch die involvierten „Gegnerinnen“ geben. Das gibt beim Protokollieren zu denken: Ob Dokumentarfilm-Diskussionen wohl selbst eher Wettbewerbssport um Deutungshoheit sind oder kollaboratives Geschichten-Basteln? In diesem Filmgespräch ging das unentschieden aus.