Film

What the Wind Took Away
von Helin Celik, Martin Klingenböck
AT/TR 2017 | 75 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
11.11.2017

Diskussion
Podium: Helin Celik
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Agnese Kušnere

Synopse

Beete anlegen, um neuen Grund zu kultivieren, Verschläge zimmern, um Raum zu gewinnen: Anbau am monotonen Zwischenort. Die jesidischen Mütter Hedil und Naam sind mit ihren Familien vor dem IS in ein südosttürkisches Camp geflüchtet. Stolz pflegen sie Bräuche und Erinnerungen, halten aus und säen Zukunft. 

Protokoll

Zwei Frauen erzählen ihre Geschichte. Beide vereint ein Ort. Ein Lager für Geflüchtete. Wir lernen die erste Protagonistin kennen. Sie sagt: „Ich liebe Trauriges. Trauriges ist wunderschön!“ Sie, bezieht uns, die Zuschauer mit ein, spricht direkt in die Kamera. Die Filmemacherin Helin Celik beschreibt die philosophische und poetische Natur der Protagonistin. Dieser Aussage liege nicht bloß eine Depression zugrunde, sondern die Erkenntnis, dass aus der Dunkelheit Schönheit entstehen könne.

Drachen werden über Zeltdächern steigen gelassen. Wir sehen das Lager. Die Einstellung ähnelt jedoch nicht den gewohnten Berichten aus dem Fernsehen. Die Filmemacherin wolle den Rezipienten den Raum geben, das Gesagte am Anfang verarbeiten zu können und gleichzeitig ein Gefühl für Monotonie der Lagerkomplexe schaffen. Alle Bilder des Filmes seien vor Ort entstanden ohne vorherige Konzeption.

Neben ihren Gedanken und Erinnerungen, Wünschen und Hoffnungen sprechen die beiden Protagonistinnen Yazidi und Heidil über ihre Fluchterfahrungen. Der Völkermord an den Jesiden, verübt durch die Terrormiliz Islamischer Staat, zwang sie zu der Flucht in das südosttürkische Camp. An diesem Transitort, einem Lebensraum auf unbestimmte Zeit, bemühen sie sich um ein wenig Halt, indem sie neue Räume schaffen, Gewohnheiten kultivieren und Traditionen pflegen.

Eine Zuschauerin lobt den Film. Die Bilder von der Flucht, entstanden durch die Erzählungen der beiden Frauen, seien sehr lebendig gewesen. Die Filmemacherin erklärt, dass es ihr besonders wichtig gewesen sei, nicht bloß die Flucht zu thematisieren und die Menschen unter dem Sammelbegriff „Flüchtlinge“ darzustellen. Vielmehr wollte sie die individuelle Geschichte der beiden Frauen in den Vordergrund des Filmes rücken.

Auf einer Recherchereise vor der Entstehung des Filmes fand Celik eine ihrer Protagonistinnen. Drei Wochen vor dem Dreh habe die junge Frau Selbstmord begangen. Celik setzte ihre Suche behutsam fort und fand darauf zwei Familien, die an einer Teilnahme interessiert gewesen seien, und somit die Protagonistinnen Naam und Hedil. Die Männer des Lagers hingegen seien in einer eher passivem Rolle dargestellt, bemerkt Werner Ružička. Celik verweist auf die problematischen und festgefahren Hierarchien, die sie vorfand. Entsprechend hätten die Männer auch während der Dreharbeiten versucht, Hauptrollen zu übernehmen. Celik habe sie ausreden lassen, die Kamera auf sie gehalten, manchmal ohne sie zu filmen. Nachdem die Männer fertig gewesen seien, hätte Celik mit dem eigentlichen Dreh begonnen und die Frauen zu den jeweiligen Themen befragt. Langfristig habe man ihre filmischen Entschlüsse allerdings verstanden und akzeptiert. Im Film ist außerdem eine Gruppe von älteren Männern, gekleidet in traditionellen, weißen Gewändern, zu sehen. Werner Ružička nimmt diese als eine Art „Lagerälteste“ wahr.

Ascan Breuer, der Cutter und Dramaturg des Filmes, verweist auf die Stimme der Protagonistin, die unmittelbar, bevor das Bild der Männer zu sehen ist, Geflüchtete im Lager mit „Tauben ohne Flügel“ vergleicht. Durch die anhaltende Langeweile und das Verbot, sich weit vom Lager zu entfernen, könne man die Männergruppe mit der vorigen Aussage in Verbindung setzen. Das Beispiel der Tauben reiht sich in eine Vielzahl von Metaphern und Symbolen ein. Der Glaube jesuitischer Völker an den Gott Pfau wird am Anfang des Filmes auf einer Texttafel erwähnt und später auf einem Tuch von den Einwohnerinnen des Lagers verbildlicht. Auch das Motiv des Wachstums, der Neuentstehung und des Wiederaufbaus wird durch die mühsame Zucht von Petersilie und den Bau eines gemeinsamen Koch- und Waschraumes bildhaft dargestellt. Der Gang der Protagonistinnen durch einen Tunnel zum Schluss des Filmes sei für die Filmemacherin als Tor der Hoffnung lesbar.

Doch ausgerechnet diese Perspektive, verstärkt durch Texttafeln, die über den Verbleib der Frauen und ihrer Familien informieren, suggeriere einen Abschluss, ein Happyend, obwohl die Geschichte der Flucht nicht vorbei sei, führt ein Zuschauer an. Weiterhin bezieht er sich auf eine vorherige Aussage der Filmemacherin darüber, dass die Entscheidung für die Bildsprache fiel, weil sie funktioniert habe. Der Zuschauer fragt sich, was es bedeutet, wenn eine Zeugenaussage funktioniert. Die Filmemacherin erkennt an, dass das Wort „funktioniert“ nicht das geeignetste sei. Mit „funktionieren“ meine sie aber ausschließlich ihre subjektive Wahrnehmung. Die Flucht nach Deutschland sei für eine der beiden Familien ein größeres Leid gewesen als die Flucht aus ihrer Heimat. Hinzu leide die andere Familie immer noch unter Verfolgung. Die Infotafel am Ende hätte damit einen Schwebezustand implizieren sollen und kein Happyend.

WHAT THE WIND TOOK AWAY ist der abschließende Film der 41. Duisburger Filmwoche. Werner Ružička verabschiedet sich. Man solle diesen Moment der Utopie, jenseits des Realen als eine Möglichkeitsform des dokumentarischen Arbeitens beschreiben. Er habe sich gefreut, viele solcher Möglichkeitsformen und ‑beschreibungen gesehen zu haben. Nicht viele Filme hätten am Ende den Optimismus von WHAT THE WIND TOOK AWAY. Andere Beiträge hätten entschieden skeptischere Formen, was Wirklichkeitsbeschreibungen anginge. Doch genau das mache den Reichtum des Dokumentarischen aus.

 Werner Ružička, Helin Celik, Ascan Breuer v.l.  © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Werner Ružička, Helin Celik, Ascan Breuer v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald