Film

Rote Malam
von Samuel Heinrichs
DE/ID 2017 | 25 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
09.11.2017

Diskussion
Podium: Samuel Heinrichs
Moderation: Henrike Meyer
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

Lichtkegel schreiben Signale vom Horizont über das Meer gen Küste. Künstliches Licht strahlt von beweglichen und stillstehenden Quellen, ein Wetterleuchten zuckt zwischen schwarzen Wolken. An Land erzählt man sich Geschichten, während Kopfleuchten und Zigaretten Löcher in die Nacht schlagen. Bei Sonnenaufgang werden Konturen deutlich und die Fischernetze wieder eingeholt.

Protokoll

„Du musst am Tag wiederkommen.

Wenn es hell ist.

Die wunderschönen einsamen Sandstrände.

Die grünen fruchtbaren Landschaften.

Das Dorf.

Sehen.“

formuliert sinngemäß ein Bewohner der Roten Insel in Samuel Heinrichs Film ROTE MALAM, als er den Filmemacher nachts beim Drehen auf der Straße begegnet. Aber sind das die Bilder, welche der Filmemacher einfangen möchte? Er stellt sich:

Fragen der Fremde

Und eine Fremde war es für Samuel Heinrichs tatsächlich. Die Rote Insel im südlichen Indonesien war ein ihm völlig unbekannter Ort, auf den man sich kaum vorbereiten konnte. Zweieinhalb Wochen verbrachten er und vier andere Filmemacher aus der Hochschule für bildende Künste Hamburg in Indonesien. Um Blicke auf Fremde auszutauschen mit wiederum fünf Filmemachern aus Indonesien, die danach in Deutschland für sie fremde Orte filmten. So entstand das Projekt „5 Inseln/ 5 Dörfer“, eine Zusammenarbeit zwischen dem Goethe Institut Jakarta, der Universitas Indonesia und der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Dabei, erzählt der Filmemacher, versuchten sie jeweils als indonesisch-deutsches Zweierteam an periphere, nicht touristische Orte zu gehen. Orte, die man sonst nicht besuchen würde.

Solch ein freies Konzept ist natürlich eine große Herausforderung, meint Samuel Heinrichs. Man muss lernen die Überforderung der Fremde zu bewältigen. Verschiedene Fährten verfolgen, um sich letztendlich dann zu limitieren.

So konzentrierte er sich zu Beginn zehn Tage lang auf konkrete Fährten. Auf Helligkeit, den Tag, Dinge die sichtbar sind. Er wollte politische Aspekte in einem Dorf offenlegen. Ein Dorfältester führte ihn durch dieses, schlug Protagonisten und Orte vor. Umgeben von bis zu zwanzig Leuten und allein mit der Kamera bekam Samuel Heinrichs extrem viel Aufmerksamkeit. Aber auch Erwartungen und vorgefertigte Blicke. Allein den Ort zu erkunden, dafür gab es keine Freiräume. Zusätzlich trennte ihn eine Sprachbarriere. Er stand in ständiger Abhängigkeit von seiner Übersetzerin. Eine Unzufriedenheit stellte sich ein. Die Feststellung, dass der Ort sich entzieht. Samuel Parkes Heinrich empfand es als zunehmend anmaßend, etwas über dieses Dorf zu erzählen, über das er nichts wirklich wusste.

Er begann von vorn. Fragte sich, wie kann ER auf der Rote Insel ankommen. Seinen Blick freilegen. Begab sich zurück ins Dunkel.

Malam – die Nacht

Dieses Dunkel war für ihn der Schutz der Nacht, die ihm Raum bot, sich frei zu bewegen und gleichzeitig zwang, sich auf einen Ort zu limitieren. Auf eine Straßenecke und ihren 20-Meter-Umkreis. An der Küste, welche die Insel als Ort begrenzt und gleichzeitig definiert. Einen Ort der Erwartung wie Werner Ružička bemerkt.

Erwartungen und Warten spielten dabei sowohl für den Filmemacher als auch für die Einheimischen eine große Rolle, wie sich herausstellte. Als Samuel Heinrichs das erste Mal um Mitternacht an die Straßenecke an der Küste kommt, hätte er nicht erwartet, dass er nur blickende Punkte am Horizont zu sehen bekommt. Ansonsten einsam bleibt. Er hatte gehört, dass ab Mitternacht damit zu rechnen wäre, dass der Fisch von den Fischerbooten ankommt. Eine der größten Einnahmequellen der Einheimischen. Und so wartete er auf den Fisch, wie es tagtäglich die Einheimischen tun, obwohl er oft nicht vor Mittag des nächsten Tages kommt. Beobachtet, was passiert, was aus dem Schatten der warmen und schwitzigen Nacht heraustritt. Deswegen, so erklärt er, der Titel. „Malam“ ist das Wort für Nacht. „Malam“ auf der Rote Insel. Rote Malam.

Die Möglichkeit eines nicht anmaßenden Blickes

Dabei glaubt der Filmemacher in der Nacht eine Möglichkeit für einen nicht anmaßenden Blick gefunden zu haben, der ihm bei seinen Dreharbeiten am Tag verwehrt geblieben war. Seine Präsenz, so ein Zuschauer, bleibt spürbar. Aber es ist eine angenehme Präsenz. Eine Präsenz, die zum Ort zu gehören scheint.

Diese, meint Samuel Heinrichs, konnte entstehen, weil er und seine Übersetzerin in der gleichen Situation waren wie die Einheimischen. Gemeinsam warteten. Immer und immer wieder. Nacht um Nacht. Fünf Mal. So entstanden Gespräche. Neugier. Akzeptanz. Was ohne die offene Art der Übersetzerin, die für ihn viel mehr als nur das war, nicht möglich gewesen wäre. Diese Akzeptanz wurde für ihn offensichtlich, als die Fischverkäufer ihm die Fische im Eimer zur Kamera brachten. In der Annahme, er würde darüber seinen Film drehen.

Dabei war es für den Filmemacher trotzdem schwierig, ein Stück der Kontrolle, welche er am Tag gehabt hätte, abzugeben. Bis zuletzt stand der Gedanke, Interviews mit den Fischverkäufern über die Prozesse und die wirtschaftliche Seite des Fischfangs zu führen. Mehr zu verstehen und offenzulegen, als das, was er beobachten konnte. Als er jedoch zwei Tage vor Ende seines Aufenthalts den Versuch unternimmt, kann er niemanden an der Straßenecke finden. Ein Sturm verhindert, dass die Boote rausfahren können. Mit den Booten sind auch die Fischverkäufer verschwunden.

Irgendwie ein Glücksfall, bemerkt eine Stimme aus dem Publikum. Denn es wird trotzdem deutlich, wie prekär ihre Arbeit ist. Wie gefährlich und hart. Auch wenn die Arbeit selbst im Dunkeln bleibt.

Entwicklung von Sichtbarkeit

Man kann also doch von Sichtbarkeit bei ROTE MALAM sprechen. Der zunächst scheinbar unendliche Raum offenbart sich dem Zuschauer langsam. Stellt ihn vor Herausforderungen. Den Versuch, aktiv zu verorten, und gibt gleichzeitig doch die Freiheit, uns auf „unsere inneren Bilder zurückzubesinnen“, wie Henrike Meyer bemerkt. Diese Entwicklung von Sichtbarkeit erzeugt der Filmemacher geschickt.

Es war ein instinktives Arbeiten. Manchmal trance- und rauschartig. Eine „Expansion des Sinnlichen im Dunkel“, wie Werner Ružička sagt. Geprägt vom Kontrollverlust, den die mangelnde Möglichkeit des Sehens in der Nacht hervorruft.

In der ersten Nacht, erzählt Samuel Heinrichs, wusste er nicht, was wirklich auf den Aufnahmen zu sehen sein wird. Der kleine Monitor erlaubte ihm keinerlei Einschätzung. In der zweiten Nacht ahnte er, dass es funktionieren könnte. Entschied sich für eine statische Kamera mit offener Blende, um sich auf den Ort zu konzentrieren. Und konnte so Seitenblicke wagen, wie Werner Ružička meint, die „den Unort zum Ort entfalten“. Lampen, Scheinwerfer, der Sonnenuntergang. Mit ihnen verschwindet etwas von der Fremdheit.

Wie weit man bei dieser Auflösung des Fremden geht, wie konkret man werden sollte, das stellte eine zentrale Frage des Schnittes dar. Die Prämisse für Samuel Heinrichs war, den Ort so einzufangen, wie er ihn am ersten Abend erlebt hatte. „Man sieht dann natürlich mit der Zeit mehr. Aber das heißt nicht, dass ich den Ort dadurch besser verstanden habe“, gibt er als Begründung für diesen Ansatz.

Und so besinnt er sich auf die vier Blicke, die er am ersten Abend fand. Schiffe am Horizont. Der Steg. Die 180-Grad-Achse der Straße, mit dem Rücken zum Meer. Wie lange man hinguckt oder hingucken will, das war eine Abwägung. Aus Rhythmus und Instinkt. Und im Hinblick auf das Hinarbeiten auf ein Ereignis. Ein Zuschauer bringt den Begriff des „Organischen“ ins Spiel.

In der dialogischen Zusammenarbeit mit dem Editor Mario Schöning stellte sich heraus, dass vor allem das Hören, wenn der Sehsinn eingeschränkt ist, eine enorme Bedeutung einnimmt. Daher entschieden sie sich, den Schnitt auf Grundlage des hörbaren Ortes aufzubauen. Der konzentrierte Atmosphärenton wurde zum Anker.

Dieser Ansatz, so Samuel Heinrichs, spiegelt auch sein unmittelbares Erleben wieder. Bei seiner ersten Reise außerhalb Europas überwältigten ihn vor allem die Motorräder, Moscheen und Tiere in Indonesien. Und genau diese hören wir nun wieder. Aus einem „Soundteppich“ löst sich manchmal einer dieser Eindrücke und fügt sich dann wieder ein. Gespräche im Dunkeln finden statt und verklingen wieder. Ungekürzt. Eher im Vorbeigehen geführt. Verknüpft durch das stets präsente Geräusch der Generatoren der Fischerboote. Der Ort wird greifbarer.

Und trotzdem bleibt man fremd, findet ein Zuschauer. Aber das sei eben auch die große Qualität des Films. Nicht alles offenlegen zu müssen. Das „blinde“ Herumstreifen zu akzeptieren und so etwas einzufangen, was wir alle kennen.