Film

Final Stage
von Nicolaas Schmidt
DE 2017 | 32 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
07.11.2017

Diskussion
Podium: Nicolaas Schmidt, Arne Körner (Kamera)
Moderation: Katrin Mundt
Protokoll: Cornelis Hähnel

Synopse

Trennung auf der von Werbeslogans beschallten Straße. Schwermut auf dem von Markennamen illuminierten Shopping-Boulevard einer Vorstadtmall. Happy End unter zunehmendem Mond. Eine Liebesgeschichte im Neon-Materialismus: Trennung. Schmerz. Wiedervereinigung – Enjoy!

Protokoll

Am Ende des Tages ist etwas Irritation spürbar. „Und was hat das mit Dokumentarfilm zu tun?“, raunt ein junges Mädchen nach dem Abspann ihrer Freundin zu. Und diese Irritation wird auch bleiben. In der Tat, Nicolaas Schmidts Film FINAL STAGE mäandert durch die Gattungen, lässt sich nicht eindeutig zuordnen: Kurzfilm, Musikvideo, Dokumentarfilm, Experimentalfilm oder gar Werbeclip?

Auf Antworten, wenn nicht gar Erleuchtung hoffend versammelt sich das Publikum im Diskussionssaal. Doch bevor es um die Frage nach dokumentarischen Ansätzen und narrativen Verfremdungen geht, rückt Moderatorin Katrin Mundt zum Auftakt die „Protagonistin“ ins Blickfeld: Die Hamburger Meile, Europas längste Shoppingmeile, wie das Einkaufszentrum sich selbst bewirbt. Ein brutalistisches Gebäudekonsortium im Süden Hamburgs, ein ephemerer Ort der hyperkapitalistischen Tristesse, ein trostloses Trugbild des Glücks, gerahmt von karger, fast artifiziell wirkender Natur. Ein unschöner Ort, der nicht anheimelnd sei und an dem man sich nicht zu Hause fühle, wie Mundt es zum Auftakt des Gesprächs formuliert. Schmidt widerspricht. Er war vor kurzem in Schweden, in Uppsala, und ja, dort sei es schön gewesen. Wirklich schön, betont er nach einer kurzen Pause und lächelt. Aber er sei im Bezirk Barmbek-Süd zu Hause. Er habe während seiner Wohnungssuche von Leipzig aus die Gegend via Google Maps erkundet und sie gut gefunden und sei letztlich sogar froh, keine Wohnung in der Schanze bekommen zu haben. Bereits hier wird klar, dass auf dem Podium zwei unterschiedliche ästhetische Standpunkte aufeinandertreffen, die nicht immer zusammenkommen. Aber das scheint programmatisch für einen Abend, an dem immer wieder klare Kategorisierungen verschwimmen.

Mundt verlässt daraufhin das Thema Ästhetik und verweist auf die formale Funktion der Architektur, die hier als Bühne fungiere, welche, kulturhistorisch betrachtet, sowohl für das Spektakel, die Scheinhaftigkeit und den Fake stehe, aber zugleich ein Ort der Aufklärung sei. Warum erzählt man dort eine Liebesgeschichte? Das Gegenteil sei der Fall gewesen, betont Schmidt. Er habe die Hamburger Meile erzählen wollen, ihn habe interessiert, was passiert, wenn er da mit der Kamera draufhalte. Und weil er eh ständig vor Ort gewesen sei, habe er probeweise mit dem Handy gefilmt. Jedoch habe die Plansequenz nicht wirklich allein funktioniert und so kam ihn die Idee, sie in eine minimale Narration einzubinden. Als Inspiration habe ein Clip einer skandinavischen Queer-Organisation gedient, die eine Szene aus dem Film A SWEDISH LOVE STORY (1970) von Roy Andersson adaptiert hatte. Und vermutlich beginnt hier das angstfreie Verschieben der Genregrenzen. Vom Spielfilm über die Kampagne zum Genre-Hybrid. Ein gewollt dichter Kosmos von Verweisen, Inspirationen und Zitaten. Vielleicht greift auch hier das Vokabular der Musik besser und FINAL STAGE lässt sich als Remix, gespickt mit Samples und Wiederholungen, beschreiben. Denn nicht von ungefähr ist die Musik extrem präsent, Clip-Ästhetik inklusive.

Von daher verwundert es nicht, dass die Story eher Nebensache gewesen sei. Die elegische Kamerafahrt, die rund zwölf Minuten lang den Hauptdarsteller beim Durchqueren der Mall beobachtet, sei für Schmidt eben das eigentliche Herzstück, die von Trennung und Versöhnung gerahmt wird. Die Narration lediglich das Mittel zum Zweck.

Essentiell sei vor allem die Länge gewesen, der Moment der Dauer, das habe ihn interessiert. Sich auf eine Szene einzulassen, abzuschalten, auszuhalten, das fordert er vom Zuschauer. Er selbst finde es spannend, Filme im Halbschlaf zu sehen, die Momente, wenn man wieder wach werde, manches nicht mitbekommen habe, zurückspule, etwas doppelt sehe und plötzlich seltsame Details in den Vordergrund rücken. „Im Kino schlafen bedeutet, dem Film zu vertrauen“, heißt es ja so schön, aber demnach steckt im Halbschlaf eine Portion Argwohn. So lautet die erste Publikumsmeldung von Filmjournalist Rüdiger Suchsland, der sich wunderte, dass der Film in Duisburg laufe, auch folgerichtig: „Was ist hier inszeniert?“ Bzw. wolle er auch von der Auswahlkommission wissen, warum der Film hier laufe. Werner Ružička reagiert prompt und erzählt von einer ähnlichen Situation an anderer Stelle, bei der am Ende die doch etwas simple Definition „Dokumentarfilm ist das, was ein Dokumentarfilmfest einlädt“ stand. Nach dieser Anekdote unterstreicht er aber, dass der Film in seinem Duktus eine dokumentarische Einheit bilde. Für ihn sei es eine Topographie des Realen und in seiner Verlangsamung ein Moment der Verfremdung und ein Sehgenuss, der fast bis zur Trance reiche. Es sei wichtig, in solche Bereiche vorzudringen, betont Ružička. Ob die Begründung sämtliche Zweifel aus dem Weg geräumt hat, ist fraglich, aber der Elefant im Raum wurde endlich angesprochen: Ja, FINAL STAGE lässt sich nicht eindeutig zuordnen. Ja, das wissen wir selbst. Aber wir wollten ihn zeigen.

Schmidt kommt auf die Frage der Inszenierung zurück und erwähnt, wie viel Glück sie hatten, denn das Verhalten der Passanten sei natürlich nicht vorhersehbar gewesen. So etwa bei der Szene, in dem eine Frau mit einem Luftballon an der Kamera vorbeiläuft und den Eingang des Centers nicht auf Anhieb findet – ein Minidrama von cineastischer Größe. Gedreht wurde übrigens heimlich, erzählt Kameramann Arne Körner. Man habe einen Kinderwagen umgebaut und durch ein seitliches Loch im Sonnendeck gefilmt – auf das Schmidt zwecks Tarnung der Linse noch weitere schwarze Punkte geklebt hatte. Cineastisches Camouflage. Sechs Takes habe man gedreht, der letzte sei auch der Beste gewesen, da war der Hauptdarsteller schon entkräftet, aber die ersten Leute hätten allmählich begriffen, dass gefilmt wird. Ob etwas von der Bewegung der Umgebung choreographiert wurde, dazu sagt Schmidt nichts, aber der Mond am Abendhimmel, der sich von einer Sichel zum Vollmond wandelt, den habe er tatsächlich nachträglich bearbeitet.

Die nächste Wortmeldung im Publikum spricht für die Auswahl: Wenn bei Spielfilmfestivals Dokumentarfilme im Wettbewerb laufen, könne sich auch ein Dokumentarfilmfest für Spielfilme öffnen. Überraschend sei die Auswahl trotzdem. Allerdings sei nicht alles, was die Essenz von realen Orten, an denen ein Film gedreht wird, erfasse, gleich ein Dokumentarfilm. Idealerweise sollte spätestens an diesem Punkt die Diskussion über die Grenzen des Dokumentarischen heißlaufen, aber, wie so oft heute Abend, bleiben die Positionen eher uneindeutig.

Und so wendet sich das Interesse von der formalen zur inhaltlichen Seite. Am Ende des Films steht das schwule Paar eng umschlungen in der Dämmerung und wird von einer Gruppe Männer angegriffen und verprügelt. Nachdem beide am Boden liegen folgen Inserts wie „Enjoy your Life“ und „Enjoy your Freedom“. Dieser aggressive Epilog scheint einige Zuschauer irritiert zu haben. Zynisch sei das. Fast ein Haneke. Schmidt offenbart, dass zwei Versionen des Films existieren würden, eine sei fünf Minuten kürzer und in der fehle die Schlägerei. Die kürzere Version sei konsequenter und entspräche ihm auch mehr, die längere wiederum sei mehr ein formales Experiment. Und er ergänzt: „Ich finde das auch zynisch.“ Da ist sie wieder, die leichte Indifferenz. Vielleicht liegt aber die Entscheidung, auch dieses Ende erzählen zu wollen, doch am Ort, denn später, als noch mal über die Dreharbeiten gesprochen wird, sagt Kameramann Arne Körner über die Location: „Das ist ein völlig menschenfeindlicher Ort, der macht was mit Dir.“

Moderatorin Katrin Mundt betont, dass ja trotz des Zynismus’ viele Motive der Romantik präsent seien und fragt sich, ob der Film als Neuauflage von romantischen Konzepten verstanden werden könne. Schmidt erwidert, dass ihm Romantik und Emotionen wichtig seien, gerade wenn man lang und ausdauernd erzähle. Das sei etwas, was ihm bei z. B. James Benning mitunter fehle.

Die finale Wortmeldung aus dem Publikum kehrt noch mal zur Diskussion um das Dokumentarische vs. das Nicht-Dokumentarische zurück. Der Stachel sitzt doch schon irgendwie. Joachim Schätz betont, er finde die permanente und strenge „arthistorische Gattungsbürokratie“ putzig, denn schließlich müsse man immer ein Messlot durch einen Ort senden, damit er lesbar werde. So habe man 1916 genau gewusst, wie man eine Kohlegrube bewirbt: Man habe einfach einen Mann am ersten Arbeitstag gut gelaunt in den Schacht geschickt. Das sei ein genuin dokumentarisches Verfahren, um einen Ort zu schälen. „Das war keine Frage“, beendete er seine Wortmeldung. Gelächter im Publikum. Natürlich nicht. Schließlich können wir ja die Dinge intuitiv richtig einordnen.