Film

Constructed Futures: Haret Hreik
von Sandra Schäfer
DE 2017 | 29 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
10.11.2017

Diskussion
Podium: Sandra Schäfer
Moderation: Katrin Mundt
Protokoll: Jan Harms

Synopse

Behausung als Gegenoffensive, Architektur als Vitrine des Nationalen: Das Wohnviertel Haret Hreik beherbergt und versteckt das Hauptquartier der Hisbollah und wurde im Libanonkrieg schwer beschossen. Sein identischer Wiederaufbau ist eine politische Geste der Raum- und Erinnerungskonstruktion ohne Brüche und Narben. 

Protokoll

In vier Episoden zeigt CONSTRUCTED FUTURES: HARET HREIK Aspekte von Erinnerung und Wiederaufbau im Beiruter Stadtviertel Haret Hreik, das durch israelische Luftangriffe 2006 zerstört wurde: Propagandavideos der Hisbollah, die die Rekonstruktion feiern; ein Architekt, der eine spezifisch arabische Bauweise anstrebt; eine Mutter, voller Stolz und Trauer für ihren als Märtyrer gefallenen Sohn; und einen Auftritt von Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah. Wie die ideologisch durchsetzten Statements thematisiert auch der Film in seiner Form An- und Abwesenheit, belässt Sprecher*innen im Off und lässt leere Räume kommunizieren.

Katrin Mundt beginnt mit einem Vergleich zum zuvor gezeigten Film BICKELS [SOCIALISM] von Heinz Emigholz. Beide beschäftigen sich mit der architektonischen Prägung von Raum, doch während sich Emigholz dabei auf die individuellen Spuren eines Architekten konzentriert, steht bei Sandra Schäfer vielmehr das Aufgehen des Bauens in der Ideologie – und damit in der Anonymität – im Zentrum. Es ergibt sich die Frage nach dem Bezug zu einem weiteren, parallel entstandenen Projekt von Sandra Schäfer: der Videoarbeit CONSTRUCTED FUTURES: MLEETA. In beiden Arbeiten untersucht sie den Bau von Monumenten durch die Hisbollah, die auf diese Weise ihre Territorien zu markieren versucht. In Mleeta geschieht dies durch ein Museum des Widerstands, das Schäfer in indirekter Verbindung zum Wiederaufbauprojekt in Haret Hreik sieht. Beide hochgradig ideologisierten Bauprojekte stellen eine Verknüpfung mit politischen Botschaften dar, die erst durch die Besucher ihre Vervollständigung erfährt. Diese ständige Involviertheit in Raum und Ideologie war eine große Herausforderung für die Filmemacherin, die zugleich den Fokus der Diskussion bildet.

Wie Katrin Mundt feststellt, zeigt der Film ideologisch-hermetische Räume: Schon die Anfangsszene verweist auf Taschenkontrollen und Sicherheitsvorkehrungen, die nötig sind um diese zu betreten. Auch wenn im Viertel Haret Hreik ein halbwegs normales Alltagsleben möglich ist, so beschreibt Sandra Schäfer, ist die Situation für Dreharbeiten dort äußerst komplex. Möchte man dort filmen, muss man den Weg durch das Media Office der Hisbollah gehen. Schäfer entschied sich bewusst für dieses „offizielle“ Verfahren und nicht etwa heimlich zu filmen. Bei den Regularien handelt es sich um undurchsichtige Richtlinien, die das Filmen im öffentlichen Raum so strikt regeln, dass die Filmemacherin sich darauf nicht einlassen wollte. Daraus ergab sich die Entscheidung, die Dreharbeiten in Innenräume zu verlegen, der Außenraum tritt nur noch durch Fenster oder in den Propagandavideos auf – als Bilder im Bild, wie Mundt feststellt. Die Innenräume, so will Schäfer zeigen, sind zugleich die Räume der Entscheidungen, etwa jene teils trivialen Büros der Hisbollah, in denen einem viel vertraut, einiges aber auch fremd vorkommt.

Die Arbeit der Filmemacherin an einem solchen Ort der Ideologie lässt unmittelbar die Frage nach ihrer filmischen Positionierung dazu aufkommen. Katrin Mundt weist hier auf die Einbettung der Propagandavideos hin, deren Projektion in einem Konferenzraum abgefilmt wurde. Schäfer betont, dass sie dieses Material auf keinen Fall direkt in den Film aufnehmen wollte. Der Raum (der zugleich auch Ursprung der Propaganda ist) ermöglicht es, Distanz zu halten, das Abfilmen aus einem schrägen Winkel reduziert die Qualität und verschiebt den Standpunkt dazu. Ziel der Filmemacherin war es hier, eng am ideologischen System der Hisbollah zu arbeiten, dessen Strukturen aufzugreifen – dabei aber selbst Abstand zu bewahren.

Auch Nachfragen aus dem Publikum kommen schnell auf den Umgang mit dem ideologisch aufgeladenen Material und den antiisraelischen Äußerungen in den Interviews zu sprechen. Eine Zuschauerin fragt nach der Entscheidung, wenig Kontext zu den Statements zu liefern, und stellt das Bild eines „Schunkelns mit der Ideologie“ in den Raum, das von der Filmemacherin aufgegriffen wird. Schäfer antwortet zunächst mit einer unmittelbaren Rückfrage nach den eigenen Seherfahrungen des Publikums, inwiefern man dem Film Komplizenschaft unterstellen könne. Die Irritationen und ausgelösten Selbstbeobachtungen sind einkalkuliert, Schäfer sieht ihren Film auch als eine Herausforderung für das Publikum. Von den Fragen, mit denen sie sich in der Entstehung konfrontiert sah, sollen die Zuschauer*innen nicht verschont bleiben: Wie kann man sich positionieren? Welche Räume muss man zulassen, zeigen und aushalten?

Besonders die vierte und letzte Episode des Films zeigt diese Schwierigkeiten für die Regisseurin auf: Die Szene weicht formal von den anderen ab, spielt sie zwar wieder in einem Innenraum, der aber diesmal eine öffentliche Situation beherbergt, ausgerichtet auf eine zentrale Person. Unter verschiedenen Schnittfassungen entschied sie sich für eine einfache Version, die den Fokus nur auf die Ankündigung des Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah legt und, kurz bevor dieser zu sprechen beginnt, abbricht. Die seitlich platzierten Untertitel machen die ohnehin präsente Sprache zum Teil des Bildes; die Übersetzung der pathetischen, poetischen Sprache erwies sich als äußert schwierig. Ein Zuschauer bleibt unsicher im Bezug auf die Stellung zu den ideologischen Positionen – die Distanzierungsmittel des Films sind für ihn zwar intellektuell nachvollziehbar, im Film erkennt er aber „Schwächen des Zeigens“. Schäfer hält ebendieses Zeigen von Propaganda für nötig, insgesamt bleibt das Verfahren für sie aber bewusst widersprüchlich und unklar.

Eine Zuschauerin merkt an, dass der Film auch schon als Installation auf vier Screens gezeigt wurde. Die Regisseurin ergänzt hierzu, dass dies sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Insbesondere die Möglichkeit der wiederholten Rezeption sowie, die vierte Episode nicht so stark als Ende zu sehen, sieht sie als Stärken der Installation. Aber auch die Rekonstruktion aus dem Gedächtnis, wie sie sich aus der linearen Fassung ergibt, hält sie für reizvoll.

Die Entscheidung, ihre Interviewpartner*innen nicht zu zeigen, so Sandra Schäfer auf Nachfrage aus dem Publikum, stand von Beginn an fest. Stattdessen sollen die sprachlichen Narrative in den Vordergrund und mit den dazu montierten Räumen in Kontakt treten. Es wurden zwar stumme Portraits der Personen gefilmt, im Schnittprozess fielen sie aber aus der endgültigen Fassung. So bleiben die Sprecher*innen der ersten drei Episoden unsichtbar, lediglich die Hände des Architekten werden gezeigt, wie er vehement auf einem Stadtplan von Beirut zeigt, das Territorium markiert.

Katrin Mundt beschreibt, wie sie den Körper des Märtyrers in der dritten Episode auch als einen Platzhalter für das Phantasma der Ganzheit versteht, eine Vorstellung von Einheit, wie sie mit der Rekonstruktion auch für den städtischen Raum angestrebt wird. Der bunt beleuchtete, sich drehende „Schrein“, den die Mutter mit den übriggebliebenen Habseligkeiten des verstorbenen Sohns bestückt hat, scheint eine solche Einheit stiften zu wollen. Sandra Schäfer erklärt, wie diese Vitrine (ursprünglich für Handyläden bestimmt) Sichtbarkeit schafft, eine Möglichkeit, das Andenken auszustellen. Der Raum, in dem sie steht, dient als Wohnzimmer, ist aber auch ein Ausdruck des Wunsches, mit dem Körper des Sohnes in Kontakt zu bleiben. Dieses Gedenken wird dabei durch die Hisbollah „gebrandet“, die Erinnerungsplakate wirken wie martialische Werbung, inklusive eines Logos. Schäfer sieht hier einen Wettbewerb zwischen Propaganda und privater Trauer am Werk, die beiden Sphären scheinen untrennbar verbunden.

Eine Zuschauerin erkundigt sich nach dem Umgang der Regisseurin mit der emotionalen Situation, die trauernde Mutter zu interviewen. Für Schäfer war dies ein schwieriger Prozess, immer wieder taten sich Brüche zwischen persönlicher Trauer und propagandistischen Erklärungsmustern auf. Entscheidend war für die Dynamik der Gespräche stets die Konstellation des Teams beim Dreh – die Regisseurin wurde von einer Toningenieurin und einer Übersetzerin begleitet. In dieser ambivalenten Situation, dem Zusammenbruch eines ideologischen Gerüsts, war es für Sandra Schäfer wichtig, selbst Distanz bewahren zu können.