Film

3 Schichten Arbeit
von Christine Schäfer
DE 2017 | 78 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
11.11.2017

Diskussion
Podium: Christine Schäfer
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

In Abstufungen des Filigranen und der Entfremdung wird jeder Handgriff bei der Herstellung einer Tasse vereinheitlicht. Choreografien der Dezimierung: im Staub eines Tontagebaus, am lärmenden Fließband einer Porzellanfabrik, in der konzentrierten Ruhe einer Keramikmanufaktur. Für die Arbeiter ein verlustreicher Determinismus. 

Protokoll

Das Hier und Jetzt

„So eine Art Film kennt man schon“, war einer der Sätze mit welchen sich Christine Schäfer bei der Suche nach Förderung für ihren Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg ständig konfrontiert sah. Der Arbeiterfilm, so schien es, sei nicht länger notwenig. Es sei schon alles gesagt worden in seiner langen dokumentarischen Tradition, die vor allem in den 60er-/70er-Jahren ihren Höhepunkt fand. Und so verschwindet diese Art von Film langsam aus dem Auge der Öffentlichkeit. Von den Festivals. Oder wird gar nicht erst gemacht.

Dabei ist eine Aktualisierung der Arbeitswelten ins Hier und Jetzt dringend nötig, findet Christine Schäfer. Deswegen stellt sie sich dieser schwierigen Aufgabe auch ohne Förderung. Zurecht, denn die aktuellen Wahlen in Deutschland und den USA zeigen, dass Arbeit, Arbeiter und Arbeitswelten nach wie vor Themen sind, welche die Menschen bewegen.

Archäologie der Arbeit

Wie nähert man sich nun solch einer Aktualisierung des Arbeiterfilms? Für Christine Schäfer spielte zunächst das Produkt und sein Bezug zur Arbeit eine große Rolle. Dabei sollte das Produkt nie den Mittelpunkt des Filmes bilden, sondern eher subtil miterzählt werden, einen Ausgangspunkt schaffen. Sie entschied sich für das Produkt „Tasse“. Ein Gegenstand, der allgegenwärtig ist. Jeden Tag genutzt wird. Durch unsere Hände geht. Über dessen Herstellung wir aber wenig wissen. Wir haben den Bezug zu den Dingen verloren, die wir nutzen, findet die Filmemacherin. Dabei sind es oft die Dinge, welche von uns übrig bleiben, merken Stimmen aus dem Publikum an. Die Tasse wird zum archäologischen Objekt, was irgendwann, in der Zukunft gefunden, etwas über uns erzählt. Das Produkt ist also nicht zu trennen vom Arbeiter, der diese Arbeit verrichtet hat. Über diesen Gedanken nähert sich Christine Schäfer der Arbeitswelt. Die Tasse hilft ihr, sechs Schauplätze auszuwählen. Zwei Tontagebaue, zwei Keramikmanufakturen und zwei Porzellanfabriken. Im Westen Deutschlands. Sie trifft sich mit den Menschen dort. Anhand derer Geschichten, Biographien, aber vor allem auch anhand der Länge ihrer Angestelltenverhältnisse entscheidet sie sich schließlich für einen Tontagebau, eine Keramikmanufaktur und eine Porzellanfabrik.

Diese Orte und die mit ihnen verknüpfte Arbeit helfen ihr wiederum etwas über die Menschen, welche dort tätig sind, herauszufinden. Sie nähert sich dem Fokus ihres Filmes an: Einer Sozialstudie des Arbeiters. Wie ist ein Arbeiter heute? Was bedeutet den Menschen ihre Arbeit? Welche Haltung haben sie zu dieser? Dabei vermeidet die Filmemacherin es, hierarchische Strukturen abzubilden. Sie konzentriert sich auf die Arbeiter und nicht ihre Chefs. Dass der Chef der Keramikmanufaktur dennoch zu Wort kommt, ist eine bewusste Entscheidung. Jahrzehntelang packte er selbst mit im Betrieb an. Verrichtete die gleiche manuelle Arbeit wie die Arbeiter selbst. Das unterscheidet ihn.

Christine Schäfer erzählt, dass sie zunächst dachte, aufgrund ihrer Ortswahl auf mehr Unterschiede zu treffen. Der Arbeiter in einer alten Manufaktur müsse sich doch zwangsläufig von einem Arbeiter in einer modernen, automatisierten Fabrik unterscheiden. Die Arbeit bzw. das spezifische Arbeitsumfeld den Arbeiter prägen, so ihre ursprüngliche Annahme. Zu ihrem Erstaunen traf sie auf ganz ähnliche Haltungen. Man spüre die Gemeinsamkeiten, so eine Stimme aus dem Publikum. Und so ist man auch als Zuschauer öfters überrascht, beispielsweise über den Konsens der Arbeiter, dass ihre Arbeit nicht verschwinden wird. Trotz Roboter. Trotz Billigkonkurrenz.

Kampf um Gleichgewicht

Einen solchen Film zu machen, stellt immer auch viele Fragen an den Filmemachenden: Welche Erwartungen, Ansprüche gibt es an mich und wie gehe ich damit um? Was darf, will und kann ich zeigen? Was nicht? Wo liegen die Grenzen des Moralischen sowohl gesellschaftlich, als auch persönlich? Denn Bilder bedeuten Macht. Das ist Christine Schäfer bewusst, und so wird der Arbeitsprozess zu einem Kampf um Gleichgewicht.

Schon die Drehgenehmigung in der Porzellanfabrik beispielsweise ist geprägt von Erwartungen. Was Dokumentarfilm ist, das schien den Beteiligten unklar. Mit „Langzeitbeobachtung“ können sie wenig anfangen. Wahrscheinlich geistert irgendwo das Bild eines besseren Imagefilms. Eine Drehgenehmigung gibt es zunächst nur für drei Stunden und unter Aufsicht. Dann für zwei Tage. Irgendwann ohne Aufsicht. Die Zeiträume werden immer weiter verlängert. Anders wäre es auch nicht gegangen, meint Christine Schäfer, denn kleine Gesten und Geschichten brauchen Geduld und Vertrauen. Die Ruhe zu beobachten. Und die Zeit, solche Beobachtungen in den Film zu integrieren. Dennoch ist der Betriebsleiter am Ende nicht glücklich mit dem Material. Da heißt es dann, stark zu sein. Seine eigenen Werte an das Material anzulegen. Sich nichts wegnehmen zu lassen, meint Christine Schäfer. Für sie ist es vor allem wichtig, dass die Protagonisten den Film in Ordnung finden und gleichzeitig für diese mitzudenken, was sie da Preis geben. Sich gegen wunderbare, aber für die Arbeiter prekäre Szenen zu entscheiden, weil diesen nicht bewusst ist, was für Auswirkungen die Bilder haben könnten. Es bleiben für die Filmemacherin reale Menschen mit echten Jobs. Und dieser Verantwortung ist sie sich bewusst, auch wenn es ein Kampf gegen die eigene Zensur bleibt. Ein Ausloten von dem was sie als Filmemacherin gerne hätte, was für sie relevant ist und was den Protagonisten gegenüber verantwortbar bleibt.

Fehlstellen und Unebenheiten

Mit Fokus auf ihre Protagonisten und damit auf den Film als Sozialstudie gestaltet Christine Schäfer auch ihre Bildwelten. Die langsamen, statisch rechtwinkligen Einstellungen und „Schwenks in Laufbandgeschwindigkeit“, wie Till Brockmann anmerkt, bieten den Freiraum für genaue Beobachtungen. Und genau das sei ihr Ziel gewesen, erzählt die Filmemacherin. Zeit zu haben hinzugucken was die Arbeiter für Kleidung tragen, was für Frisuren sie haben, ob ihre Nägel gemacht sind. Gestik und Mimik zu erfassen. Herauszufinden, wie sie sich durch ihre Arbeitsräume bewegen. Und was diese Arbeitsräume ausmacht, wie sie gestaltet sind. Dabei konzentriert Christine Schäfer sich ausschließlich auf solche Räume, die auch genutzt werden. So verzichtet sie auf die Abbildung des durchaus schöneren Pausenraums in der Porzellanfabrik, da dieser im Gegensatz zum Raucherraum fast nie genutzt wird. Für sie ist es wichtig, den Arbeiter mit seinem wirklichen Arbeitsort zu verknüpfen. Dieses Konzept wird auch im Schnitt spürbar.

Um das zu erreichen, versucht die Filmemacherin hinter der Kamera zu verschwinden. Diese aufzustellen, einzurichten und abzuwarten. Teil der Arbeitswelt zu werden. Gelegentlich wieder hinter der Kamera aufzutauchen. Fragen an die Protagonisten zu stellen und Gedanken mit diesen zu teilen. Als Ausgangspunkte, die vielleicht später wieder von selbst aufgegriffen werden. Und so herauszufinden, was der Blick der Protagonisten auf ihre Arbeitswelt ist. Was sie darüber mitteilen möchten.

„Die Hausfrau möchte keine Hausfrau auf der Leinwand sehen“

Aber wen soll diese Mitteilung erreichen? Wem bedeutet sie etwas? Warum ist der Film nötig? Diese Frage wird nicht nur bei den Förderern, sondern auch im Diskussionsaal in Duisburg erneut laut. Im Publikum wird Alfred Hitchcock zitiert: „Die Hausfrau möchte keine Hausfrau auf der Leinwand sehen.“ Das kann sie nur zu Teilen bestätigen, meint Christine Schäfer. Bei ihren Protagonisten beispielsweise wurde der Film je nach Ort ganz unterschiedlich aufgenommen. Während die Mitarbeiter der Keramikmanufaktur den Film mit seinen kleinen, genauen Beobachtungen sehr genossen und berührt waren, konnten die Fließbandarbeiterinnen aus der Porzellanfabrik eher wenig mit dem als für sie wahrscheinlich „poetisch“ empfundenen Blick auf die Arbeitswelt anfangen. Sie zeigten sich viel mehr peinlich berührt über ihre Aussagen.

In Duisburg kommt die Frage auf, ob die Protagonisten zwangsläufig etwas mit dem Film anfangen können müssten. Ob nicht trotzdem die Notwendigkeit der Abbildung bestehe, zum Beispiel eben als archäologisches Dokument der Arbeit. Diese Fragen können in diesem Rahmen nicht in letzter Konsequenz geklärt werden. Aber sie stellen Denkanstöße dar. Dennoch wird man sich im Diskussionssaal einig, dass der Film selbst schon Antworten liefert: JA, es muss solche Dokumentarfilme unbedingt weiter geben. Gerade eben in Zeiten, in denen Produkt und Konsum einen so hohen gesellschaftlichen Stellenwert haben. In denen Fabriken weiter existieren. Arbeiter existieren. Und diese, wie in den bereits erwähnten Wahlen, Einfluss auf unser aller Lebensrealität nehmen. Deswegen sei es dringend notwendig sich mit den neuen Arbeitswelten auseinanderzusetzen, stimmt Werner Ruzicka Christine Schäfer zu. Und so hoffe er auf eine Renaissance des Arbeiterfilms.