Film

Offshore – Elmer und das Bankgeheimnis
von Werner Schweizer
CH 2016 | 102 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
10.11.2016

Diskussion
Podium: Werner Schweizer
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: ?

Synopse

Führt eidgenössisch-bürgerliche Penibilität im Schweizer Bankenwesen zwangsläufig zur Nestbeschmutzung? Die Karriere eines Bankiers zwischen buntbehemdeten Gründerjahren auf den Caymans und repressiver Zudringlichkeit gegen den inzwischen so gewandelten wie kompromittierten Whistleblower. 

Protokoll

Der Film beginnt mit einer Einblendung des berühmten Warhol-Zitats: „In Zukunft wird jeder 15 Minuten weltberühmt sein“. Um Fame ging es dem Schweizer Whistleblower Ruedi Elmer wohl kaum. Nach einer Karriere als „Money-Making-Machine“ bei verschiedenen Schweizer Banken begann Elmer 2008 geheime Kontendaten der Bank Julius Bär bei Wikileaks hochzuladen und wurde so zum „Kronzeugen des Schweizer Bankgeheimnisses“. Offshore zeigt ihn uns zu Beginn als Star internationaler Talkshows, bevor er die Geschichte des Mannes, der vom Saulus zum Paulus wurde, von hinten aufrollt. Formal ist der Film vor allem durch einen großen Reichtum an Archivmaterial und die Gegenüberstellung der Biografien des Protagonisten und des Filmemachers geprägt. Nachdem beispielsweise alte Fotografien Elmer als stolzen jungen Mann bei der Kavallerie zeigen, wird Werner Schweizer im danach geschnittenen Archivmaterial berichten, wie er während einer Demonstration gegen den Finanzkapitalismus von einem Gummigeschoss getroffen wurde. Mehrmals betont der Regisseur seine Jugend in linkspolitischen Kreisen und dass er gegen Leute wie Elmer damals eine starke Abneigung gehabt hätte. Weitere ironische Momente werden durch private Fotografien von Elmer ausgelöst, die ihn in lustiger Pose an einem Strand der Cayman Islands zeigen.

Zu Beginn der Diskussion möchte Werner Ruzicka wissen, ob es ein Update der juristischen Situation gibt. Das endgültige Ergebnis des Verfahrens stand erst nach Drehschluss fest. Der Vorwurf der Verletzung des Bankgeheimnisses wurde fallen gelassen, berichtet Schweizer. Elmer sei aber noch für zwei weitere Vergehen angeklagt gewesen (u.a. Urkundenfälschung). Hier habe es eine Geldstrafe gegeben. Zwei Prozesse habe er gewonnen, eine große Tageszeitung musste sich wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts verantworten und eine Richtigstellung drucken. Nun sei Elmer fast wöchentlich bei Kongressen zu Gast, um auf Steueroasen aufmerksam zu machen.

Wie der Filmemacher auf den Stoff aufmerksam geworden ist und ob er Vorbehalte gegenüber dem Thema gehabt hätte, möchte Ruzicka wissen. Die Idee hatte Samir, der Produzent des Films, an ihn herangetragen. Da Schweizer gerade mit einem anderen Projekt beschäftigt war, hätten die beiden verschiedene RegisseurInnen angesprochen, alle hätten das Dossier aber nach drei Wochen wieder zurückgegeben. Das Thema sei ihnen zu verstrickt. Sobald Schweizer mit seinem vorherigen Film fertig war, habe er sich dazu entschieden, das Projekt selbst zu realisieren. Es folgten erste Treffen mit Elmer und bald habe der Regisseur erkannt, dass hinter der Geschichte auch ein familiäres Schicksal steckt. Außerdem kämen beide Männer aus einem ähnlichen Milieu, was ihn schließlich dazu veranlasst hätte, die beiden Biografien gegenüberzustellen.

Eva Hohenberger meldet sich aus dem Publikum zu Wort und äußert ihren Unmut, was diese dramaturgische Entscheidung betrifft. Außer in dem Motiv des „gegen etwas sein“ sieht sie keinen Zusammenhang zwischen den beiden Männern. Schweizer erwidert, dass beide aus einem ähnlichen Umfeld, einem Arbeitervorort, kämen und es für ihn interessant schien, trotz des sehr unterschiedlichen Lebenslaufs, eine eventuelle Seelenverwandtschaft zu hinterfragen. Hohenberger kritisiert auch die Haltung, die der Film gegenüber seinem Protagonisten einnehme. Für sie sei Elmer kein Whistleblower, sondern eine „beleidigte Leberwurst“. Offshore nehme ihrer Meinung nach eine sehr positive Haltung gegenüber Elmer ein, die seine Aktivitäten an wenigen Stellen hinterfrage. Schweizer wollte sich selbst einbringen, genau wie Elmer etwas Persönliches preisgeben und ihn nicht nur für seine Zwecke „ausquetschen“. Eine Publikumsstimme findet, dass diese Einbringung der eigenen Biografie nicht als subjektiver Moment herüberkommt, sondern eher die Vergangenheit als objektive Geschichte wahrnehmbar mache. Dies ist wahrscheinlich auch der Tatsache geschuldet, dass Schweizer nicht selbst als voice-over Erzähler agiert, sondern einen professionellen Sprecher engagiert hat, der auch dem Moderator etwas zu professionell und glatt klingt. Schweizer sei seine eigene Stimme nach einiger Zeit schlichtweg auf den Nerv gegangen, mit dem Sprecher habe er schon einmal zusammengearbeitet.

Eine Diskutantin kann ihren VorrednerInnen nicht zustimmen. Das Einbringen der eigenen Persönlichkeit sehe sie als künstlerische Freiheit. Auch die besonderen Umstände rechtfertigten ihrer Meinung nach die Entscheidung. Anders als viele andere „langweilige“ Dokumentarfilme, „die irgendwelche Protagonisten begleiten“ eröffne Offshore eine spannende und persönliche Ebene. Teile des Publikums kichern verhalten, Schweizer bedankt sich schmunzelnd. Er sieht Elmer als Insider, der schon 2005 als einer der ersten den Begriff „Whistleblower“ benutzt habe. Natürlich habe er viele Fehler gemacht, aber der Film könnte auch trotz oder dank seiner ironischen Momente als Warnung verstanden werden, die eventuelle Nachahmer auf den Boden der Tatsachen zurückholen könne. Auch der Schweiz werde hier ein Spiegel vorgehalten. Ein Banken-Skandal Ende der 1970er Jahre führte zu einer Volksinitiative der Sozialdemokratischen Partei, welche die Abschaffung des Bankgeheimnisses forderte. Bei der Abstimmung im Jahr 1984 stimmten 73 Prozent gegen die Aufhebung. Schweizer ist auch Jahre nach dieser Entscheidung über die bisherige Berichtserstattung verärgert. Es gebe unzählige Filme über die Alpen und jede einzelne Wiese im Land, das Bankgeheimnis wurde jedoch bisher noch gar nicht im Dokumentarfilm thematisiert. Pepe Danquart fragt sich, ob es keine Repressionen seitens der schweizerischen Justiz oder der Presse gegeben habe. Tatsächlich sei der Film regelrecht totgeschwiegen worden, berichtet Schweizer. Nur drei bis vier Pressemeldungen habe es gegeben. Das Schweizer Fernsehen war zwar finanziell an der Produktion beteiligt, hatte aber nur ein Minimum an Geldern einfließen lassen, weswegen Schweizer kein Mitspracherecht gewährt hatte.

Das Ende des Films wird in der Diskussion von einem Gast im Publikum angesprochen. Hier zeigt Elmer dem Regisseur, was sich auf den Datenträgern befunden hatte, die er am 17. Januar 2011 Julian Assange bei einer Pressekonferenz im Londoner Frontline Club vor den Augen von zahlreichen Reportern überreicht hatte. Lange Zeit seien nach diesem Ereignis keine neuen Enthüllungen auf Wikileaks veröffentlich worden, was Schweizer stutzig gemacht hätte. Elmer löst in Offshore auf, dass sich auf der besagten CD schlussendlich nur eine Musikdatei befunden hatte. Elmer habe mehrmals in Gesprächen betont, dass er der Staatsanwaltschaft immer einen Zug voraus sei. Die Daten seien mittlerweile aber ohnehin veraltet, die Konten verschoben und Filialen verkauft, vermutet Schweizer.

In Interviews lässt Offshore auch verschiedene ZeitzeugInnen und ExpertInnen zu Wort kommen. Ruzicka interessiert sich für die Auftritte des Schweizer Soziologen Jean Ziegler. Er sei heute Millionen verschuldet, erzählt Schweizer. Seine Präsenz sei sehr gut für den Film gewesen, da er so auch seine persönliche (linke) Positionierung zum Ausdruck bringen konnte und das Gefühl hatte, sich nicht hinter Objektivität verstecken zu müssen.

Pepe Danquart möchte abschließend betonen, dass der Film trotz aller Kritik eine Form der Sozialreportage darstelle. Diesen Aspekt und den Mut, sich selbst und eine damit verbundene Selbstreflexion in den Film einzubringen, müsse anerkannt werden. Ruzicka findet, dass der Film seinen Teil dazu beigetragen hat, dass Elmer wieder auf die Beine kommt. Schweizer habe den Drang verspürt, dem bisher kaum ernst genommenen Elmer, die Chance zu geben, sich zu den Vorfällen zu äußern.

Zuletzt verkündet Schweizer schmunzelnd, dass ihm in Duisburg bisher immer vorgeworfen war, zu wenig persönlich an seine Themen heranzugehen. Nun sei ihm dies wiederrum angekreidet worden. Er könne es dem Duisburger Festival wohl einfach nicht recht machen.