Film

Bruder Jakob
von Elí Roland Sachs
DE 2016 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
12.11.2016

Diskussion
Podium: Elí Roland Sachs
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Thomas Bosse

Synopse

Jakob konvertiert: Sich einem neuen Gott zuzuwenden, bedeutet für ihn Zäsur; ein Gelübde, sich von den Regeln und Menschen in seinem Leben zu verabschieden. Für seine Familie sind die neuen Sitten und sein missionarischer Eifer eine Herausforderung. Bedeutet ein Schritt zurück für Jakob Läuterung? 

Protokoll

Eine innige Umarmung, Tränen, die fließen und zwei Brüder, die wieder zueinander gefunden haben. Einer der beiden Männer ist der Filmemacher Elí Roland Sachs. Mit dem Film Bruder Jakob liefert er eine ganze private Einsicht in seine Familiengeschichte. Denn sein jüngerer Bruder „Wolf“ (Jakob) konvertierte mit 23 Jahren zum Islam, radikalisierte sich und distanzierte sich von seinen Angehörigen.

Till Brockmann beginnt die Diskussion mit einer Beobachtung: zu einem frühen Zeitpunkt des Films offenbart Sachs ́ Großmutter den Wunsch, Jakob möge ihr seinen Glauben erklären. „War dieser Wunsch seinen Glauben zu verstehen, für dich der Grund den Film zu machen?“ Mehr als um Jakobs Glauben, ging es den Filmemacher darum, seinen Bruder zu verstehen. Zu erkennen, warum die Geschwister so unterschiedliche Wege eingeschlagen haben.

Also könnte man eine therapeutische Intention hinter dem Film vermuten, die familiäre Zerrüttung heilen zu wollen, fügt Brockmann fragend hinzu.

Sachs erklärt, dass sich innerhalb seiner Familie eine „Starre“ entwickelte. Alle seien auf ihn zugekommen, um sich über Jakob zu informieren: Wird er sich radikalisieren? Ist er gefährlich?

Die Leute hätten Angst gehabt, direkt mit Jakob in Kontakt zu treten. Da Sachs ́ das Gefühl umgab, nicht das Recht zu haben für seinen Bruder zu sprechen, entschied er sich dafür, den Film zu machen.

Auffällig für den Moderator sei die Tatsache, dass die Eltern der beiden Brüder vollständig im Film ausgeklammert wurden.

Der Filmemacher betont, dass seine Eltern wegen ihrer Angst vor einer einseitigen, medialen Darstellung nicht im Film erscheinen wollten. Außerdem hätte ihr Einbringen den Film komplizierter gemacht. Es wären zu viele Fragen gewesen, die man mit der Präsenz der Eltern hätte erklären müssen. Diesem Wunsch der Zuschauer, sich die Psyche anhand der Rolle der Eltern zu erklären, wollte er nicht nachkommen. Der Fokus sollte auf seinem Bruder liegen. Schon zu Beginn der Konvertierung war für den damaligen Filmstudenten klar, dass er den Weg seines Bruders begleiten wollte. Dies sei ein langer Prozess gewesen – „Am Anfang willigte Jakob noch ein, sich filmen zu lassen. Doch je mehr er in die neue Religion eintauchte, desto radikaler wurden seine Ansichten.“ – Vier Jahre durfte Elí nicht drehen. Nur einmal beauftragte ihn die Moschee, mit einer Amateurkamera die Trauung seines Bruders zu filmen. Diese Lücke von vier Jahren, so Eli Roland Sachs, sei filmisch schwer zu erzählen gewesen. Vor allem das erste Drittel der Geschichte wird mit den Aussagen seiner Freunde und Angehörigen gefüllt.

Brockmann geht auf diese Aussagen ein: Wenn man Jakobs Wegpartner zuhöre, bekomme man den Eindruck, dass Sachs ́ Bruder ein ausgeglichener, und geerdeter Mensch gewesen sei. Es komme so rüber, als sei es sein freier Entschluss gewesen zu konvertieren. Ein Entschluss, welcher keine Narben hinterlasse. So nach dem Motto „Der Arme musste es halt machen“.

Der Filmemacher kann diese Einschätzung nicht bestätigen. Der „Cut“ mit Jakobs engerem Umfeld sei hart gewesen.

Eine Sache findet Brockmann aber dann doch seltsam: Er könne sich an keinen Dokumentarfilm erinnern, in der sich ein Filmemacher oder eine Filmemacherin in einer Geschichte als Ich-Erzähler etabliere und die Kommentar-Stimme von einer anderen Person gesprochen werde – in diesem Fall von Jakob – welcher der Protagonist des Films sei.

Die Texte auf die Brockmann verweist, die von Jakob aus dem Off vorgelesen werden, seien nicht für den Film geschrieben worden, so der Filmemacher. Vielmehr handele es sich um ausgewählt E-Mails und Tagebucheinträge aus der jeweiligen Zeit. Sein Bruder habe schon immer eine „literarische Lust“ gehabt und in verschiedenen Epochen seine Gedanken festgehalten. Deshalb würden die einzelnen Texte gut zur Narration des Filmes passen. Brockmann wird daraufhin rührselig: „Du hast deinen Bruder lieb“- dennoch sei die Gefahr da, Material zu liefern, welches Jakob als „fürchterlichen Kerl“ rüberkommen lassen könnte. Dies sei seine größte Angst gewesen, bestätigt Sachs. Deshalb war er umso glücklicher, als Jakob ihm eine positive Rückmeldung gegeben hat, nachdem er den Film gesehen hatte. Ein ratloser Diskutant hätte gern mehr Hintergrundinformationen über den Protagonisten bekommen. Er findet, dass Jakob offensichtlich nur aus Religiosität besteht aber der Film vollkommen ausblende, warum er religiös wurde.

Die Ursache-Wirkung-Frage, entgegnet der Filmemacher, funktioniere nicht in dem Film. Eine Aneinanderreihung von Ereignissen, die Gründe für Jakobs Entwicklung geben könnten, würde seiner Meinung nach dem Protagonisten nicht gerecht werden – „Ich bin wie mein Bruder aufgewachsen.“ – Es sei unmöglich zu beantworten, warum sein Bruder sich für ein religiöses Leben entschieden habe und er Filmemacher geworden sei. Ein Redner lobt dieses Vorgehen von Sachs. Denn er mache damit Jakob nicht zu einem „Modell-Fall“.

Brockmann erinnert sich an seine Jugendzeit: „Kann es sein, dass der Islam für die heutige Jugend das ist, was in meiner Osho oder Scientology waren? So nach dem Motto: Wenn schon revolutionär, dann der Islam?“

Eli Roland Sachs zeigt sich überzeugt von dieser These und nennt den Islam „das direkte Gegenmodell zu dem was wir hier haben“. Außerdem finde er den Salafismus sehr überzeugend. [1]

Zwei Fragen interessieren eine Rednerin aus dem Auditorium: „Wie geht es Jakob heute und hast du deinen Bruder durch den Film besser verstehen können?“

Sachs antwortet mit einem Lächeln auf dem Gesicht: Jakob strahle eine große Zufriedenheit aus und sei immer noch sehr gläubig. Außerdem seien sich die Brüder durch den Film viel näher gekommen. Dies habe seine Annahme bestätigt, dass jeder Mensch, egal wie verbohrt er sei, nach Verständnis suche. Deshalb plädiert er dafür, der Ratlosigkeit auf dieser Welt zuzuhören.

Der Filmkritiker Michael Girke findet es großartig, dass der Zuschauer den inner-islamischen Diskussionen beiwohnen könne. Dies werde vor allem in der Unterhaltung zwischen Jakob und dem Iman deutlich. Dennoch zeigt er sich verwundert über das Ende: Es wirke so als ob dieser „merkwürdige junge Mann“ wieder heimgeholt werde. Ihm hätte es besser gefallen, Jakobs Widersprüchlichkeit auch zum Ende darzulegen. Girke überrascht dieses „fette Ausrufezeichen“ (ein anderer Redner spricht in diesem Zusammenhang sogar von „Domestizierung“).

Sachs ist da anderer Meinung: er habe nicht das Gefühl, die Widersprüchlichkeit seines Bruders durch das Ende aufgehoben zu haben. Der Schluss des Films spiegele vielmehr seine Dankbarkeit wieder, dass sein Bruder sich geöffnet habe.

Vor allem die Anfangseinstellung in Bruder Jakob macht metaphorisch deutlich, dass dies keine Selbstverständlichkeit war: Scheinwerferlicht findet seinen Weg durch die Dunkelheit. Im Lichtkegel sitzt ein Fuchs. Er bewegt sich nicht. Aus dem Off liest Jakob einen Brief mit den folgenden Worten vor: „Bruder Elí, schläfst Du noch? Was ist mit dem Islam, mein lieber Bruder? Ich habe Dich schon so oft eingeladen und Du reagierst nicht. Hast Du überhaupt Interesse? Oder bist Du grundsätzlich abgeneigt? Es kann Dir doch nicht gleichgültig sein, dass Dein Bruder überzeugt davon ist, dass Du, wenn Du in Deinem jetzigen Zustand als Leugner der Wahrheit stirbst, für alle Ewigkeiten in die Hölle kommst!“

[1] Im Verlauf der Diskussion wird Sachs dazu aufgerufen, diesen Punkt zu erklären: „Ich finde der Salafismus ist überzeugend, weil er sich auf die Offenbarung Mohammeds reduziert.“ Diese puristische Herangehensweise nehme Koraninterpretationen aus den letzten Jahrhunderten nicht in Betracht.

 Till Brockmann, Elí Roland Sachs v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Till Brockmann, Elí Roland Sachs v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald