Film

The Days Run Away Like Wild Horses Over The Hills
von Marcin Malaszczak
DE/PL/US 2015 | 73 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 39
03.11.2015

Diskussion
Podium: Marcin Malaszczak
Moderation: Joachim Schätz
Protokoll: Lisa Rölleke

Synopse

Freundinnen kommen zum Tanzen oder zum Reden; zum Erinnerungen Sammeln oder zum Erinnern. Gastliche und träumerische Blicke in die Zwischenzeit des Alltags junger Frauen in Berlin und betagterer im ländlichen Polen. Momentaufnahmen, während das Leben weitergeht.

Protokoll

Der Titel, eine Anspielung an Charles Bukowskis gleichnamigen Gedichtband, beschreibt das, was Marcin Malaszczak im Verlauf der Diskussion im Hinblick auf seinen Film mehrmals Dialektik nennt. Im Bezug auf den Titel meint Malaszczak den Widerspruch zwischen der Länge des Titels und seiner eigentlichen Aussage. Ihm geht es wie Bukowski unter anderem um die Auseinandersetzung mit Zeit und deren Wahrnehmung.

The Days… beginnt mit einer Aufnahme aus einem Familienvideo. Ein Kind mit Lamettaperücke spielt mit der Kamera, läuft auf sie zu, entfernt sich wieder. Der Film ist zwar kein Familienvideo, trotzdem gebe es, findet der Moderator Joachim Schätz, eine selbstverständliche Nähe der Kamera zu den Protagonistinnen, in der er eine andere Dynamik als in Malaszczak früheren Filmen sieht. Nach Sieniawka (arte- Preisträgerfilm df 2013) und Orbitalna (df 2014), ist Malaszczak nun also zum dritten Mal mit einem Film in Duisburg zu Gast. Im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten sei der Zugang diesmal ein poetischer gewesen.

Ein weiteres dialektisches Moment in The Days… ist das Spiel zwischen Nähe und Distanz, findet Schätz. Die Position der Nähe ergebe sich durch die enge Beziehung zwischen Malaszczak und den Protagonistinnen. Trotzdem müsse er als Regisseur auch eine gewisse Distanz wahren. Dies sei trügerisch, so Malaszczak, weil einerseits sehr intime, andererseits aber auch bühnenhafte und inszenierte Momente entstanden wären.

Sein Zugang an sich sei von großer Zärtlichkeit gegenüber den Protagonistinnen geprägt gewesen. Es sei ihm auch darum gegangen, filmische Mechanismen nach Außen zu tragen und dafür zu sensibilisieren, dass ein Bild ein Bild bleibt. Schätz möchte noch mehr zum Produktionsmodus wissen. Der Regisseur erklärt, dass es die Lust an der Sache selbst gewesen sei, die ihn dazu veranlasst habe, den Film zu machen. Er habe das Bild zur Spielwiese erklärt und viel ausprobiert und improvisiert.

Schätz weist, wieder im Hinblick auf den stark dualistischen Ansatz des Films, auf zwei klare Setzungen hin, die den Film trotz des großen Spielraums stark rahmen. Der erste Teil des Films zeigt schwarz-weiße Bilder aus Berlin, der zweite Teil besteht aus farbigen Bildern, die in Polen entstanden sind. Auch werden zunächst jüngere, dann ältere Frauen beobachtet, merkt der Regisseur an. Während im ersten Teil das gezeigt wird, was gerade passiert, also ein Jetzt und Hier, sprechen die betagteren Frauen in ihren Gesprächen im zweiten Teil von The Days… über die Vergangenheit und damit etwas, was sich außerhalb des Bildes befindet. Dazu merkt Schätz an, dass auch die Kamera zwei verschiedene Strategien verfolgt. Erst arbeite sie sehr statisch, dann mit größerem Bewegungsspielraum. Die durch Spiegelungen in Fensterscheiben und Fernsehgeräten hervorgerufene Vielschichtigkeit im zweiten Teil des Films begründet der Regisseur durch das hohe Maß an Reminiszenz, das die Frauen in ihren Gesprächen über Vergangenes ausstrahlen.

Das Publikum möchte wissen, wie viel Inszenierung in The Days… steckt. Besonders eine der Berlin-Protagonistinnen, die junge Mutter Maria weckt ihr Interesse. Malaszczak erzählt, dass er schon Anweisungen gegeben hat, darin aber kein Problem sieht. Diese Art des Drehens im privaten Rahmen sei weitaus organischer als bei größeren Drehs und Ideen seien aus Lust und Neugier aber auch Langeweile entstanden.

Der Umgang mit Farbe wirft im Publikum Fragen auf. Während sich Natalie, eine junge Frau aus dem ersten Abschnitt des Films, mit Blick in die Kamera schminkt, wechselt das schwarz-weiße Bild langsam zur Farbigkeit. Warum vollzieht sich dieser Umschwung ausgerechnet an dieser Stelle möchte eine Diskutantin wissen. Malaszczak findet, dass schwarz-weiße Bilder stärker abstrahieren. Die Bilder lassen sich schwieriger verorten und wirkten im Gegensatz zu den Artefakten der Vergangenheit des farbigen Teils entfremdeter und entrückter. Er habe den Moment des Schminkens gewählt, weil es sich schließlich ebenfalls um einen Akt der Transformation handle. Schätz möchte mehr zur nachträglichen Farbbearbeitung wissen. Im Gegensatz zu den schwarz-weißen Filmbildern wirke die Farbe im zweiten Teil intensiviert. Malaszczak habe die Bilder im Bezug auf ihre Farbigkeit bearbeitet, jedoch nicht so stark wie bei seinem Film Orbitalna, der sich durch seinen starken Gelbstich auszeichnete.

Zum Schluss der Diskussion erlaubt sich der Moderator noch die Frage nach Malaszczaks biographischen Kern. In welcher Verbindung steht sie zu dem Film? Der Filmemacher, in Polen geboren und in West-Berlin aufgewachsen, wollte versuchen, das eigene Bewusstsein und mit ihm die zwei unterschiedlichen Lebenswelten abzubilden. Dabei ginge es ihm aber nicht nur um den Inhalt, sondern auch um ein Ausloten des Filmischen. Im Publikum lobt an dieser Stelle ein Diskutant, dass dieses Ausloten in viele verschiedene Richtungen stattgefunden hat. Nicht nur die Dusch- Szene sei ein Zitat, auch das Schminkvideo sei in Form des You-Tube-Tutorials eine oft rezipierte audiovisuelle Form unserer Zeit.

Trotz oder gerade dank seiner konsequenten Dialektik ist The Days… also ein impulsiver und intuitiver Film. Malaszczak betont, dass man das Publikum so für bestimmte Bilder sensibilisieren könne, möchte aber auch festhalten, dass nicht immer alles intellektuell rechtfertigbar sein müsse.