Film

Staatsdiener
von Marie Wilke
DE 2015 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 39
07.11.2015

Diskussion
Podium: Marie Wilke, Alexander Gheorghiu (Kamera)
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: ?

Synopse

Schulung und Praxis, Zweifel und Tat. Das erste Jahr der Polizeiausbildung ist voller Gegensätze, denen die Anwärter ganz verschieden begegnen. Sie müssen Repräsentieren und Schießen lernen – verteidigen derweil den eigenen Idealismus. Der Staat formt, die Uniform will aber noch nicht bei allen richtig sitzen. 

Protokoll

Mit Staatsdiener möchte sich Marie Wilke dem Thema Polizei auf eine rein beobachtende Art und Weise nähern. Die Filmemacherin habe schon 2009 mit der Recherche angefangen. Hier sei sie auch auf den Titel des Films gestoßen. Ein Polizeischüler habe auf die Frage nach seiner Motivation, geantwortet er wolle „Staatsdiener“ werden. Für Wilke schwingt in dem Wort viel Ambivalenz mit. Man könne es sehr positiv und vor allem auch negativ auslegen. Die Produktion des Films habe fast sechs Jahre gedauert, weil sie zunächst Vertrauen zu den beteiligten Personen bei der Polizei aufbauen wollte. Dann folgte die Recherche, die Suche nach einer Produktionsfirma und schließlich der Dreh. Der dauerte ein Jahr, insgesamt gab es 160 Stunden Material.

Brockmann stellt fest, dass das Thema bereits durch viele (dokumentarische) Bilder in TV- Formaten (Scripted Reality und Reportagen) präsent ist. Wilke ginge es darum, sich von diesen bereits existierenden Bildern zu lösen. Die Simulation der Außenwelt und die Spannung zur Realität sei für sie der Ausgangspunkt gewesen. Gerade durch diese Simulation und die damit einhergehende Künstlichkeit hätten Brockmann einige Situationen an Szenen aus Scripted-Reality-Formaten erinnert. Es sei nicht Wilkes Absicht gewesen, diesen Eindruck zu evozieren, aber manchmal werde durch die Verschiebung der Realität in eine simulierte Wirklichkeit einiges deutlicher.

Was diese beobachtende Arbeitsweise für die Kameraarbeit bedeutete und ob es bestimmte Anweisungen seitens der Polizei geben hätte, möchte der Moderator vom Kameramann wissen. Alexander Gheorghiu erzählt, dass die Polizei sie relativ frei habe arbeiten lassen. Mit der Regisseurin habe er genau besprochen, wo die Kamera in welcher Einstellung stehen soll. Besonders im ersten Teil des Films, der die Ausbildung in der Polizei-Fachhochschule begleitet, sei die genaue Positionierung sehr wichtig gewesen. Die beiden wollten durch fehlende Gegenschnitte eine Auflösung der Situationen vermeiden. So sieht man auch im zweiten Teil des Films die Aktionen aus nur einer Perspektive. Dies sei natürlich auch nötig gewesen, um beteiligten Personen nicht zu zeigen. Eine gewisse Distanz zu wahren, sei dem Team sehr wichtig gewesen, sagt Wilke. Bei einer der Schießübungen ist Brockmann hingegen aufgefallen, dass die Aktion aus mehreren Perspektiven gedreht wurde. Diese Übung lief über einen ganzen Vormittag und es sei im Grunde immer dasselbe passiert. Durch verschiedene Perspektiven wollte man neue Aspekte einbringen. Wilke fügt hinzu, dass die Bilder autonom für sich stehen sollten. Sie wollte transparente Bilder schaffen, die ohne Dramatisierung auskommen.

Brockmann spricht die Struktur des Films, seine Zweiteilung in Ausbildung, an. Wilke habe sich schon früh für diesen Aufbau entschieden. Sie habe das Gefühl gehabt, dass in der Theorieausbildung gelernt wird Entscheidungen mit dem Kopf zu treffen, während in der Praxis dann doch aus dem Baus heraus entschieden werden muss.

Brockmann möchte wissen, ob die Polizeiarbeit tatsächlich so wenig schriftliche Arbeit enthalte. Er habe in einem Zeitungsartikel gelesen, dass 60 bis 70 Prozent des Berufs das Schreiben von Berichten umfasse. Ihn wundert, dass dies nur an einer Stelle im Film vorgekommen ist. Wilke findet die Bilder aus Staatsdiener trotzdem repräsentativ, eben weil sie zeigen, wie an einer Stelle das Schreiben von Berichten eingeübt wird.

Außerdem ist dem Moderator aufgefallen, dass die Polizei sowohl die Simulationen während der Ausbildung, als auch reale Einsätze filmisch dokumentiert und somit ein Bezug zu Bildern besteht; Ob die StudentInnen auch hierzu geschult werden. Der Kameramann glaube nicht, dass so etwas stattfinde. Bei der Bereitschaftspolizei, die z.B. bei Demonstrationen und Fußballspielen präsent ist, ginge es vor allem darum, im Nachgang etwas rekonstruieren zu können und sich gegebenenfalls abzusichern. Ein Polizeibeamter aus dem Publikum möchte Gheorghiu korrigieren und berichtet, dass die BeamtInnen sehr wohl dahingehend ausgebildet würden, um eventuelle Straftaten zu dokumentieren und StraftäterInnen zu identifizieren.

Ute Holl findet die Transformation interessant, die die jungen Menschen auf dem Weg zu PolizistInnen durchleben. Es sei heutzutage eine Schwellensituation sichtbar, weil die Polizei versuche, kommunikativer zu arbeiten. Trotzdem werde im Film nicht darauf verzichtet, die Transformation des jungen Mädchens in eine „Polizei-Maschine“ zu dokumentieren. Tatsächlich spricht die Filmemacherin von der Hauptaufgabe der PolizistInnen, die zu etwa 93 Prozent in der Eskalationsvermeidung liege. Auch wenn der Ernstfall selten eintritt, müsse der Umgang mit der Waffe geübt und deshalb ihrer Meinung nach auch im Film festgehalten werden. Einen Wandel der Polizei wollte sie in ihrem Film allerdings nicht darstellen. Der Polizeibeamte im Diskussionsraum lobt den Aufbau des Films und findet dass Staatsdiener ein großes Spektrum der Polizeiarbeit abdecke. Die Übungen würden so akribisch für den Ernstfall eingeübt, damit man sich in einer Gefahrensituation blind auf seine Kollegen verlassen könne. Das Deseskalationstraining sei extrem wichtig.

Peter Ott findet, dass die Menschen, mit denen die PolizistInnen alltäglich zu tun haben den „Bodensatz der Gesellschaft“ darstellen. Es handele sich meist um Schläger und Trinker. Die PolizistInnen müssten sich auf ihre Art und Weise also um diese Menschen „kümmern“. Darüber würde allerdings im Film nicht gesprochen. Wilke findet den Begriff „Bodensatz“ schwierig, gibt aber zu, dass die Polizei oft das einzige Organ sei, das sich für diese Menschen verantwortlich fühlt. Sie habe es aber unangebracht gefunden, die ProtagonistInnen nach ihren Gefühlen zu befragen. Außerdem mache es den Anschein, als würden die Emotionen durch eine zunehmende Professionalisierung während der Ausbildung überlagert. Diese emotionale Ebene hätte ihrer Meinung nach keinen Platz im Film gehabt.

Eine Diskutantin aus dem Publikum vermisst, dass der Film nicht die Frage nach der Motivation der Auszubildenden stellt, bzw. die Entwicklung eines Bewusstseins für ihre Aufgabe durchleuchtet. Mit der Frage „Wie führe ich diese Rolle aus?“ scheint sich der Film nicht zu beschäftigen. Auch eine partielle Orientierung der Polizei in eine rechtspolitische Richtung werde nicht thematisiert. Wilke findet schon, dass Staatsdiener Gespräche zeige, in denen die jungen PolizistInnen ihre Rolle reflektieren. Diese kurzen Momente schwingen ihrer Ansicht nach im Film mit und es sei ihr Anliegen gewesen, die Bilder den Zuschauern und damit ihrer eigenen Interpretation zu überlassen. Außerdem habe sie nie die Absicht gehabt zu zeigen, wie schlecht die Polizei ist. Während des Drehs sei es außerdem nicht zu Situationen gekommen, in denen eine rechtsorientierte Politikhaltung zum Vorschein kam. Abschließend möchte eine weitere Diskutantin unbedingt auf den vorherigen Einwand reagieren und mit dem Vorwurf, die Polizei sei teilweise rechtsorientiert, aufräumen. Sie habe in letzter Zeit viele PolizistInnen kennengelernt und sei dabei immer auf Menschen getroffen. Ihre Arbeitswelt sei ein Eiertanz, den man nicht unterschätzen und anerkennen sollte.

Rekapituliert man nach dieser Diskussion noch einmal den Katalogtext zu Staatsdiener scheint es, als wolle Marie Wilke mit ihrem Film genau dies ermöglichen: „dem Zuschauer möglichst viel Assoziationsraum geben, anstatt den Blick zu verengen“.