Film

Mein Name ist Khadija
von Katja Fedulova
DE 2015 | 41 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 39
06.11.2015

Diskussion
Podium: Katja Fedulova
Moderation: Pary El-Qalqili
Protokoll: Lena Serov

Synopse

Tatjana trägt jetzt Kopftuch und heißt Khadija. Für sie gehören religiöse Regeln genauso zum Alltag wie der Wunsch nach Selbstbestimmung und der Besuch im Fitnessstudio. Den neuen Teil ihrer Identität muss die Moskauer Konvertitin mühsam verteidigen. Ihr Äußeres erregt Anstoß, ihr Inneres bleibt zerrissen. 

Protokoll

Mit der Frage, wie Katja Fedulova zu Ihrer Protagonistin – der Islam-Konvertitin Tatjana – gekommen sei, beginnt Pary El Qaliqili die Diskussion. Auffallend sei auch ihre Einführung im Film, sie wird in den ersten drei Einstellungen (in der U-Bahn) von hinten beobachtet, in denen ihr Kopftuch ins Zentrum rückt. Am Ende wird sie beim Beten gezeigt, im gesamten Film dominieren nahe Einstellungen und direkte Blicke in die Kamera.

Fedulova habe vor vier Jahren begonnen, junge russische Frauen zu suchen, die zum Islam konvertiert sind. Die Beweggründe, sich mit dem Thema des Films aber auch mit dem heutigen Russland auseinanderzusetzen, liege in ihrer eigenen Biografie: Sie sei als junge Frau nach der Perestroika aus Russland geflohen, da damals schwierige Zeiten herrschten und sie keine Perspektive in ihrem Heimatland sah. Je älter sie werde, desto mehr beschäftige sie sich mit ihren Wurzeln und vor allem mit der Frage: Was wäre, wenn sie in Russland geblieben wäre? Welche Alternativen oder Möglichkeiten hätten sich ihr geboten? Derzeit empfindet sie die Situation in Russland als eine Rückentwicklung zum sozialistischen, autoritären Staat zu Zeiten der Sowjetunion. Wie findet man sich darin als junger Mensch wieder, war eine der Ausgangsfragen.

Konkret auf das Thema Konvertierung sei sie durch einen Artikel in der Zeitung gekommen, in dem es um die steigende Tendenz der Konvertierungen bei jungen Frauen in Russland ging. Einer der Hintergründe für diese Entwicklung sei der gesellschaftliche Einfluss der Gastarbeiter aus den muslimisch geprägten, ehemaligen Sowjetrepubliken, die zum Arbeiten vor allem nach Moskau kommen.

Die Konvertierung sei eine Form der Flucht, sie soll Sicherheit und Halt bieten. Darin spiegele sich die Sehnsucht von russischen Frauen nach einer gefestigten Familie mit einem starken Mann und Kindern wider. Fedulova hat sich in Moskauer Moscheen auf die Suche nach diesen Frauen begeben, bei denen sie ein zwiespältiges Verhalten beobachtet hat: Einerseits wollen sie gute Musliminnen sein, andererseits leben sie nach ihren alten Gewohnheiten, die mit dem Islam teilweise unvereinbar sind. Diese fragile Ambivalenz habe sie interessiert. Als sie die Arbeit begann, ist der Sender 3sat auf den Stoff aufmerksam geworden und bot ihr die Möglichkeit an, den Film zu machen. Über das Thema Kopftuch habe sie mit der Kamerafrau Siri Klug lange Gespräche geführt. Dabei seien sie von Stereotypen ausgegangen, dass Muslima durch ihr Kopftuch gesichtslos und fremd seien. Wie dem Kopftuch ‚ein Gesicht geben’, die Frage sei vor allem für die Kameraarbeit zentral gewesen. Die Idee hinter der Kameraführung war es, kommentiert Siri Klug, Khadijas Kopftuch (seiner Stofflichkeit, seinem Glanz, worüber man auch die Figuren im Film unterscheiden konnte) zu folgen, in ihre Räume, an die Arbeit, im Alltag und bei Freundinnen. Das Kopftuch wurde zum eigenen Protagonisten. Weiter gefragt nach den inszenatorischen Gedanken bei der Kameraführung und der Nähe zu ihrer Protagonistin (vor allem beim Beten) fügt Klug hinzu, dass ein intensiver Austausch mit der Regie, eine ausführliche Vorbereitung und ein sicheres Bauchgefühl geholfen haben, die Situationen wie in einem Brennglas einzufangen. Es war wichtig, sich ganz nah auf die Protagonistinnen einzulassen und zu hoffen, dass das richtige Material eingesammelt würde. Klug war froh darüber, dass die Filmemacherinnen durch Fedulovas Vertrautheit mit der russischen Kultur schnell Zugang zu den Personen und ihrem Umfeld bekommen haben. Fedulova fügte hinzu, dass die Muslima im Film sie überall hereingelassen haben. Sie mussten aber während der Dreharbeiten ganz einfache Dinge beachten wie die Gebetsrichtung, damit es nicht so aussähe, als würden sie die Kamera anbeten.

Wollten die Filmemacherinnen auch eine Gewichtung auf den spirituellen Weg Khadijas legen, denn sie ist oft in der Moschee und beim Beten zu sehen, oder waren die Gespräche über Werte und Hoffnungen wichtiger, interessierte des Weiteren Pary El Qalqili. Fedulova habe sehr schnell Khadijas Vertrauen gewonnen, hatte dennoch keine Vorstellung von ihrem Alltag als Muslima. Für sie war die Umgebung zunächst ganz neu und sie musste sich erst hineinfinden. Khadijas Bezug zur Spiritualität konnte sie erst vor Ort erleben. Sie führte sehr viele Interviews mit ihr zum Thema Islam und darüber, wie sie sich in der Religion wiederfindet und welche Vorstellungen sie vom Leben hat. Sie habe versucht, diese Aspekte in den Bildern abzuwägen.

Khadija wirke sehr zerbrechlich, da sie noch am Anfang stehe, sie kenne sich nicht gut aus im Islam. Deshalb war die Entscheidung, die Konzentration auf ihre Person und ihren inneren Kampf und mit der Gesellschaft zu legen.

Die Herausforderung bestand darin, diese Konflikte filmisch umzusetzen, denn Khadija habe wenig Kontakt mit der Außenwelt. Deshalb habe Fedulova einige Überlegungen im Vorfeld angestellt, welche Situationen sie schaffen könnte, in denen Khadija mit der Gesellschaft konfrontiert wäre und keine Fluchtmöglichkeiten hätte. So ergab sich die Szene mit dem Taxi, bei der Fedulova der Taxifahrerin im Vorfeld die Anweisung gab, alle Fragen zu stellen, die sie über Khadijas Leben interessiert. Zudem ergab sich beim Warten auf das Taxi eine Auseinandersetzung zwischen Khadija und den Anwohnern verbunden mit einem Übergriff. Die Filmemacherin war froh, dass diese Szene Eingang in den Film gefunden hat, da sie repräsentativ für Khadija Alltag sei. In der Bevölkerung herrsche eine Islamophobie, die u.a. durch den Tschetschenienkonflikt begründet sei.

Das Kopftuch ist in dieser Hinsicht ein starkes Signal, und Khadija stellte in dem Moment ein leichtes Opfer dar, weil sie allein da stand. Ohne Kamera wäre der Konflikt vielleicht aggressiv ausgetragen worden. Aber Khadija hätte sich auch entsprechend zur Wehr gesetzt.

Hätte Khadija auf ihrer Suche nach Familie und Sicherheit diese Dinge nicht auch woanders finden können? Wie der Film zeige, wurde sie bei ihrer Suche nach spiritueller Hilfe in der russisch-orthodoxen Kirche enttäuscht, da sie dort mit Korruption konfrontiert wurde. Die Sinnsuche im Islam verstehe Fedulova als Antwort auf das chaotische Leben, da es im Islam mehr Regeln gibt und dies das Leben bequemer mache.

Eine Diskussionsteilnehmerin zeigte sich fasziniert von Khadija, weil sie viel Spannungspotenzial in sich trägt, sie zeigt sich stark, rebelliert und will bspw. keine Drittfrau sein. Ob die Regisseurin darüber nachgedacht hatte, mit ihr weiterzudrehen, denn am Ende bleibt es offen, wie es mit ihr weitergeht. Fedulova, die sich seit etwa vier Jahren mit dem Thema beschäftigt, vermutete eingangs selbst, dass Khadija nicht lange bei ihrem Glauben bleibt, und nannte eine Statistik, nach der etwa 80 % der Konvertierungen rückgängig gemacht werden. Oftmals deshalb, weil die Konvertitinnen dem Druck der Außenwelt nicht standhalten. Khadija ist inzwischen wieder verheiratet mit einem muslimischen Mann aus Azerbaijan, erwartet ihr erstes Kind und sagt von sich, dass sie glücklich ist. Fedulova wusste es selbst nicht, ob sie weiterdrehen würde. Der Film gebe einen kurzen Moment aus ihrem Leben wieder und könne vielleicht stellvertretend für andere Frauen stehen, wie sie ihre ersten Erfahrungen sammeln und damit umgehen.

Eine andere Frage aus dem Publikum betraf den Prozess des Auftragsfilms, den Einfluss auf die Entstehung des Films, die Freiheiten des Autors, die Kontrolle seitens der Fernsehredakteure und der Umgang der Filmemacher mit dem Auftrag.

Fedulova habe während der Arbeit an dem Film, die zugleich ihre erste Auftragsarbeit war, sehr viele Freiheit genossen und viel Unterstützung erfahren. Das Format, das ihr zur Verfügung stand, die Reihe „ab 18“ im 3sat, die junge Menschen überall auf der Welt (z.B. England, Israel, Russland) bei ihrem Eintritt ins Erwachsenwerden begleitet. Obwohl während der Arbeit an dem Film mehrere Schnittfassungen entstanden seien, hatte sie nicht den Eindruck in eine falsche Richtung gelenkt worden zu sein. Eine Beschränkung, die sie erfahren habe, war, dass sie nur sieben Drehtage zur Verfügung hatte. Dementsprechend musste die Planung im Voraus so präzise wie möglich sein, bei den Dreharbeiten musste man einfach hoffen und wachsam sein, aber gleichzeitig sehr entspannt. Der Zeitdruck äußerte sich auch am Schnittplatz, da sie nur 40 Minuten hatten, um die ZuschauerInnen in den Bann zu ziehen. Dabei sprach Fedulova ein großes Lob für ihre Cutterin, Lena Rem, aus. Letztendlich habe sie sich bewusst für das 3sat-Format entschieden, wobei sie sich die Form selbst aussuchen konnte. Recherchen mache sie immer selbst, ohne die Zusagen für die Finanzierung abzuwarten. Die Alternative sei es, den Film selbst zu finanzieren. Mit der Kamera drauf loszugehen sei jedoch nicht bei jedem Stoff möglich. Gerade für Dreharbeiten in Russland braucht man Sicherheit und den Rückhalt von offizieller Seite.

Ein Diskutant aus dem Publikum zeigte sich höchst irritiert durch das Fernsehformat des Dokumentarfilms und die für ihn fehlende Authentizität, die man während des Films spüren würde. Das Dokumentarische sei dabei lediglich geweckt, aber nicht bedient worden. Man hätte da mehr dranbleiben müssen, als nur für ein paar Tage hinzufahren. Die stärkste Irritation habe bei ihm der Eindruck von Inszeniertheit hervorgerufen, er hätte dem Film teilweise nicht geglaubt. Dies hätte vor allem mit der sehr formalen Herangehensweise der Kamera zu tun, die die Situationen nach einem Schuss-Gegenschuss-Prinzip (vor allem die Auseinandersetzung zwischen Julia und Khadija) gefilmt hätte. Zugleich wirkten aber die Emotionen nicht gespielt. Wohingegen die Fragen der Taxifahrerin wie von einer Schauspielerin nach einem Skript gesprochen wirkten, diese Art der Glaubwürdigkeit sei dem Film (total) abträglich.

Fedulova habe die Situationen, die sich ihr boten, einfach ergriffen, auch wenn sie im Nachhinein gestellt aussehen. Auf die Szene im Taxi eingehend, sagte sie, dass sie der Taxifahrerin die Anweisung gab, Khadija alles zu fragen, was sie an ihr interessiert. So kamen die Fragen zustande, die jeder in Russland stellen würde, der einer Konvertitin wie Khadija begegnen würde, und die Fedulova auch selbst gestellt hätte. Ein anderer glücklicher Zufall, der wie gerufen kam, war die Auseinandersetzung zwischen Julia und Khadija. Die Spannungen in dieser Szene entstanden nicht aus den Anweisungen der Filmemacherinnen, sondern hatten einen anderen Grund, nämlich Julias ständige Verspätungen. So ließ Khadija ihre Wut auf Julia aus, als sie auf das Thema Ehe zu sprechen kamen und ihre unterschiedlichen Einstellungen zur Polygamie äußerten. Zur filmischen Umsetzung der Szene meldete sich Siri Klug zu Wort und war dankbar für den kritischen Einwand. Sie wünsche sich, dass es so viele Darstellungsweisen gebe wie Themen und dokumentarische Formate. Entscheidungen über eine Einstellung oder zum Einsatz von Schwenks hätten mit der Frage zu tun, wie man mit dem Rhythmus der Erzählung umgehen will. Man gebe gleichzeitig ein Gefühl an die ZuschauerInnen weiter, indem man gerecht damit umgeht, was man erlebt. Vor allem das digitale Format biete viele Möglichkeiten, auf Situationen zu reagieren.

Ein abwägendes Schlusswort ergriff Werner Ruzicka, indem er auf den kritischen Kommentar Bezug nahm, und lobte den Film, der das Konzept „ab 18“ sehr gut vertreten könne und trotz Verkürzungen unbeschadet bleibt. Es wäre dennoch sichtbar, dass dem Film Zeit und Geld fehlten, die Geschichte auszuerzählen. Ein solch komplexes Thema brauche einen langen Atem, um Intensität und Gelassenheit zu erreichen. Die Probleme lägen jedoch nicht im Format oder gar beim Fernsehen.