Synopse
Unerfahrene Idealisten treffen auf abgebrühte Politprofis und hartnäckige Lobbyisten: Im Europäischen Parlament sollen neue Regeln zum Datenschutz im Internet beschlossen werden. Es wird verhandelt und verschleppt, abgewogen und abgestimmt. Die Gesetze einer geheimnisvollen Welt.
Protokoll
Athen und seine antiken Säulen liegen in einem diesigen Schwarzweiß, ein Hubschrauber kreist. Männer in Anzügen und Limousinen fahren vor und verschwinden in der monumentalen Kulisse. Währenddessen bindet ein junger Mann mit Hilfe seiner App eine Krawatte. Wie sich später herausstellt ist das Jan Philipp Albrecht, der umstrittene „Berichterstatter“ des Europäischen Parlaments auf der Suche nach einer Haltung zum Datenschutz. „Data is the new oil“, beginnt der Film. Und: „Wenn Daten das neue Öl sind, ist Datenschutz der neue Umweltschutz.“ Und der ist, wie sein Vorgänger, ein kontrovers diskutiertes Thema.
Er habe unbedingt eine Optik erzeugen wollen, die fernab von den abgestandenen, hässlichen EU-Bildern sei, die man als Zuschauer im Kopf habe, sagt David Bernet (Regie). Das sei immer dasselbe Set an Fassaden. Zunächst hätten sie im Schneideraum immer die Farbe rausgedreht, damit sie es schöner hätten. Darüber einen leichten Blaufilter gelegt und die Kontraste hochgezogen. Bei Redakteursbesuchen die Farbe dann temporär wieder hineingedreht. Das sei schrecklich gewesen. Zum Glück habe er dann alle davon überzeugen können, den Film monochrom zu belassen. So würde man auch nicht von Farben abgelenkt, die keine eigene Wichtigkeit hätten.
Joachim Schätz beginnt, er fände bemerkenswert, wie dies ein Film nicht nur über das EU-Parlament und den Datenschutz sei, sondern eine anschauliche Erörterung der Struktur und der institutionellen Verfahrensformen – man lerne darüber, wenn man den Leuten beim Sprechen zusehe. Der Film sei in einem guten Sinne didaktisch. Er habe darüber nachgedacht, sagt Bernet, wie er die EU habe erklären können. Wenn er Leuten im Vorfeld die Funktionsweise erläutert habe, konnte er nach zwei bis drei Sekunden das Klicken in den Augen beobachten, das mit dem Ausschalten des Gehirns einherginge. Man habe dort, in den Gebäuden der EU- Kommission dramaturgisch gesehen, auch nicht einfach eine Kamera aufstellen können. Normalerweise sei es spannend, als Dokumentarfilmer an einen fremden Ort zu kommen und die Menschen bei ihrem Tun zu beobachten. Nicht hier. Hier fühle man sich nicht wohl, werde depressiv. Die Leute sprächen in unverständlichen Codes und Nummern. Ein impressionistischer Ansatz sei da unmöglich gewesen. Er habe auch nicht gewusst, wie der ganze Prozess zur Datenschutz-Grundverordnung ausgehen würde. Er habe zwar die zu erwartenden Phasen gekannt, nicht aber gewusst, ob überhaupt ein Abschluss zustande kommen würde. Oder wer als Berichterstatter, als „Rapporteur“, als Verhandlungsführer ernannt werden würde. Das Projekt sei also unter lauter Spekulationen finanziert worden und zum Glück hätten alle mitgemacht. Didaktische Momente habe er dann relativ unverfroren eingesetzt, er habe die Zuschauer bis zum Ende mitnehmen wollen.
Schätz fragt nach den Drehbedingungen und dem Team. Er habe schnell gemerkt, dass er keine Drehphasen planen konnte, sagt Bernet. Er konnte daher kein Teammitglied im voraus buchen und so habe es viele Teams gegeben. Politiker, Diplomaten und Lobbyisten hätten einen Terminkalender, der würde einen in den Wahnsinn treiben. Oft sei dann kurzfristig etwas abgesagt worden. Hätten sie mal drei oder vier Tage hintereinander gedreht, habe er beglückt gedacht: Oh, eine Drehphase. Er habe ständig alles überblicken müssen. Er habe großartige Kameraleute gehabt. Manchmal wäre einer gerade aus dem Dschungel gekommen und habe dann stundenlang in einem Konferenzraum zwei oder drei Gesichter gefilmt. Dieter Stürmer (Kamera) ergänzt, wie wichtig die Gesichter als Indizien gewesen wären, wenn es plötzlich um etwas Wichtiges ging. Nach zwei Stunden hätten sie dann für eine aufkommende Unruhe sensibel sein müssen und mit der Aufmerksamkeit voll da. Schätz geht auf die richtigen Sätze ein, die sie dann bekommen hätten. Über den ganzen Film könne man diese Sprechfiguren verfolgen und die Argumentationsstrukturen, die man so auch der Öffentlichkeit verkaufen müsse. Dass Informationen das neue Öl seien, sehe man in verschiedene Richtungen gespielt. Das sei ein Film über Sprechhandel. Die Kraft eines Arguments mache einen Unterschied, das ganze Parlament sei in einer Art Schwebe. Tatsächlich seien da sehr interne Prozesse abgelaufen, sagt Bernet. Dass man das so empfinde wie Schätz, sei eine Übersetzungsleistung, um die er sich bemüht habe. Ein Gefühl für die Komplexität zu erhalten ohne zu überfordern. Zu verstehen: da gibt es Codes, da gibt es noch mehr. Die 100 Seiten Gesetz hätten permanent kreuzweise Bezüge gehabt und selbst er, der sich damit vertraut gemacht habe, sei manchmal nicht hinterhergekommen. Wirkliche Erklärungen und journalistische Interpretationen seien nur zweimal aufgetaucht: nach Albrechts erstem, veröffentlichten Bericht und nach der Snowden-Enthüllung. Den Sprechhandel stelle er also her: Fäden zu finden, die bis zum Schluss reichten.
Schätz hebt hervor, der Film widerstände der Versuchung, etwas abzubilden, was nicht abzubilden sei: er würde Lobbyismus nicht in die Ecke der dunklen Macht drängen, sondern ihn lediglich als Teil eines Kräftemessens dokumentieren. Politik würde ohne Lobbyismus nicht funktionieren, sagt Bernet. Politiker hätten zehn Dossiers in einer Komplexität wie diesen Gesetzesentwurf auf dem Tisch. Ihre Entscheidungen könnten sie nicht aus den Gedärmen treffen, es müsse einen Wissenstransfer geben. Das sei die Aufgabe der Lobbyisten. Natürlich steckten da immer Interessen hinter. Aber genau damit müssten Politiker umgehen können. Brüssel nicht als autistische Institution zu zeigen, die allen mit ihren Entscheidungen auf den Keks ginge, sondern als Plattform, bei der viele involviert seien, das habe er versucht. Der Film sei einerseits visuell sehr zurückhaltend, sagt Schätz, würde keine Hochhäuser als Abbild des Kapitals beschwören. Manchmal gäbe es aber Bilder, die eine Bedeutungsverdichtung versuchten – so würde John Boswell von hinten gezeigt, wie er auf die Straße hinausschaue, den Blick „verschlagen“ auf die Welt gerichtet. Ob diese gesättigten, teils übersättigten Bilder bewusst so verwendet worden wären? Abgesehen von der Ästhetik, mit der er gegen die hässlichen EU- Bildern in den Köpfen antreten wollte, sagt Bernet, habe es auch den Wunsch gegeben, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Das Parlament sei ein abgeschiedener Kosmos. Wenn man dagegen auf die Straße träte, tobe das Leben. Die Wände seien undurchlässig. So habe das einerseits nichts mit dem Leben zu tun und doch wieder sehr viel mit dem Leben zu tun. Diese Überschneidung der Räume habe er sichtbar machen wollen. Einmal hätten sie einen Mann gefilmt, der auf der Straße Geranien geschnitten habe. Irgendwann habe er sich zu ihnen umgedreht und erklärt, was er da tue – in einer Art und Weise, wie die da drinnen. Von solchen Bildern habe er eine kleine Sammlung. Die Frage nach Öffentlichem und Privatem sei virulent, wenn man einen Film zu Datenschutz mache, meint dazu Schätz. Er habe eine Frage zu dem Protagonisten: Jan Albrecht und der italienische Wirtschaftsanwalt würden nicht nur als politische Funktionsträger gezeigt, sondern auch privat, „fern ab von zu Hause“. Was da die Intention gewesen sei? Die Grundherausforderung sei für ihn gewesen, antwortet Bernet, zu einem extrem abstrakten Prozess einen sinnlichen, überzeugenden und dynamischen Film zu machen. Er habe den Schlüssel in den Protagonisten gefunden und in ihrem Kontrast zueinander – wie sie mit Sieg und Niederlagen umgingen, in kleinen privaten Elementen. Der Moment, wo Albrecht mit seiner Freundin am Wasser spaziere und rekapituliere, sei wohl auch als Update fürs Publikum gedacht gewesen?, fragt Schätz schmunzelnd. Eigentlich, sagt Bernet, habe er den beiden nur gesagt: „Geht spazieren und redet über Datenschutz.“
In einer Frage nach der Chronologie der Ereignisse stellt Schätz fest, was bombenfest in der Dramaturgie sitze, sei das Auftauchen von Snowden im tiefsten Tal. Das wäre tatsächlich so gewesen, bekräftigt Bernet. Zu dem Zeitpunkt sei die Situation bedrohlich gewesen: auf Albrechts Tisch hätten 4.000 „amendments“, Änderungswünsche, gelegen, Viviane Reding habe ihre Ohrfeigen abbekommen. Irland, das zu dem Zeitpunkt die Präsidentschaft bereits übernommen hatte und einen schnellen Abschluss wollte, weil in Irland die meisten US-amerikanischen IT- Firmen säßen, sei gescheitert. Dann wäre Snowden mit den Enthüllungen aufgetaucht und habe einen Zugzwang geschaffen. Fosco Dubini fragt, ob ihn der Film „Mais im Bundehuus“ beeinflusst habe, wo eine grüne Politikerin ein Gentechnik-Gesetz im Schweizer Parlament durchbringen musste. Und ob er in der Montage auch mal daran gedacht habe, mehr Subjektivität einzubringen, mehr aus seiner Sicht zu erzählen? Bernet sagt, er kenne den Film und habe auch zuvor einen anderen Film von Jean-Stéphane Bron gesehen, der sehr mit Reduktion gearbeitet hätte. Der sich auf vier, fünf gegnerische Parteien konzentriert habe, die auch in ihrem privaten Umfeld gezeigt worden wären. Und er habe sich gefragt, ob auch er eine reduzierte Erzählweise benutzen könne. Doch die EU sei viel viel komplexer, er habe das ganze Kräfteverhältnis sichtbar machen wollen. Mehr Subjektivität habe er nie gewollt. Er habe immer gewusst: „Das Gold ist da, ich muss es nur finden.“ Subjektiver zu erzählen, wäre einem Scheitern gleich gekommen.
Er habe ja nicht gewusst, wer als Berichterstatter auftreten würde, beginnt eine Frau im Publikum. Wenn das jetzt jemand anderer als Albrecht gewesen wäre, ob er dann trotzdem diese Rolle zur Hauptfigur erkoren hätte? Bernet sagt, zunächst sei ein Sozialdemokrat aus Griechenland vorgesehen gewesen, der in den USA Bürgerrechtler war. Argumentationskräftig, mit einer Stimme, bei der alle dahingeschmolzen seien. Der sei aber kurz vorher als Außenminister nach Griechenland berufen worden. Dass Albrecht ein fähiger Mann war, habe er aus der Recherche gewusst, seine Jugendlichkeit und Sportlichkeit hätte aber auch ein Problem darstellen können. Das habe sich dann aber als echter Glücksfall entpuppt: man könne hier der Entwicklung eines Jungpolitikers beiwohnen, der scheitern oder gewinnen könne.
Auf die Frage nach dem restlichen Material und weiteren Erzählsträngen sagt Bernet, es gäbe zerzauste Stränge aus dem Europäischen Rat. Was man sähe, wäre die Ministerebene, die zu einer Art Echoraum geworden wäre. Das Problem beim Rat sei, dass hier jedes halbe Jahr ein Austausch stattfände und er dann mit „neuem Personal“ zu tun hatte. Die hätten sich zwar manchmal filmen lassen, man habe aber keine Geschichte erkennen können. Pepe Danquart merkt an, er erlebe den Film und jetzt auch Bernet in der Diskussion als analytisch. Ihm habe am Film gefallen, dass er kleine Momente einfinge, wie eine Hand auf der Schulter oder ein nervöses Zusammenzucken. Die kleinen dokumentarischen Gesten im Kontrast zur abstrakten Größe hätten den Film wärmer gemacht. Die Schwarzweiß-Ästhetik würde den Film aus der Gegenwart heben, hin zu einem allgemeineren Charakter, meldet sich erneut Fosco Dubini. Er würde aber über das Wort Protagonist im Zusammenhang mit Jan Albrecht stolpern. Eigentlich sei das ein Film ohne Protagonisten, das seien alles nur Nebendarsteller angesichts eines so großen Systems. Er habe Angst gehabt, dass Albrecht unterginge und so sei der Film ein Modell dafür, wie man als Parlamentarier überlebe: sowohl im Moloch (Parlament) als auch in der digitalen Welt. Das sei ihm wichtig gewesen, sagt Bernet – dass man spürt, dass jeder untergehen kann. Ružička nimmt Bezug auf den Film „Last Exit Alexanderplatz“: hier habe man 25 Jahre an der Öffentlichkeit vorbei Stadt geplant. Bei diesem Film sei das ähnlich. Der Name Albrecht sei ihm zwar geläufig gewesen, im Film aber seien die Ereignisse so zusammengezogen, dass er zu einem Dokument würde. Man sehe nicht nur Menschen in ihrer Menschlichkeit, sondern auch: so wird Geschichte gemacht.