Extra

Wenn die Dinge träumen, entstehen Bilder

Duisburger Filmwoche 37
07.11.2013

Podium: Elfi Mikesch
Moderation: Birgit Kohler
Protokoll: Nadine Voß

Elfi Mikesch hat als Filmemacherin, Kamerafrau und Fotografin Bilder von großer visueller Kraft geschaffen. Seit den 1970er Jahren war sie in ca. 60 Filmen für die Kamera verantwortlich, u.a. für Rosa von Praunheim, Werner Schroeter und Monika Treut – und hat rund 20 eigene Filme realisiert; darunter mit 3sat MONDO LUX und die derzeit entstehende Produktion FIEBER. Von der Fotografie über die Arbeit mit Super8, 16 und 35mm-Film sowie mit digitaler Technik hat sie sich ihre individuelle Handschrift erhalten. Ein Gespräch über das Bildermachen, über die Kamera als Instrument der Aufzeichnung und der Imagination, über Fantasie und Realität, Traum und Alltag und die Lust am Experiment – mit zahlreichen Filmausschnitten.

Protokoll

Jedes Bild ist ein Gedanke.

Birgit Kohler spricht mit Elfi Mikesch über die Liebe zu Protagonisten und zum Zug fahren, die kommunikative Kraft des Kinos und die Entdeckung des Universums über Bildproduktion: ein Werkstattgespräch.

Fotografin, Kamerafrau, Regisseurin: Die „Bildermacherin“ Elfi Mikesch wirkte seit den 70ern an 60 Filmen mit, bei 20 davon führte sie Regie. Eine fotografische Auswahl aus ihrer Schaffenszeit ist während der diesjährigen Duisburger Filmwoche ausgestellt. Die konstante Zusammenarbeit mit Weggefährten (Werner Schroeter, Rosa von Praunheim u.a.) prägt ihr Œuvre, das sich auszeichnet durch den Umgang mit unterschiedlichen filmischen Werkzeugen und Technologien. Ihre Filme sind nicht nur eigenwilliges Element im Umfeld des Neuen Deutschen Films, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur feministischen Filmgeschichtsschreibung sowie Ausdruck einer spezifischen Subkultur Westberlins Ende der 70er.

Riss in der Routine

Elfi Mikeschs Filme sind Arbeit an der Form und am gestalteten Bild. „Im Bilde“ sein bedeutet für sie, Bilder zu hinterfragen, hinter sie zu sehen: Was machen die Bilder mit dem Betrachter? Was machen die Bilder mit ihr als Produzentin? In welcher Wechselwirkung befinden sich Produzent, Rezipient und das Bild selbst?

Ausschnitte von früheren Arbeiten (Ich denke oft an Hawaii, 1978; Was soll’n wir denn machen ohne den Tod, 1980; Verrückt bleiben – Verliebt bleiben, 1997) werden gezeigt: Während die wohlmeinende Kommentarstimme der Sozialreportage filmischer Konsens war, widersetzte sich Mikesch der konventionellen dokumentarischen Erzählung. In der Visualisierung kreativer Prozesse zwischen Protagonisten und Filmemacherin befragt sie die Grenzen zwischen Inszeniertem und Dokumentarischem. Keine Unterscheidung bestehe zwischen inneren und äußeren Bildern, zwischen Imagination und Realität, beschreibt Birgit Kohler die Darstellung von Carmen, Protagonistin von Ich denke oft an Hawaii. Ihre Filme handelten von den Träumen ihrer Protagonisten – Figuren am Rand, außerhalb der normierten Wahrnehmung – im Dialog mit ihren eigenen Träumen, erläutert Mikesch. Diesen Dialog herzustellen und zu zeigen, über die reine Beobachtung und Abbildung hinaus Impulse zu geben, sei ihr Anliegen: ein Hinterfragen der Norm, ein Aus- und Durchbrechen des Alltags.

Lust am Experiment

Während ihr Jean-Marie Straub attestierte, mit Ich denke oft an Hawai einen „authentischen Film“ gemacht zu haben, fühlte sich Mikesch „ganz am Anfang und noch nicht in der Lage, einen Anspruch an das eigene dokumentarische Erzählen zu formulieren“. Obgleich sie die Narration des Films aus einer intuitiven, ihr selbstverständlich erscheinenden Vorstellung heraus entwickelte, zeigte sich schon zu diesem Zeitpunkt – auch, aber nicht ausschließlich aufgrund des autodidaktischen Umgangs mit der Filmkamera – eine „singuläre ästhetische Form“ (Kohler), die sich durch akzentuiertes Arbeiten mit experimentellen Strategien auszeichnete. Eine Herausforderung für das konventionell konditionierte Publikum, das während der Projektion auf einem Festival „in Scharen den Saal verließ“ (Mikesch). Parallelen sieht sie in dem diesjährigen Festivalbeitrag Sieniawka, der ebenfalls mit Langsamkeit in der narrativen Entwicklung und Inszenierung der Protagonisten arbeitet und tags zuvor ähnliche Publikumsreaktionen hervorrief. Die Bereitschaft, sich auf die spezifische Zeit der Figuren einzulassen, sei in der gegenwärtigen Beschleunigung von gesellschaftlichen und technologischen Prozessen und der „Gier nach Informationen“ nicht mehr vorhanden. Die Ebenen, auf der sich kreative Prozesse abspielen und in deren Zusammenhang lange, inszenierte, gar forcierte Einstellungen legitim und notwendig seien, erzählten sich dadurch nicht mehr.

Du liebst eine Vase mehr als die Menschen, wurde Elfi Mikesch unlängst unterstellt; Ihre Affinität zur filmischen Betrachtung von Dingen und Gegenständen liegt auf der Hand. Über ein dokumentarisches Beobachten weit hinausgehend, untersucht ihre Kamera die Wirkung von Dingwelt und Menschen aufeinander, setzt sie in Beziehung zueinander. Menschen und Dinge seien in ihrer gegenseitigen Begleitung nicht zu trennen, äußert sie sich auf dem Podium, „die Träume der Menschen spiegeln sich in Dingen wieder“. Kohler beschreibt den Zauber, die Poesie, die Mikeschs Filme begleiten. Etwas Unergründliches, das mit dem Zufall als struktureller Komponente zusammenhängen mag, geht mit der Betrachtung einher. Die Variable, die Mikesch Handlungsverlauf und Protagonisten zugesteht, äußert sich in ihren Dokumentarfilmen beispielsweise im Fortlaufen der Kamera über die eigentliche, „geplante“ Antwort, der meist ein essentieller Nachsatz folgt, hinaus. Unwägbarkeiten, Unberechenbarkeiten, entstehende Zwischenräume, das zufällige Moment der Leerstelle ziehen ihr Interesse an. „Das Punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr“ benannte Roland Barthes das subjektgenerierte Element im Bild – Begrifflichkeiten, die auch in Elfi Mikeschs Werk eine wesentliche Rolle spielen.

Der goldgeflickte Chawan

„Intelligente Fehler zu machen, ist eine große Kunst“, zitiert der Wandkalender im Hotel eines Produktionsortes Fellini: von „gelungenen“ oder „nicht gelungenen“ Bildern möchte Elfi Mikesch ungern sprechen. Die Erkundung des Scheiterns, das Bekennen zu Fehlern und der konstruktive Umgang damit erscheinen ihr sinnvoll: wie in der japanischen Kultur, die Risse und Brüche in Tassen nicht reparativ aus der Wahrnehmung verschwinden lässt, sondern durch Goldeinsatz ausstellt. Den Anspruch auf (technische) Vollkommenheit stellt sie grundsätzlich infrage; ihre Suche nach Perfektion bezieht sich vielmehr auf die Entsprechung ihres Gegenübers und den gemeinsam Dialog – Respekt in der Darstellung ist hier der Maßstab.

 Birgit Kohler, Margrit Schreiber-Brunner, Udo Bremer, Elfi Mikesch v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Birgit Kohler, Margrit Schreiber-Brunner, Udo Bremer, Elfi Mikesch v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald