Film

Schlagerstar
von Marco Antoniazzi, Gregor Stadlober
AT 2013 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
04.11.2013

Diskussion
Podium: Marco Antoniazzi, Gregor Stadlober
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Christian Koch

Synopse

„Wir schunkeln durch die ganze Nacht“ – Marc Pircher, Stern am Himmel der volkstümlichen Schlagermusik, ist nimmermüde unterwegs durch Bierzelte, Multifunktionshallen, Musikantenstadl und Gaststätten. Erfolg ist hier das Ergebnis harter Arbeit und bedingungsloser Orientierung am Publikum. In der Branche ist man stets gut drauf und per Du, Berührungsängste sind tabu. Man verkauft Stimmung: „Wer will heute feiern? Hände in die Höh’!“ Klar ist: „Die müssen hupfen!“ 

Protokoll

Die Diskussion beginnt mit einer Entschuldigung des Festivalleiters, der vor Beginn des Films deutsche Untertitel mit dem Hinweis auf Karl Kraus’ Bonmot, dass Deutschland und Österreich „nichts so sehr trennt wie die gemeinsame Sprache“, angekündigt hatte, die dann aber ausblieben. Man habe aber feststellen können, so Ružička weiter, dass das Publikum trotz fehlender Untertitel an den strategisch richtigen Stellen gelacht habe, was auf einige Österreich-Erfahrung schließen lasse (neuerliche Lacher im Plenum).

Zu Beginn der Vorführung des Films wurde also eine gewisse Fremdheit vorausgesetzt, die das von den Autoren anvisierte Publikum gegenüber dem von den Protagonisten vornehmlich gesprochenen Idiom (das im Zillertal/Tirol gesprochene Deutsch) hätte empfinden können. Aber Ružička interessiert mehr, wie die Regisseure die in bestimmten gesellschaftlichen Milieus konsensuelle Ablehnung der im Film thematisierten „Volkstümlichen Musik“, die ja auch auf einem Fremdheitsgefühl gründe, angegangen sind. Der Film sei ja, so habe er verstanden, gegen dieses Ressentiment konzipiert, was bestimmt strategisch schwierig durchzuhalten gewesen sei. Antoniazzi bejaht dies, im schlimmsten Fall sitze man zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite seien die Geld gebenden Institutionen gewesen, die sich gegenüber ihrem Annäherungsversuch äußerst kritisch verhalten hätten und nur schwer vom Projekt zu überzeugen gewesen wären. Auf der anderen Seite stünden die Akteure, die ihre eigenen handfesten Interessen gehabt hätten, die vor allem im Bereich des Marketing lagen. Sie als Filmemacher hätten hingegen ihr Interesse, das in erster Linie ein Interesse an den Markt- und Produktionsmechanismen der Volksmusikindustrie und der konkreten „Arbeit“ ihrer Akteure war, aufrichtig vertiefen wollen.

Stadlober ergänzt, dass die ursprüngliche Absicht, einen Film eher über die industrielle Produktion und Vermarktung von Volksmusik zu machen, auch wegen dieses Interessenkonfliktes nicht realisiert werden konnte. Die „großen Fische“ der Branche seien letztlich an ihrem Projekt nicht interessiert gewesen, und die Geldgeber seien zu zögerlich eingestiegen. Der eigentlich angelegte Plan, neben der Industrie und einem Protagonisten auch die Fanszene genauer zu verfolgen, habe sich schließlich im Laufe der Dreharbeiten, die etwa 15 Monate gedauert hatten, „aus verschiedenen Gründen“ zerschlagen.

Die finanziellen Startschwierigkeiten hatten zu Beginn der Zusammenarbeit mit dem Protagonisten, dem Volksmusiker Marc Pircher, den Effekt, dass dieser sie zunächst gar nicht ernst genommen habe. Die in einem abgewrackten Auto vorgefahrenen Filmemacher habe er zunächst mitleidig mit Manner-Schnitten versorgt. Dennoch habe er sofort in die Zusammenarbeit eingewilligt und die Vermarktungschance erkannt, die sich mit einer ausführlichen Dokumentation seiner Arbeit für ihn bot. Für ihn sei die Dokumentation so etwas wie der direkte Zugang zu neuen Märkten, vor allem zum deutschen Volksmusikmarkt gewesen. Im Gegenzug habe Pircher für die Regisseure als idealer Türöffner in die Szene fungiert, die sie in seinem Gefolge als sehr offen und freimütig erlebt hätten. Allerdings sei der eigentliche Plan, verschiedene Berufsgruppen der Branche zu zeigen, nicht aufgegangen. So habe man sich darauf beschränkt, den „mittelständischen Unternehmer“ (so nennt ihn Ružička) exemplarisch zu verfolgen. Pircher ist im Film omnipräsent, was auch der Tatsache geschuldet ist, dass er nicht nur Komponist (teilweise auch Texter, was einige eindrücklich- befremdliche Szenen des Films illustrieren) seiner eigenen Musik ist, sondern sich ebenso selbst managt wie er je nach Auftrittssituation auch sein eigener Tonmeister, Merchandise- Verkäufer und Pressechef ist. Das ihn umgebende Universum bleibt unterbelichtet, was ein Zuschauer als Effekt der „Verdrängungsmaschine“ Pircher beschreibt. Ihm sei das Bild eines Panzerkreuzers vor Augen gestanden. Ein anderer Zuschauer beschreibt seinen Eindruck von der beinahen Unsichtbarkeit der Kamera der Regisseure auf ähnliche Weise. Antoniazzi bestätigt, dass er seine Aufgabe als Kameramann tatsächlich darin gesehen habe, sich möglichst unsichtbar zu machen. Auf der Suche nach der besten Einstellung für die Sichtbarmachung der „Arbeitprozesse“ sei er vielfach in der Distanz gelandet.

Eben diese Distanz trifft im Publikum durchaus auf kritischen Widerspruch. Manche Wortmeldungen bescheinigen dem Film eine gewisse Unterordnung unter die Marketingmaschinerie Pirchers. Die Neutralität der Darstellung lasse dieser zu viel Raum, sich nach Belieben zu entwickeln. Andere sehen die vorhandenen Untiefen der Figur (das Fischen am nationalistischen Rand, der nur gelegentlich schwach aufscheinende branchentypische Zynismus) in der Montage verflachen, die zu sehr auf Komik abziele. Dagegen nimmt Ružička den Film vehement in Schutz. Für ihn sei der Film vor allem wegen seiner behutsamen Vermessung dieser Untiefen zu loben, welche die Widersprüche der Person Pirchers und der Branche in der Schwebe hielten. Auch die Filmemacher sehen ihre Absicht durchaus erfüllt, die Widersprüchlichkeiten der Arbeit Pirchers aufzuzeigen. Wenn dieser zum Beispiel immer wieder als seinen größten Fehler bezeichnet, „ein einziges Mal“ seine Familie in seine Marketingstrategie aufgenommen zu haben, nur um in einer späteren Einstellungen für zwölf Minuten Sendezeit im Musikantenstadl seine Tochter in eine Szene mit Andy Borg zu integrieren, werde dies doch sehr deutlich. Die Regisseure geben aber zu, dass sie stets der Versuchung widerstehen mussten, diese Widersprüche allzu vordergründig und eindeutig auszuspielen. Vielmehr sei es ihnen um eine differenzierte – und damit eben auch leisere – Darstellung gegangen. Dennoch sei – gerade in den Szenen, die sich mit Pirchers Verständnis von „Heimat“ befassen – sein Utilitarismus deutlich geworden, der gerade in seiner Konsequenz widersprüchlich ist. Die Heimat, die Pircher meine, sei vor allem ein Markt, der sich ausdehnen soll, er sei darum so etwas wie ein „Geschäftsbereichsnationalist“.

Auch ein Einwurf Peter Otts richtet sich auf die zurückhaltende Erzählstrategie des Films: Der Musiker Pircher sei eigentlich ein pragmatischer Geschäftsmann und nicht so sehr als Künstler erschienen, wodurch die Diskrepanz zwischen seinem professionalisierten Verhalten und der oftmals aufgewühlten Emotionalität seines Publikums als besonders groß erscheine. Dem entgegnet Stadlober, dass das Verhältnis zwischen Musiker und Publikum aus seiner Sicht im Gegenteil völlig gleichmäßig sei, Pircher sei bei Auftritten tatsächlich ebenso bewegt wie sein Publikum, und umgekehrt pflegten seine Fans ein völlig pragmatisches und unaufgeregtes Verhältnis zu ihm, was in den zahlreichen Szenen mit Autogrammstunden, Fotoshootings und CD-Direktverkäufen am Ende mancher Konzerte doch zum Ausdruck käme.

Zwar kommen noch einige kritische Anmerkungen aus dem Publikum, etwa die Nachfrage, an welcher Stelle der Film eigentlich mehr sei als ein konventionelles Portrait. Nachdem Ružička aber darauf hinweist, dass viele angesprochene Themen sowohl über die Figur als auch über den Film hinaus verwiesen (die vorgeführte Ich-AG in Extremform, die Politik der Selbstermächtigung, die Verführbarkeit des Publikums), scheint man allgemein mit der Ausgewogenheit des Films zufrieden und die Diskussion wird geschlossen. Dies dürfte das Filmwochenpublikum aus der Ferne mit dem Protagonisten vereinen, der den Film stolz als wesentlichen Teil seiner Künstlerbiographie auf seiner Internetseite bewirbt (www.marcpircher.at).

 Christian Koch © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Christian Koch © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald