Film

MAKING OF HEIMAT
von Jörg Adolph, Anja Pohl
DE 2013 | 119 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
05.11.2013

Diskussion
Podium: Jörg Adolph
Moderation: Cristina Nord
Protokoll: Lisa Rölleke

Synopse

Edgar Reitz dreht wieder. „Die andere Heimat“. Einer der letzten Jungen Deutschen Filme entsteht. Und ein Bild über dessen Schöpfer. Die Filmemacher lassen Reitz Figuren besetzen, sich Dorfbewohnern stellen, Gänse treiben, Einstellungen wiederholen, Charaktere bilden. Jeder in seiner Rolle. 

Protokoll

Bei einem Dokumentarfilm über die Entstehung eines fast vierstündigen Spielfilms mit einem Budget von knapp acht Millionen Euro ist das Risiko groß, als Beiprodukt und nicht als eigenständiger Film wahrgenommen zu werden. Für die Regisseure Jörg Adolph und Anja Pohl sei jedoch der Wunsch, den Entstehungsprozess eines Spielfilms und den Gedankenprozess des Regisseurs offenzulegen größer gewesen. Auch die Bedenken, dass man unter den Mitwirkenden als Fremdkörper wahrgenommen werden könnte, war unbegründet: Am riesigen und aufwendig gestalteten Set sei das Kamerateam für den Dokumentarfilm kaum aufgefallen.

Nachdem Adolph mit On/Off the Record und Houwelandt – Ein Roman entsteht zwei Filme über einen künstlerischen Schaffensprozess gedreht hat, sei es für ihn interessant gewesen, nun einen Filmemacher und seine Arbeit dokumentarisch zu begleiten. Anja Pohl hatte zuvor als Cutterin lange Jahre mit Adoplh zusammengearbeitet. Bei diesem Projekt arbeiteten die beiden erstmals als Regieteam zusammen. Edgar Reitz sei dann selbst auf sie zugekommen. Die Verbindung habe Ingo Fliess, sowohl Produzent von Making of Heimat als auch langjähriger Drehbuchagent von Reitz hergestellt. Nach einem kurzen Gespräch wurden die Regisseure eingeladen, bei einem der ersten Produktionstreffen dabei zu sein. Von da an wurden die Arbeiten am Spielfilm 100 Drehtage lang begleitet, etwa 150 Stunden Material standen später zur Verfügung. Das Endprodukt zeigt also nur ein Bruchteil des gesamten Materials.

In chronologischer Ordnung erzählt Making of Heimat die Entstehung von Edgar Reitz Spätwerk Die andere Heimat. Begleitet werden bereits erste Castings, bei denen zahlreiche Bewerber vorsprechen. Sonst nicht sichtbare Situationen kommen zum Vorschein, etwa wenn Reitz einem Bewerber eine „gestelzte Märchenhaftigkeit“ attestiert und ihn damit als „gefährlich für den Film“ einstuft. Tatsächlich ist Reitz so kritisch, weil es ihm darum gehe, dass die Schauspieler in der Familienkonstellation wirken und miteinander stimmig sind, so Adolph. Auf die Castings folgen erste Proben und der Beginn der Dreharbeiten. Oft läuft nicht alles nach Plan und immer wieder müssen „Mikrokrisen“ überwunden werden: zunächst der überraschende Tod des Kulissenbauers, dann immer wieder Probleme mit dem Wetter und nach Drehschluss Kritik an der Länge des Films. Eine glückliche Fügung sei jedoch die Besetzung des Jakob mit Jan Schneiders gewesen. Zusammen mit Reitz ist er der Hauptdarsteller des Films. Durch ihn sei ein neuer, naiver Blick auf den Film entstanden. Deshalb habe man sich auch dazu entschieden, ihn Auszüge aus Reitz Filmtagebüchern aus dem Off lesen zu lassen, die im Film am Anfang und am Ende eine Art Scharnierfunktion einnehmen. Ein anderer besonderer Moment im Film sei das Gespräch zwischen Werner Herzog und Reitz gewesen. Herzog kann Reitz überzeugen, selbst im Film mitzuspielen und in der folgenden Szene wird Reitz in Kostüm auf einem Stuhl sitzend gezeigt während er vor Drehbeginn seinen Text spricht.

Christina Nord fragt, wie man die nuancierte Haltung zu Reitz gefunden habe, da einerseits eine große Anerkennung deutlich würde, andererseits aber auch eine Skepsis entstehen kann. Schließlich fungiert er im Film als eindeutiger Fixpunkt. Grundlage, so Adolph, sei die Lust an der gemeinsamen Reise gewesen. Der Nebenblick sei Kern der Methode gewesen, die von vorn herein eine heilige Bildmalerei ausschließe. In einer Szene wird dies besonders deutlich. Bei einem Treffen mit der Dorfgemeinde von Gehlweiler kommt ein aufgebrachter Anwohner zu Wort, der nicht damit einverstanden ist, dass womöglich ein Jahr andauernde Dreharbeiten das Dorfleben stören. Der sonst so souveräne Reitz reagiert hier höchst verärgert und sucht Rat bei einem Produktionsmitglied. Diese gestische Reaktion kann, so Ružička, als Kippfigur gesehen werden.

Eine Publikumsstimme fragt, warum man sich dazu entschied, in Gehlweiler auf dem Hundsrück zu drehen, wenn dann doch so viel umgebaut wurde. Das Dorf musste schließlich komplett mit für die Zeit typischen Fassaden verkleidet werden. Wäre es nicht viel günstiger gewesen, einen anderen repräsentativen Ort zu finden? Reitz Anliegen war es, möglichst viel des an einigen Stellen schief gewachsenen Dorfes mit seinen krummen Balken zu erhalten. Auch die Schauspieler mussten dieser Grundsatzästhetik bis in die letzte Konsequenz folgen und durften nur zeittypische Unterwäsche tragen, um sich besser in die Rollen einzufühlen zu können.

Eine andere Stimme im Publikum kritisiert, das die Kamera Reitz zur 50. Jahresfeier des Oberhausener Manifests begleitet. Reitz, der Mitunterzeichner war, erklärt hier wieder die „Abwendung von den Klischeevorstellungen der Branche“. Im Gegensatz dazu ließen sich in Making of Heimat aber sehr wohl einige Klischees finden. Außerdem bestünden für Reitz, seit vielen Jahren eine etablierte Regiegröße, die dort angesprochenen Probleme kaum mehr. Sind seine Klagen über das deutsche Filmsystem deshalb nicht eigentlich unbegründet? Da Adoplh den Film auch als eine Art Portrait versteht, sei es für ihn wichtig gewesen, dieses Statement ins Bild zu setzen und damit auch einen, seiner Meinung nach wichtigen, zeitgeschichtlichen Aspekt einzubringen. Zudem habe Reitz lange für seine künstlerische Freiheit gekämpft und zahlreiche Krisen überwinden müssen.

Ein Diskutant stellt einen Bezug zwischen der Auswanderungssituation im Film und der aktuellen Flüchtlingsthematik her. Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, um sich auf die Suche nach einer neuen zu machen. „Anrührend“ sei diese Besinnung auf das Konzept Heimat gewesen, das nach wie vor aktuell sei. Auch hier wird das Motiv des Überwinden von Hürden wieder aufgegriffen. Der Film verweise auf offene Fragen zum Thema Auswanderung und habe über den Diskurs Heimat etwas wichtiges zu erzählen.

Making of Heimat möchte auf keinen Fall ein klassisches Making-of sein. Der Versuch den Film im Film transparent zu machen, steht stattdessen im Mittelpunkt. Der Zuschauer soll sich Die andere Heimat selbst rekonstruieren können. Viele unterschiedliche Bildebenen und zahlreiche Nuancierungen des Schaffensprozesses sind das Ergebnis. Es wird mit unterschiedlichen Blickwinkeln und wechselnden Anordnungen gespielt. Teils leinwandfüllend teils nur auf einem Monitor oder aus einer ganz anderen Perspektive zeigen sich dem Zuschauer die Szenen des Films im Film.