Film

Im Augenblick. Die Historie und das Offene.
von Othmar Schmiderer, Angela Summereder
AT 2013 | 33 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
08.11.2013

Diskussion
Podium: Othmar Schmider, Angela Summerederer
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Alexander Scholz

Synopse

Aufnahmen von Ziegen, grasend, ruhend, schauend, das Geläute um ihren Hals, dazu gesprochener Text, wie ein griechischer Chor. Gedanken über das Verhältnis von Mensch und Tier: „Es ist eine offene Frage, wessen Fehler es ist, dass wir uns nicht verstehen, denn wir verstehen sie keineswegs besser als sie uns.“

Protokoll

Die Ziege starrt zurück. Aber trotz der gegenseitigen Augenlust: Auch wenn sie uns ansieht, bleibt die Ziege unerreichbar Ziege. Da hilft alles Konzeptionalisieren, Abstrahieren und Philosophieren nicht: Ziege bleibt Ziege. Wahrscheinlich würde eine Ziege die Seinsfrage zwar anders formulieren als ein Mensch, das Ergebnis bliebe aber vermutlich das gleiche: Das Sein der Ziege ist das Ziegesein. Das Problem, dass wir sie nicht verstehen, könnte also schon darin liegen, das wir unsere Seinsvorstellung und unsere Ziegenbegriffe den Ziegen so laut läutend um den Hals gehängt haben, dass die Ziege selber kaum mehr zu hören ist. Eine nahezu animalische Geste, deren Folgen man nur noch melancholisch betrauern, nicht mehr rückgängig machen kann. Weil die Ziege einen aber nicht versteht, kann sie nicht einmal Trost spenden.

Was bleibt, ist die Ziege auf der Weide als Augenweide zu betrachten und den wechselseitigen Modus der Beobachtung zu examinieren. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Die Ziege ist, wir projizieren auf die Ziege. Um diese Projektion ein wenig zu ordnen, können wir uns noch der Reflexion bedienen. Diese begibt sich in Im Augenblick. Die Historie und das Offene in Form einer intermedialen Konstruktion. Werner Ružička lobt die explizite Auseinandersetzung mit Texten im Film als belebend und erhebt Schmiderer und Summereders Werk über deren eigene bescheidene Etikettierung als „kleines Experiment“ zum Essayfilm. Die Bilder und die philosophischen Texte zum Verhältnis von Mensch und Tier treten in der Montage in ein vielschichtiges Verhältnis zueinander. Die Dauer der Sätze nimmt Bezug auf die Dauer der Einstellungen, die Bewegung des Lesens und des Verstehens finden Widerhall in der chorischen und sich überlagernden Stimmenkomposition. Blendet der Hörer dieser Sätze ob ihrer Verschachtelung nicht irgendwann ab und lauscht nur noch ihrer Melodie? Macht hier etwa die Präsenz der Stimmen etwas verständlich, das auch die Ziege empfinden kann? Beziehen die Szenen ihre Komik nur aus den teilweise humorvollen Wendungen der Philosophen oder aus der Diskrepanz von komplexen Satz und eindeutigem Ziegenbild?

Angela Summereder jedenfalls freut sich über die Lacher während der Vorführung. Ihr sei ein individueller Zugang zu den Texten und deren Komplexität besonders wichtig gewesen. Sie habe versucht, die Musikalität und die Ironie der Texte herauszuarbeiten. Es sei eher darum gegangen, eine Bewegung des Denkens festzuhalten, und so ein Gefühl für die Texte zu vermitteln, statt didaktisch vorzugehen. Othmar Schmiderer ergänzt, der Film sei generell als Versuch angelegt, wodurch die Alm zur Spielwiese der Abstraktion werden könne. Weder Realismus noch Naturalismus interessierten die Filmemacher bei diesem Projekt. Vielmehr sei habe man damit experimentiert, Darstellung der Landschaft an die Abstraktheit der Texte anzunähern. Demgemäß leuchtet ein, Agambens düstere Prognosen mit einem nebeligen Berghang in Sepia zu bebildern. Die digitale Bildbearbeitung habe eine verfremdende Funktion, resümiert Schmiderer.

Die Interaktion mit den Ziegen beschreiben beide Regisseure als intensives Erlebnis. In der entschleunigenden Atmosphäre auf 2000 Metern ließen sie sich auf ihre Gegenüber ein. Der Versuch, die Ziegen zu gewissen Bewegungen zu animieren habe sich schnell in das Gegenteil verkehrt und die Tiere eher ihre Beobachter dressiert als umgekehrt. Andererseits hatten Schmiderer und Summereder den Eindruck, ihre Protagonisten dächten auch über das Verhältnis von Mensch und Tier nach und seien kurz davor, ihre Gedanken zu artikulieren. Die Regisseure schaffen es, ihren Eindruck durch eine Dramaturgie der Montage, in der sich lange Ruhephasen mit harten Schnitten abwechseln, tatsächlich in den Film und auf den Zuschauer zu übertragen: Die Ziegen wirken im Gebirge der Zeichen wirklich stets kurz davor, das Wort zu ergreifen. Diese Wirkung wird durch den Einsatz der Musik von Clemens Gadenstätter, der den Regisseuren einige Aufnahmen zur freien Verfügung gestellt hatte, noch unterstrichen.

Die Erfahrung der diffusen Formulierungslatenz der Ziegen war es schließlich, die die Filmemacher von ihrem ursprünglichen Projekt, dem Senner der Alm eine Hommage zu widmen, Abstand nehmen ließen. War zunächst der literarische Textmonteur Bodo Hell, der im Sommer mit den Ziegen in den Bergen lebt, der Ausgangspunkt des ersten gemeinsamen Films der Regisseure, entwickelt sich das Projekt durch die starke Präsenz der Tiere in eine andere Richtung. Als Werner Ružičkas auf die Schwierigkeit hinweist, Bodo Hell in die formale Struktur des Films zu integrieren, räumt Schmiderer offen seine eigenen Zweifel an dieser Entscheidung ein. Auch Summereder sieht in der Rolle, die Hell nach wie vor in dem Film spiele, ein Überbleibsel der originären Idee für Im Augenblick, die zugunsten einer größeren Offenheit verworfen worden sei.