Film

A flea’s skin would be too big for you
von Anja Dornieden, Juan David González Monroy
DE 2013 | 47 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
08.11.2013

Diskussion
Podium: Anja Dornieden, Juan David González Monroy
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Alexander Scholz

Synopse

Willkommen im Märchenland der Schmetterlingsgottheit, im Königreich der Zwerge. Neben Auftritten und Ansagen für die Besucher gibt es in dieser Welt auch alltägliche Dinge. Das Feld muss geerntet, Essen zubereitet werden. Neben dem Business werden SMS geschrieben. Thank you, thank you, thank you. 

Protokoll

Das Material aus dem Phantasien sind, sagt bisweilen einiges über die Wahrhaftigkeit dieser Phantasien aus. Nun ist es aber mäßig prägnant, im Zusammenhang mit Produkten der Imagination von Wahrhaftigkeit zu sprechen. Vielleicht geht es eher um die Kostbarkeit der Phantasie und darum, dass es sich bei ihren Schöpfungen zumeist erst einmal nicht um kostende Produkte im marktwirtschaftlichen Sinn handelt. Und was soll eigentlich dieses Material sein, aus dem die Phantasien sind?

Das erste Bild von A Flea’s Skin Would Be Too Big For You nimmt auf diese Unsicherheiten schemenhaft Bezug. Es zeigt eine auf Super 8 aufgenommene Blume. Eine Kinderstimme erzählt auf der Tonspur eine märchenhafte Geschichte von Schmetterlingen und einem Königreich, dem Gott wohlgesonnen ist. Wenig später sieht man eine 16mm-Aufnahme von einer kleinwüchsigen Frau, die synthetischen Stoff um eine kleine Metallschlaufe zieht, um eine künstliche Pflanzen herzustellen. Das eine Bild bildet den kontrastiven Rahmen für das andere und zusammen fügen sie sich zu einer starken Metapher. Das sprunghafte Bild der leicht verschwommenen Blüte der Wiederpart zum kalkulierenden Fairytale-Industriepark, irgendwo in den Hügeln Südchinas. Letztrerer unternimmt den Versuch der Materialisierung einer Phantasiewelt unter der perfiden Voraussetzung, kleinwüchsige Menschen seien niedliche Wesen aus dem Reich der Vorstellungskraft.

Ausgangspunkt des Projektes ist bezeichnenderweise ein Bild des Parks, das die Regisseure in der New York Times entdecken. Nach einigen Diskussionen mit den Verantwortlichen und einem ersten Besuch des Parks, können Anja Dornieden und Juan David González Monroy zwei Wochen lang nach China zurückkehren und sich im „Kingdom of the Dwarves“ zusammen mit lokalen Übersetzerin frei bewegen. Mit ihren 16mm- und Super-8-Kameras hätten die beiden Filmemacher, die unter dem Künstlernamen OJOBOCA zusammenarbeiten, in dem wenig von ausländischen Touristen besuchten Ort selbst als Attraktion und Fremdkörper gewirkt, erzählen sie. Auf Film zu drehen hatte bei dem Projekt offenbar den doppelten Effekt, einerseits vor Ort auf Unverständnis ob dieser Methode zu stoßen, und andererseits mit dieser Vorgehensweise die Fremdheit dieses Ortes besonders gut einfangen zu können. Durch die Monotonie des Alltags in der unheimlichen Kitschmaschine seien die Regisseure zwar schnell ein weiterer eigenartiger Teil des skurrilen Geschehen gewesen. Trotzdem habe das typische Gefühl der Unsicherheit bei der Arbeit mit Film, das notwendig durch Aufschub der Begutachtung des Geschossenen entsteht, eine besondere kreative Kraft freigesetzt.

Die Ahnung des Ungefähren nämlich, die OJOBOCA zunächst beim Filmen unverständlicher Dialogszenen begleitet, zieht sie als vage Gemütsbewegung durch A Flea’s Skin Would Be Too Big For You. Eine Zuschauerin bemerkt, dass das Filmmaterial in der Dokumentation darüberhinaus gestalterisch fruchtbar gemacht wird, indem der Film als langer Videoclip wirke. Die Orientierung digitaler Produktionen an einer Ästhetik des Films werde hier stilvoll verkehrt. González Monroy führt aus, dass der Film nichtsdestotrotz für das Kino gemacht sei und im Idealfall – wie heute – auf 35mm vorgeführt werden solle. Dornieden ergänzt, dass sich der Film schon deshalb nicht für die Vorführung in einer Galerie eigne, weil er stets als Ganzes funktioniere.

Die Dramaturgie des langsamen Decouvrierens der Mechanismen des Themenparks und die Rhythmik der Montage des Super-8-Materials stoßen im Publikum auf Wohlgefallen. Dass über den Park weniger informiert wird, als dass die omnipräsente Fremdheit des Ortes ein Vakuum hinterlässt, das der Zuschauer mit seinem eigenen Gefühl füllen muss, wird von vielen als stimulierende Verwirrung empfunden. Uneinigkeit im Urteil besteht in der Diskussion über den Umgang mit dem Inhalt des Films. Das Maß und die Notwendigkeit, die perfide Unterhaltungsindustrie des Parks kritisch zu kommentieren, werden kontrovers debattiert. Die Szenen beispielsweise, in denen die kleinwüchsigen Schausteller in ihrer Freizeit zu sehen sind, gäben ihnen keineswegs die Würde zurück, deren Entzug die Darstellung des Showbetriebs eindrucksvoll demonstriert. Tatsächlich hallt die kitschige Musik der erniedrigenden Animationssongs des Parks in der Musik nach, die die Unterhaltungsarbeiter in ihrer Freizeit hören. Zwar nähern sich die Regisseure ihren Protagonisten langsam – erst gespiegelt in einer Pfütze, dann ein Schatten, dann im Spiegel, dann erst ganz im Bilde – trotzdem entsteht bei einigen der Eindruck, der Film kippe vom Decouvrieren ins Desavouieren.

Es erscheint fraglich, ob bei den aktiven Eingriffen der Filmemacher in das Geschehen gute Intentionen vor problematischen Effekten schützen. Denn es mutet zumindest ironisch an, wenn OJOBOCA sich zugute halten, die eigentlichen Shows nicht zu zeigen und dergestalt nicht die Perspektive der Touristen einzunehmen, die Schausteller aber um Vorstellungen ohne Kostüm vor ihrer Kamera bitten. Worin die reinigende Erhebung besteht, wenn die Bilder der Schausteller so montiert werden, dass sie sich selbst bei ihrem erniedrigenden Spiel zuschauen, will sich ebenfalls nur schwerlich erschließen. Genauso zeigen die Regisseure ihre Protagonisten beim militärischen Antreten und Auswendiglernen infamer Servicehymnen und lassen den Film mit einer eigens eingesprochenen Dankesorgie in ähnlicher Weise enden. Eine Diskutantin wirft den Filmemachern deshalb Blauäugigkeit vor, während Vrääth Öhner eher den Eindruck hat, die fragmentarischen Beobachtungen des Films fügten sich zu einer Multiperspektive, die wiederum den Zuschauer auf sein persönliches Urteil zurückwerfe. Andere Diskussionsteilnehmer greifen diese These auf und weisen darauf hin, dass der Film doch eher um eine offene Form des individuellen Ausdrucks bemüht sei und weniger um Informationsvermittlung.

González Monroy führt aus, ihn habe interessiert, inwiefern die Schausteller in dieser Art Freakshow selbst zum Produkt würden und das kapitalistische System, in dem sie sich bewegen ihren Alltag unausweichlich bestimmt und strukturiert. Es ginge zwar einigen Kleinwüchsigen in dem Park auch besser und sie könnten sich teilweise unabhängiger bewegen als zuvor. Dornieden sekundiert, man sei natürlich trotzdem erschrocken von dem System dort – besonders wegen der strukturellen Ähnlichkeit zu eigenen Erfahrungen in einem weniger entrückten Umfeld.