Film

Revision
von Philip Scheffner
DE 2012 | 106 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 36
06.11.2012

Diskussion
Podium: Philip Scheffner
Moderation: Cristina Nord
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Eine filmische Revision gewisser Umstände, die 1992 zum Tod zweier Männer nahe der deutsch-polnischen Grenze führten. Ein Tatbestand wird mittels Befragung von Zeugen, Akten und Hinterbliebenen umkreist, der Tatort wird besichtigt. Aus Erinnerungen formen sich die Konturen einer unerhörten Begebenheit.

Protokoll

1992 sterben zwei rumänische Männer beim Überqueren eines Getreidefelds an der Grenze zu Polen. Die Umstände ihres Todes bleiben juristisch weitestgehend ungeklärt, die Angehörigen 20 Jahre lang weitestgehend uninformiert.

Revision: juristisch „Überprüfung“, etymologisch „wieder-ansehen“. Begriffe, die im Film inhaltlichen und strukturellen Nährboden finden: „Revision“ ist ein Gegenlesen von Tatbeständen und dokumentarischen Strategien. Der Film erzählt nicht nur von Landeslinien und deren Überschreitung, sondern lotet das Verhältnis von Gehörtem, Gesprochenem und zu Sehendem neu aus – ein Grenzgänger in vielfacher Hinsicht.

Gemeinsam mit Koautorin Merle Kröger begibt sich Philip Scheffner auf Spurensuche, recherchiert, sammelt, visualisiert. Investigativ sei das nur selten, sagt er. Was der Film weder leisten könne noch wolle, sei das Gerichtsverfahren neu aufzurollen; jeder Versuch, die offenen Fragen einer filmischen Antwort zuzuführen, muss scheitern. Weniger darum, was tatsächlich passiert ist, als um die Kontextualisierung des „davor“ und „danach“, um die persönlichen und zeitpolitischen Geschichtsstränge geht es Scheffner. So trägt er alle verfügbaren Informationen zusammen, stellt sie nebeneinander, zieht eine Bilanz dessen, was gewusst werden konnte und was gewusst wurde. Ein anderes Sprechen, ein anderer Raum für die Versionen und Erzählungen, die in einer juristischen Sackgasse verlaufen sind, soll bereitgestellt werden.

Das Zu-Hören ist dabei das zentrale Moment des Films. Oftmals werden die Protagonisten beim Hören ihrer unmittelbar zuvor getätigten Aussagen gezeigt, der klassische Begriff der filmdokumentarischen Zeugenschaft wird verhandelt; um zum Zeugen zu werden bedarf es eines Gegenübers, vor dem Zeugnis abgelegt werden kann. Diese sekundäre Zeugenschaft umfasst nicht nur den Filmemacher und den zuhörenden Aussagenden selbst, sondern dringt auch in den Kinosaal. Der um die Ebene des doppelten Sprechens erweiterte akustische Raum wird zum geteilten Raum zwischen Filmemacher, Protagonist und Kinopublikum.

Immer wieder bricht „Revision“ mit Seh-, Hör- und Sprechkonventionen, mit dem Status des Filmemachers und dem der Protagonisten. Kontrollgewinn auf der einen Seite mit dem Hören der eigenen Aussage als Möglichkeit eines Korrektivs des Gesagten und zum Schutz gegen die Ausstellung unmittelbarer Emotionen. Machtverlust auf der anderen Seite: die Beweiskraft der eigenen filmischen Bilder wird ebenso infrage gestellt, wie das Untergraben der Autorenschaft im Moment der Adressierung durch die Angehörigen im Bild thematisiert wird. Eigentlich, so Scheffner, wollte er einen ganz anderen Film machen, über Erinnerung. Aber da den Betroffenen entscheidende Informationen, also auch jegliche Erinnerung an die entsprechenden Vorgänge fehlten, drehte sich das Verhältnis um: als ungewollter verlängerter Arm der deutschen Justiz wurde er selbst nun aussagepflichtig, die Angehörigen über alle Umstände aufzuklären.

Das Narrative als Strategie zur Wahrheitsfindung dringt nun auch in juristische Dunstkreise, hat Werner Ružička jüngst gelesen. Scheffners Verdienst ist es, die losen Enden und Anfänge dieser Geschichte in die filmische Erzählmaschine einzufädeln, sie zu „re-visieren“, neue Reflektionsräume zu öffnen. Nicht zuletzt arbeitet „Revision“ gegen das Vergessen. Wie die Windmühlen, die Jahre nach den Ereignissen am Tatort errichtet wurden und für Scheffner, wie Gedenksteine, ungeachtet jeglicher Grenzen an die Opfer erinnern.

 Nadine Voß © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Nadine Voß © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald