Film

Heidis Land – Eine Reise
von Susanne Quester
DE 2012 | 48 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 36
09.11.2012

Diskussion
Podium: Susanne Quester
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Constanze Berschuck

Synopse

Erwachsene erinnern sich an Heidi. Vermischen dabei Johanna Spyris Klassiker mit ihrer eigenen Kindheit. Dazu Blicke nach Frankfurt, nach Österreich. Und das ewige Bildinventar der Schweiz: Kühe, Almhütten und die Hänge und Gipfel der Alpen. Heidi als Freizeitpark, Heidi als Zeichentrick, Erinnerung als Passstraße. 

Protokoll

Erinnerungen an die eigene Kindheit sind schwer greifbar und verschwommen, wenn nicht sogar verfälscht. Welchen Platz nimmt darin also die im 19. Jahrhundert verfasste und fortwährend populäre Heidi-Geschichte ein? Welche kindliche Realität erzeugte die Begegnung mit der lebensbejahenden Heidi und dem idealisierten Bild der Schweiz? Regisseurin Susanne Quester stellt sich diesen Fragen mit einem analytischen Blick und macht eine Reise in „Heidis Land“, wo sie jene Orte aufsucht, die den Mythos der Geschichte verorten und vergegenständlichen. Im Tal der Sehnsucht nach einer gedanklich verlorenen Kindheit, die von zeitlichen Erinnerungen überlagert ist, lassen die individuellen Erzählerstimmen (aus dem Off) neue Bildräume entstehen, die sich über die der einfach gehaltenen Filmbilder legen. Wie eine zeichentrickhafte Vereinfachung gibt der Film klare Umrisse und füllt sie mit vielschichtigen, farbigen Inhalten.

An ihrem Abschlussfilm (der HFF-München) konnte Quester vollkommen frei arbeiten, aber warum sie dafür gerade Heidi als Thema gewählt hat, kann sie selbst nicht ganz beantworten. Ihre Beziehung zu Heidi sei ihr selbst nicht ganz klar. Als Kind hat sie zwar einige japanische Heidi-Trickfilme gesehen, aber die haben sie nicht besonders interessiert. Das Interesse kam erst beim Filmprozess und durch die zufällige Romanbegegnung vor fünf Jahren, eine Art Wiederentdeckung der eigenen Kindheit.

Nach der Romanlektüre fing Quester an zu recherchieren und ist nebenbei auf viele interessante Aspekte gestoßen. Da sie schon immer mal eine lange Recherche machen wollte, um einen „schlauen Film“ zu produzieren, hat sie viel gelesen bis sie irgendwann die passende Literatur und die passenden Orte für einen Film gefunden hat und ist losgezogen. Zudem war ihr Redebedürfnis mit den Leuten die über Heidi geschrieben haben sehr groß, da sie sich an einem bestimmten Punkt einfach vergewissern wollte, ob sie mit ihren Gedanken richtig liegt. Demzufolge wurden erst die Interviews geführt und später gedreht. Einige der acht Interviewpartner hat sie über ihre Literaturrecherche gefunden, wie bei Bettina Hurrelmann, bei anderen wusste sie bereits von einer Berggeschichte, wie bei Wolfgang Flatz. Teilweise waren die aufgenommenen Erinnerungen an Heidi und ihre Welt allerdings so schlecht, dass man die „Nacherzählungen“ nur schwer zusammenführen konnte. Zudem wurde sie vielmehr von der „sprachlichen Färbung“ der Leute und ihrem individueller Klang angesprochen.

Für Moderator Till Brockmann steckten viele Wiedersprüche und Verwirrungen im Film, wie die Stelle, an der Bilder von Frankfurt (am Main) zu sehen sind, währenddessen über Düsseldorf gesprochen wird. Für Quester gibt es hierbei keine Wiedersprüche. Zwar seien die Bilder „nicht ganz auf dem Punkt“, doch die Städte seien für sie das Gleiche (leichte Entrüstung und vereinzelte Lacher). Auch der Unterschied zwischen Österreich und Schweiz sei für sie nicht sehr groß (lautes Lachen).

Peter Ott bezeichnet das Hören der Stimmen als „Akusmetrie“, die aus den Kulissen heraus zu sprechen scheinen und als „Trajektorie“, die zwischen Bild und Stimme entsteht. Schließlich fragt er aus welchem Ich heraus die Stimmen sprechen und wie ihre Bezüge zum Bild aufgebaut sind? Auf Nachfrage expliziert er seine Frage und möchte wissen, wie die unterschiedliche Fokussierung zwischen der Sprache und den unattraktiv dargestellten Heidi-Welten aussah. Quester kann diese Bezüge nicht mehr herstellen. Da sie an so vielen Orten war, ist dies jetzt schwer für sie zu beschreiben. Auf die spätere Frage von Joachim Schätz, der nach der Dramaturgie des Sprachregisters fragt, erläutert sie ihre Intention einen Prozess abzubilden, weshalb sie nur dem gefolgt ist, was sie „weitergeführt hat“. Ein „Match“ von „Menschen und Bildern“ wollte sie nicht erreichen. So vermittelt der Film ein verwirrtes Gefühl von Orientierungslosigkeit, ähnlich ihrem eigenen Gefühl beim Durchschauen des Bildmaterials. Relativ unklar sind die beschriebenen Orte jedoch auch im Buch definiert. Da eine Reise in der Zeit nicht möglich war, also ins Jahr 1880 wo die Heidi-Geschichte spielt, bewegte sich Quester in der heutigen Zeit und nahm das auf, was sie vorfand.

Ein Gast aus dem Publikum findet das Heimatliche und das Heimweh im Film gut beschrieben, aber er vermisst die emotionale Haltung der Regisseurin zu ihrem Film. Quester fragt nach: „Wo in mir der Film liegt?“ Gereizt expliziert der Gast seine Frage und möchte wissen wo hinter ihrer Fassadenhaftigkeit in der Diskussion sie als Filmemacherin, ihre Sehnsucht nach Heimat, im Film zu finden ist. Ohne die Antwort abzuwarten, regt er sich über ihren fehlenden emotionalen Bezug zum Film auf. Völlig nüchtern erklärt Quester, das der Filmprozess sehr lang war und dies bei ihr anders ist. Ihre Haltung zum Film hat sich in den 5 Jahren immer wieder verändert. Der Gast bleibt „enttäuscht“ über ihre Antwort. Eine andere Stimme aus dem Publikum fand gerade das Unpersönliche (im Film) gut, wodurch der Kern der Schweiz sowie die Verwertungsindustrie von Heidis Land gut herausgearbeitet wurde und fragt nach dem Vorgehen der Kamera. Die Filmbilder wurden vor dem Dreh nicht besprochen, doch das Angebot von ihrem Kameramann hat sie angenommen. Sie wollte mit den Bildern ihren Eindruck vom Durchfahren zeigen und das Abbilden was man von außen sieht.

Eine Frau aus dem Publikum spricht die gelungene Szene an, in der die Filmidee selbst hinterfragt wird und meint, die „schönen Berge“ im Film hätten bei ihr Lust zum Wandern erzeugt sowie eine Stimmung von Nostalgie, Sehnsucht und Heimweh. Quester wundert sich etwas und berichtet von einer ganz gegensätzlichen Reaktion auf die gefilmten Berge, die als „beschissene Bilder“ empfunden wurden, trotz der schönen Kulisse. Die Bergbilder bezeichnet die Regisseurin selbst als „untere Hälfte von schön!“, was auch ihr Anliegen war. Zwar wollte sie nichts vermeiden, aber auch keine schönen Berge zeigen und das „blieb übrig“. Die Frage ob ihre Bilder bewusst unromantisch eine andere Version von Heidis Welt erzeugen sollten, wie z.B. die vom Schnee überhäuften Heidi-Figuren, die mehr entstellt und gruselig als fröhlich aussahen, blieb unbeantwortet.

Der Moderator kommt erneut auf den japanischen Trickfilm zu sprechen und fragt warum nur diese Trickfilmbilder im Film auftauchen. Quester hat vieles angeschaut, doch im Fokus auf die Sehnsucht waren Zeichentrickbilder am idealsten und klarsten in ihrem Ausdruck. Zudem gab es leider viele rechtliche Einschränkungen bei anderen Bildmaterialien über Heidi.

Werner Ružička geht auf den sinnstiftenden Titel ein. Heidis Land ist nicht mehr konkret da, es ist ein Mythos, dass nur mehr besichtigt werden kann, unauffindbar im geographischen wird es zu einem imaginären Raum, was im Genre „Zeichentrick“ passend zur Geltung kommt. Der „Realfilm“ mit den vielen Totalen wirkt auf Ružička „sehr geschmeidig“. So wie der Begriff der Reise verschiedene Sichtweisen anbietet, eröffnet der Film verschiedene Sprachregister, die das Orale hervorkehren. Letztlich lobt er die Einfachheit des Films, in der komplexe Themen verborgen sind. Wie ein „Märchenbuch“ führt einen der Film zurück in die Kindheit und er „bliebe jetzt dort“.