Synopse
Christian ist bildender Künstler, kommt aus einer Familie, in der irgendwie alle Künstler waren und es nicht sein durften. Ein Besuch im Atelier. „Bei dieser Arbeit da, war da der Text zuerst?“ „Ne, der Sockel, die Form.“ Ein Film über Gespenster.
Protokoll
They are playing a game. They are playing at not playing a game. If I show them I see they are, I shall break the rules and they will punish me. I must play their game, of not seeing I see the game.
(aus R. D. Laing: Knots)
Mit dem Versuch, sich an den oben stehenden Text zu erinnern, der im Film von einer Darstellerin auswendig gelernt wird, beginnt die Diskussion. So wie die Darstellerin scheitern auch die drei Diskutierenden. Also schnell zum Thema:
„Atelier“ ist ein Auftragsfilm. Der in Stuttgart lebende Künstler und Auftraggeber Michael Dreyer hat sich intensiv mit dem Genre des Atelierfilms beschäftigt, einem bis in die Maschinerie Hollywoods (z.B. „Pollock“) reichenden Filmgenre. Die Idee dazu kam ihm im Verlaufe seiner Auseinandersetzung mit dem durch die Arbeit des schottischen Psychoanalytikers und Schriftstellers R. D. Laing beeinflussten „Living Theatre“, das in den 1960er und 70er Jahren radikal mit der bürgerlichen Theatertradition brach. Das ebenfalls aus dieser Zeit stammende Bühnenbild Jerzy Grotowskis zum Stück „Kordian“, in dem das Publikum inmitten der im Irrenhaus spielenden Handlung sitzt, hat er für eine Ausstellung in der Manier des Stuttgarter Bildhauers Alfred Lörcher als vielfiguriges Relief nachgestaltet. Man sieht Dreyer im Film immer wieder bei der Arbeit an dessen Details.
Dreyer schien die filmische Analyse seines eigenen Arbeitsraums ein probates Mittel zu sein, seine eigenen familiären Beziehungen zu thematisieren. Die enorme Komplexität solcher Beziehungen steht im Zentrum der therapeutischen Arbeit Laings und wurde von ihm in Form kybernetischer Modelle erklärt. Dreyer vergleicht jene mit konkreter Poesie, die ebenfalls zum Referenzgefüge des Films gehört. Als Blaupause für den Film diente außerdem der 1971 von Francois Rossif über den französischen Maler Georges Mathieu gedrehte Film „Georges Mathieu ou la fureur d’Ètre“, eine barocke Bildorgie, die auf überbordende und überspannte Weise die kreative Macht des Künstlergenies feiert.
Peter Otts erste Idee war, einen „Beobachtungsfaktor“ einzubauen, eine Art von „Malen vor Publikum“. Ihm sei aber sofort klar geworden, dass das nicht reichen würde, sondern dass die Biographie des Künstlers auf irgendeine Weise befragt werden müsse. Dies findet in den – im Film immer wieder plötzlich mit anderem Ton überlagerten – Gesprächen zwischen Ott und Dreyer statt, die um die im Kunstkontext schon lange zum Klischee verkommenen problematischen Vater-Sohn-Beziehungen kreisen. Auch Dreyers Vater und Großvater verstanden sich als Künstler, obwohl sie mehrheitlich anderen Broterwerben nachgingen. Eine Beziehung scheint auf, die zwischen Konkurrenz und Bewunderung schwankt.
Susanne Quester bemerkt, dass der Auftrag, einen Atelierfilm zu machen, in der ersten Hälfte des Films erfüllt scheint, dann aber die „Turnstunde“ hereinbreche (Ott: „Das ist Tanz!“) und ein anderer Film begänne. Ott findet das nicht, vielmehr sei die extreme Überzeichnung der Kunstklischees eine notwendige Brechung mit der „klassischen“ Form der Darstellung von Kunst in anderen Medien. Frage aus dem Publikum: Ob hier ein Angriff auf die künstlerische Arbeit Dreyers stattfinde? Nein, Ott lehnt lediglich den zeitgenössischen Begriff von Kunst ab, zwar bewundere er die Malerei Dreyers, aber die Ökonomie des Kunstmarkts sei falsch.
Die Auseinandersetzung mit der Kunst finde, so Ott, indirekt auf zwei Ebenen statt: einer materiellen, auf der die „stoffliche Wirklichkeit“ des Ateliers, die Tische, Objekte, Lampen, Werkzeuge usw., über die man ständig stolpere, als Display funktioniere. Ganz ähnlich wie der Galerieraum, der am Anfang des Films gezeigt wird. Auf der anderen Ebene thematisiere er den Film als Technik, als Aufzeichnungsprozess. Darum die vielen „Sollbruchstellen“, mal wird der Ton heruntergezogen, dann wieder der überzogene Einsatz der Musik von Henze, die Gitarristin, die zu üben scheint, der Tanz, das Interieur. „Das alles ist natürlich total schrecklich! Das kann man so eigentlich ja nicht machen!“ so Ott. Am Ende sei das Atelier „wie ein Tintenfisch zu einem uteralen Raum umgestülpt“ worden.
Diesen Raum findet Werner Ružička wesentlich für das Verständnis des Films. Er sei gelungenes Beispiel für den von Rancière im Interesse einer politischen Kunst gedachten Raum, in dem alles möglich ist. Immer dann, wenn die Künste im Raum des Ateliers sich gegenseitig parodierten, entstehe ein Spiel mit Bildern und Symbolen, das auch das Spiel der Konstruktionen von Bedeutung mitdenke.
Dreyer erscheint die Verbindung von abstrakter Kunst und Henze-Musik beim Anschauen „zum Brüllen“. Er sieht darin eine Redundanz, die man aus Inszenierungen von Kunst im Fernsehen kenne. Er will die Komik des Films auf die verdichtende Schnitttechnik zurückführen. Im Publikum äußert man sich bestätigend. Ott hingegen reagiert ablehnend, überhaupt findet er die angesprochenen Szenen nicht sonderlich komisch. Um Komik sei es nicht gegangen, was hier als komisch erscheine, sei vielmehr purer Kitsch. Schließlich arbeite sich der Film an einer Form unmöglicher Übersetzungsleistung ab, von einem Genre in das andere, von der bildenden Kunst in den Film. Das sei notwendigerweise eine Auseinandersetzung mit der Peinlichkeit, die etwa entstehe, wenn in Filmen zu sehen ist, wie jemand beim Lesen eines Gedichts vor Rührung Tränen vergießt.
Die Tränen sind auch in „Atelier“ zu sehen, sie werden von einem sehr jungen Mädchen geweint. Das Mädchen – auch dies „purer Kitsch“ (Ott) – interveniert als Muse immer wieder in Dreyers überzogen als theatralisch stockend gezeichneten „Schaffensprozess“. Währenddessen repetiert sie das anfänglich erwähnte Gedicht von R.D. Laing. Dreyer bekennt, dass ihm schon beim Drehen der Szene, aber eigentlich auch heute noch unklar sei, worum es Ott hier ging. Weint das Mädchen aus Empathie mit dem glücklosen Künstler? Oder weint es aus Ärger über die destruktive Geste des Künstlers, der einer Figur wutentbrannt die Haare vom Kopf reißt? Die Entscheidung, die „vierte Generation“ auftreten zu lassen, komplettiert aber für Dreyer das Tableau des Sozialgefüges Familie, das von R.D. Laing erstmals als Mittel der Repression beschrieben worden sei. Die Klischees müssten da sein, so Ott, weil sie eben funktionierten, eine Schwere hätten, die über die Übertreibung gebrochen werden müsse.
Hier kommt im Publikum die Frage nach dem Geschlecht der Performerin der Muse auf. Hätte es nicht auch ein Junge sein können oder gar müssen? Nein, so Ott, denn es ginge natürlich um Geschlechteridentifikation, um das Spiel mit den tradierten Künstlermythen von kreativer und sexueller Potenz. Und natürlich, so fügt er hinzu, hätte er nicht einfach einen Jungen nehmen können, schließlich habe Dreyer selbst eine Tochter, und dies zu missachten hätte ja gegen die elementaren Regeln des Dokumentarfilms verstoßen.
In der Diskussion ist noch viel von der Vater-Sohn-Beziehung die Rede, von deren Darstellung Quester findet, sie sei nicht ernst gemeint. Der Unterschied zwischen Ernst und Unernst sei kleiner als man denkt, entgegnet Ott. Dadurch, dass etwas unglaubwürdig erscheine, sei es nicht weniger wirklich, nicht weniger schrecklich. Auch Dreyer findet die Vater-Sohn-Beziehung nicht unglaubwürdig dargestellt. Wie der Film außerhalb des Ateliers in einem Galerieraum beginnt, endet er auch außerhalb des Ateliers, im Auto auf den Straßen Stuttgarts, mit einem weiteren Gespräch über den Vater. Diese Rahmung sei, so Dreyer, „doch eigentlich ganz konventionell“.