Film

Farben einer langen Nacht
von Judith Zdesar
AT 2011 | 70 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 35
08.11.2011

Diskussion
Podium: Judith Zdesar, Florian Brüning (Produktion)
Moderation: Susanne Mi-Son Quester
Protokoll: Judith Funke

Synopse

Die Schritte knirschen im Schnee. Dunkel ist es und eisig im grönländischen Upernavik. Das Leben im Dämmerlicht ist Alltag dort. Feste werden gefeiert, es wird in die Schule gegangen, die Polizei ist im Dienst. Dennoch stellen sich in der Dunkelheit Fragen: Wovor hast du Angst? Vor dem Eisbären? 

Protokoll

Am Anfang stand die Angst. Die Idee, einen Film über Dunkelheit und Isolation zu machen, dieses diffuse, unangenehme Gefühl in der Nacht. Eine Angst, mit der sich Judith Zdesar auseinandersetzen musste, als sie irgendwann nicht mehr ohne Nachtlicht schlafen konnte. Aber wie kann man so etwas darstellen, ohne dass gleich ein Therapiefilm daraus wird?

Bei ihren Recherchen stieß Zdesar auf ein Artist-in-Residence-Programm eines kleinen Ortes im Norden Grönlands. Damit war das Projekt geboren: Einen Monat in der Fremde verbringen, mitten im Polarwinter, am Ende der Welt. Sich der Isolation stellen, sich mit der eigenen Angst konfrontieren, sich alleine mit der Kamera auf ihre Spuren begeben.

Vor Ort fühlte Zdesar sich gut aufgenommen von ihren Gastgebern, sie berichtet von einer großen Offenheit, fühlte sich nie als Fremdkörper. Trotz der sprachlichen Hindernisse hatte sie immer das Gefühl, gut kommunizieren zu können, und sei es nonverbal. Eine Erfahrung, die sich so nicht auf alle Zuschauer übertragen hat: eine „Barriere des Verstehens“ wird angesprochen, und auch eine extreme kulturelle Fremdheit.

Jenseits des Kulturschocks aber lassen sich gelungene Anspielungen auf Horror-Klassiker finden, THE RING oder POLTERGEIST etwa hat Peter Ott ausfindig gemacht. Zdesar selbst schaut keine Horrorfilme, die machen ihr zuviel Angst. Trotzdem liegt natürlich ein gemeinsames Prinzip zugrunde: „Bei Dingen, die man nicht sehen kann, lässt sich immer das Schlimmste rausholen“.

Und das tun auch die Dorfbewohner: Schon die Kinder benutzen ihre Handys zur Gespensterdokumentation, verstorbene Angehörige kehren als Schatten aus dem Winterdunkel wieder, und die Turnhalle wird nur ungern genutzt, seit dort „etwas“ gesehen wurde. Nicht zu vergessen der Eisbär, solange der nicht zu sehen ist, kann er überall sein. Das alles wird sehr ernst genommen. Schon das entsprechende Inuit-Wort klingt laut Zdesar viel normaler, als wenn man bei uns von „Geistern“ oder „Energie“ spricht, weniger esoterisch. Der Tod ist dort kein Tabu, er ist eben immer da, in dieser archaischen Welt, in der das Leben tatsächlich noch gefährlich ist.

Von hier aus betrachtet wirkt das fast romantisch: Die Angst vor der Dunkelheit bedeute gleichzeitig Respekt vor der Natur, merkt eine Diskutantin an, erfreulich, dass der noch nicht überall verloren sei. Und Quester findet, auch wenn die Natur bedrohlich ist, so zu leben heiße auch: wieder ein Teil von etwas sein.

Wichtig ist Zdesar, dass sie kein ethnologisches Projekt verfolgt hat, wenngleich man viel erfährt über „die Menschen dort“, ihr Leben im Eis, ihre Sorgen und die Feste, die sie feiern. Vielmehr wollte sie ihre ganz subjektive Erfahrung erlebbar machen, und das scheint geglückt: Auch wenn mancher gern früher gewusst hätte, wohin die Reise führen soll, mitnehmen lassen hat man sich doch gerne.