Film

STERNE
von Frank Wierke
DE 2010 | 81 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
03.11.2010

Diskussion
Podium: Frank Wierke, Beate Middeke (Schnitt), Frank Spilker (Protogonist „Die Sterne“)
Moderation: Lars Klostermann
Protokoll: Markus Dewes

Synopse

Nicht nur ein Film über die Band Die Sterne. Vielmehr ein Film über die radikalen Veränderungen im Popgeschäft, das Älterwerden als Band, über Musik als Kunstform. Man muss schon irgendwie schizophren sein, um Marketing und künstlerische Freiheit unter einen Hut zu bringen.

Protokoll

„Aus 40 Stunden werden 80 Minuten“, dieser nachträgliche Kommentar kann als Leitgedanke für ein assoziatives Sammeln und eine strikte Auswahl gelten. Ein Filmen, welches die Prozesshaftigkeit und Fragmentierung des Entstehens von Musik und Text untersuchen und dokumentieren will und sich gleichzeitig einer Glorifizierung der Künstler verweigert. „Sterne“ ist das Resultat einer einjährigen teilnehmenden Beobachtung am künstlerischen Alltag einer inzwischen bereits zum Universitätsthema gewordenen Band. Der Film geht aber über diese Fragen hinaus, wird zu einem Requiem auf ein Quartett, zur Reportage der Arbeitsbedingungen im modernen Popalltag und zur distanzierten Annäherung an „Die Sterne.“

Lars Klostermann eröffnet die Diskussion mit der offensichtlichen Frage, ob man ein Fan der Sterne sein muss, um einen solchen Film zu produzieren. Frank Wierke benennt Fantum als eher hinderlich, weil einem Fan eine gewisse Barriere fehlt, welche die Perspektive zu verengen droht. Sein Ansatz sei ein anderer, eine teilnehmende Beobachtung der Entstehung der Texte und der Musik. Aus diesem Grund sei das alleine drehen müssen und wollen sehr wichtig gewesen, weil es so möglich wurde, sich einer medienerfahrenen Band langsam und im gegenseitigen Vertrauen zu nähern.

Die in der Diskussion mehrfach thematisierte Nähe in engen Räumen ist laut Wierke auch ein schlichtes Resultat der pragmatischen Durchführbarkeit seines Projekts, bei dem er Kamera- und Tonmann in Personalunion war. Man musste eben nah rangehen, weil das Mikrofon an der Kamera befestigt war. Wierke nennt dies die wichtigsten Bedingungen für eine „Natürlichkeit des Tons.“ Auch die Bilder, welche stellenweise grob und unsicher wirken, sind dieser geschuldet. In ihrer Nichtperfektion sollen sie aber als ein „Widerspiegeln des Lebens“ verstanden werden, eine dramaturgische Dynamik, welche durch Verdichtung und Verzerrung austariert wird.

Es sei kein festes Drehbuch vorhanden gewesen, eher mehrere Fragen und Impulse, die dann zu einer Untersuchung des „Älterwerdens in der Popmusik“ und des „Leben in der Kunst“ verdichtet wurden. Das Vorantasten in den „Wahrnehmungsraum der Band“ (Wierke) fiel auch mit einer Phase zusammen, in der die Band begann neue Sounds auszuprobieren und erste Gräben zwischen den einzelnen Mitgliedern manifest wurden.

Die erste Publikumsfrage ist eine sehr hitzige: „Man kann den roten Faden des Films nicht erkennen, was soll ich mir da jetzt rausziehen?“ Wierke reagiert gelassen. Es gibt nicht nur einen Nenner, keine Hauptaussage, es geht vielmehr um ein Abbilden des Arbeitsalltags der Band ohne Glorifizierung oder Überhöhung. In dem Nichtsichtbaren der öffentlichen Inszenierung einer Popband soll die Tristesse sichtbar gemacht werden, auch die „Durststrecken“ sollten bebildert werden, ergänzt Beate Middeke (Schnitt).

Frank Spilker antwortet grinsend auf die Frage, wie er sich in der Rolle des Beobachtungsobjektes gefühlte habe, dass es wichtig sei, wie gut man mit dem Beobachter zu Recht kommt. Wierkes bewusstes Unterlaufen der im Popmarketing üblichen Inszenierungsstrategien sei für ihn die Antwort auf die existierenden Rockumentary- Fälschungen. Ein Diskutant lobt die Lebensnähe des Filmes, die sich weder scheut die Konflikte offen zu legen, noch bemüht sei klare Antworten zu geben und auch der Musik ausreichend Raum gewährt.

„Klarheiten gibt es nicht“ so kritisiert Wierke die Herangehensweise anderer Formate und Produktionen, die „kontraproduktiv“ mit der Kunstform Musik umgehen, die gefährlich- falsche Traumprojektionen schaffen, die nicht mit der Realität in Übereinstimmung gebracht werden können. „Man spielt Schöner Wohnen“ zuhause bei den Musikern, zeigt aber weder Alltag noch Brüche und Unsicherheiten doch gerade in den „Alltäglichkeiten liegt ein großer Zauber.“ Daher sei es auch erfreulich, dass sich eine bekannte Band wie „Die Sterne“ auf Unsicherheiten einlässt.

Ein weiterer Einwurf aus dem Publikum fragt nach der Berechtigung des Films, weshalb wird hier eine Band zum Thema gemacht, die seit 20 Jahren Musik macht und ihren Zenit vielleicht bereits überschritten hat – warum „so ein Post-Die-Sterne-Film? (…) er hat mich ein wenig traurig gemacht“. Frank Spilker kontert mit süffisantem Witz, als er mit „traurig ist gut“ seine Antwort einleitet. Natürlich seien sie gerade auf der Suche nach einem neuen Sound, dabei sich neu zu definieren, zu finden, aber man könnte seine „Kritikersicht“ zwar akzeptieren, aber nicht teilen. Außerdem sei es relevant zu zeigen, was „passiert wenn eine ganze Branche den Bach runter geht“, denn „sie (Die Sterne) müssten heute das gleiche machen wie neue Bands“, der Kollaps sei noch nicht zu Ende. Außerdem endet der Film vor dem Abschluss der Häutung der Band. Inzwischen zum Trio plus Fremdkraft geschrumpft, hat man die neue Platte veröffentlicht, Geld verdient und ist guter Dinge. Der Film liefert aber nicht die Antworten auf die offenen gebliebenen Fragen, vielleicht sogar bewusst.

Die mehrfach thematisierte fragmentarisierte Form des Filmes wird von Ruzicka als stilistisch beeindruckend bezeichnend, er kritisiert aber, dass diese zersplitterte Wahrnehmung einer Autoren/Kamerahaltung nicht zwingend auch auf die musikalische Ebene übertragen werden muss. Die ironische Verweigerung sei zwar nachvollziehbar, aber wieso nicht auch den Mythos Pop bedienen? Im Publikum wird in der Folge leidenschaftlich über die Opposition von Mythos und Dekonstruktion und über die Möglichkeiten „neben die Ereignisse zu treten“ gestritten – auch Spilker greift diesen Punkt auf, wenn er von der Gleichzeitigkeit der praktizierten Entmystifizierung und dem gelebten Pop (oder dem Leben im Pop) spricht. Der Film sei in seiner Herangehensweise beides: Ein dekonstruktivistischer Film und eine Dokumentation des Arbeitsplatzes Popbusiness.

Eine ausführliche Debatte folgt auf den Vorwurf der Kühle des Filmes, aufgehangen an der Konzertszene, bei welcher der „dokumentarische Filter“ der Meinung eines Diskutanten nach zu stark eingesetzt worden war, mit dem Ergebnis, dass diese Einstellung „erschreckend distanziert“ wirkte, „die theoretische Stellung der Kamera hinter der Band war mir zuviel“.

Spilker begegnet diesen Vorwürfen mit Verständnis: „Ja, für die Emotionalität der Sterne war diese Szene zu nüchtern“, Wierke schließt sich zwar im Grunde an, merkt aber an, dass dies kein Moment der Distanz war, sondern vielmehr der Annäherung, dass dieser sehr sinnliche Moment ohne Schnitt festgehalten wurde. Auch Middeke wirft ein, dass sie diesen Einwurf zunächst nicht verstehen konnte und überrascht sei, „wie seltsam die unterschiedlichen Wahrnehmungen“ sind. Für sie bildet diese Episode ihre Lieblingsszene, weil hier sichtbar wird, weshalb man sich den Strapazen eines Lebens im Pop ausliefert. Wierke ergänzt, dass sich hier die Musik „verselbständigt“ hat und dass ein Kamerawechsel an dieser Stelle zum Einfangen der Emotionen schwierig gewesen wäre, weil dann eben diese „Fernsehbilder“ produziert worden wären, die der Film seit Beginn zu vermeiden versucht.

Am Ende wird durch eine Diskutantin nochmals auf die ursprüngliche Motivation des Filmemachers Bezug genommen, das Interesse an der Entstehung der Texte im Kontext der Band. Spilker begründet seine Ablehnung des Abfilmens eines arrangierten Prozesses der Textproduktion damit, dass diese immer nur parallel zur Musik entstehen und somit hochgradig situationsgebunden seien. Wierkes Methodik, die das assoziative Sammeln, strikte Auswählen, Rekontextualisieren, Konkretisierung und dramatisierende Re-Arrangieren umfasst, decke sich sehr mit seiner Arbeitsweise, dieser Prozesshaftigkeit des Schreibens. Somit kommt es fast zu einem stillen Einverständnis zwischen Beobachter und Beobachtenden.

 Frank Spilker, Beate Middeke v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Frank Spilker, Beate Middeke v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald