Film

Oral History
von Volko Kamensky
DE 2009 | 22 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 33
05.11.2009

Diskussion
Podium: Volko Kamensky
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Vogelgezwitscher, ein lichtdurchfluteter Laubwald, darin eine Häusersiedlung, kein Mensch weit und breit. Aus dem Off: Frauenstimmen, die uns irritierend-entrückt erzählen: vom Leben in der engen Gemeinschaft, vom sozialen Zusammenhalt, von den leer stehenden Gebäuden hinter der Mauer… 

Protokoll

Die Verbindung von Wahrem und Falschem ergibt immer nur Falsches. Die Verbindung von Falschem und Falschem ergibt manchmal Wahres. Ungefähr so hat es Robert Bresson ausgedrückt.

Volko Kamensky hat ein Projekt entwickelt; eine Versuchsanordnung aufgebaut. Eine Gesprächssituation wird erzeugt, „die von vornherein bodenlos ist“. Die Idee, auf der Bildebene eine Möglichkeit zu finden, in der sich diese Konstruktion spiegelt. Was man hört und was man sieht: Eine Verbindung ist nicht zwingend, ergibt sich aber durch ein Spiel.

Über die Hotline zur Geschichte. Eine dokumentarische Ausgangsposition:

Sechs Anrufe hat Kamensky insgesamt geführt. Eine Frau sagte ab: Sie kann nicht helfen, sie hat keine Fantasie. Die zweite Frau, die sich auf das Gespräch nach anfänglichem Zögern einließ, wollte dann aber nicht, dass das Gespräch für den/einen Film verwendet wird. Drei Sprecherinnen sind schließlich im Film zu hören. Drei weibliche Sprecherinnen, was auch eher dem Angebot der Hotlines entspricht: Es gibt mehr Angebote „Frauen sprechen mit Männern“ auf diesem Markt. (Im Film Divina Obsession (df’99) sprechen drei Männer, in Alles was wir haben (df’04) ein Mann, Volko Kamensky und eine Frau. In Oral History drei Frauen. Vielleicht auch eine Art von beruhigender Ordnung in der Filmbiographie.)

Auch in Divina Obsession kommen die Stimmen aus dem Telefonhörer.

Kamensky gibt Vorgaben für die persönlichen Geschichten, die noch zu erfinden sind:

„Ein Haus in einem Dorf am Waldrand“

Kamensky (Regisseur und Projektleiter) ist interessiert an professionellen Gesprächen.

Schwierig zu beantworten, wer ist in dem Gespräch [beruflich] professionell und wer nicht? Wer behauptet sich professioneller? Er fragt, wann sie arbeitet und ob er sie noch mal anrufen kann. Sie ist beleidigt und sagt, das sei keine Arbeit. Er denkt, das ist eine professionelle Inszenierung. Anstrengend, weil keiner weiß, wer ‚wer‘ ist und was ‚echt‘ ist. Sie glaubt ihm seinen ‚wahren‘ Namen nicht. „Eine Rechnung, die nicht aufgeht“, sagt Kamensky. Aber zumindest der Anbieter der Hotline verdient daran.

Die „uninteressantesten Passagen“ in den Erzählungen sind am beeindruckendsten, gerade weil sie sich so gleichen. Es sind Variationen einer bestimmten Auffassung von Realität.

Mehr sagen [länger reden], heißt: Jede Minute bringt 1,30 Euro für den Betreiber. Für das Projekt sind die Erzählstellen am aufschlussreichsten, dort wo die Sprecherinnen sich erzählerisch aufhielten.

Orte (Freilichtbühnen) wurden gesucht und gefilmt.

Sehr langsame seitliche Kamerafahrten entstanden: ungefähr 1,50 Meter über eine Minute verteilt. Dafür wurde eine eigene „Kamerabühne“ gebaut, die diese langsame Kamerafahrt möglich gemacht hat. So stellt sich eine Perspektivverschiebung her und nicht einfach nur eine Fahrt von A nach B. Wer das nachvollziehen möchte, muss einmal sein Gewicht von einem Bein auf das andere verlagern und einäugig aus dem Fenster schauen.

So wird ein „eigenartiger/ seltsamer/ irritierender Eindruck erzeugt“. Der Effekt ist: Man will dem Film nicht recht trauen.

Kamensky will eine gesteigerte Aufmerksamkeit erzeugen über die Reduktion. Die einzelnen Elemente einfach und übersichtlich halten. Dazu wählt er eine weiche Gradation: tendenziell eher 2-dimensional ohne starke Kontraste. Das erinnert eher an Malerei und entspricht nicht dem Trend des aktuellen Filmmaterials. Das Kopierwerk kennt nur noch „kontrastreich oder sehr kontrastreich“. Das ist nicht dem Ort und seiner Atmosphäre geschuldet, denn im Grunde könnte das an jedem Ort geschehen: Es geht nur um Vorstellung und nicht um Fakten. Um Schnittmengen von Vorstellungen:

Freilichtbühne

Vogelgezwitscher

Erzählung

Die Gespräche wurden auf das Material montiert. Das Sounddesign ist „surreal“ und „prominent die Vogeltöne“. Beim Drehen gab es keinerlei Tonaufnahmen, es wurde sich ausschließlich aus Ton- Archiven bedient. So ergibt sich aus der Schnittmenge auch eine Diskrepanz: Das Bild ist un- dörflich. Kamensky lässt Ungenauigkeiten zu, damit es unmöglich wird, das Hörende und Sehende deckungsgleich zusammen zu bringen.

Zuschauer/Diskutanten erleben das unterschiedlich: Die Einstellungen, die die Räumlichkeit verändern, ergeben etwas Nebeliges: „Lauter Untergänge von Häusern von Usher“. Das ist ein Dokumentarfilmfestival und Oral History läuft hier, also ist das ein Dokumentarfilm. Ein Dokumentarfilm, der sich mit der Abbildung des Todes beschäftigt?

Oder eine Kulissenromantik (abgesehen von der Tonspur). Man achtet auf unglaubliche Details. Auf der Bildebene wird etwas sichtbar, das man beim Text als Elegie bezeichnet.

Eine Romantik, kein Horror, eher ein Märchenbild.

Oder vielleicht doch „Tod“: Die Personen sind anonym und die einzige Zeugenschaft ist der Film. Man kann nicht zu den Personen hingehen, was bei „oral history“ doch auch der Sinn ist. Das Bild verweist nicht auf Realität, sondern auf die „Leiche der Realität“.

Und der einzige Zeuge „bin ich“, sagt Kamensky.

Oral History ist ein Film, ein Projekt, eine Versuchsanordnung: Der Regisseur gibt einen Auftrag und das Ergebnis gibt wiederum dem Regisseur einen Auftrag, lautet eine abschließende Interpretation. Verstrickungen und Verpflichtungen. Eine Kette von Reaktionen und Handlungen: Ein Ideal.

Trommelgetöse. Kein Kalauer.