Extra

dok you

Duisburger Filmwoche 33
06.11.2009

Podium: Anna Wahle, Alexandra Schröder, Bettina Braun, Bernd Sahling
Moderation: Werner Ružička, Ralph Caspers
Protokoll: Sven Ilgner

Protokoll

Werner Ruzicka beginnt mit dem Film Herr Rücker von Anna Wahle. Für ihn war dieser eine Mischung aus „Dokumentarfilm und mehr“. Wie ist der Zusammenhang zwischen Form und Zielgruppe/Kunden/Zuschauer? Wie war der Entstehungsprozess?

Für die Filmemacherin sind die Grenzen zwischen Dokumentarfilm und mehr (Spielfilm?) fließend. Es ist letztlich eine Definitionsfrage. Sie hatte Nico Rückers Tagesabläufe betrachtet und anhand dessen ein „Drehbuch“ entwickelt. Es ist insofern ein „inszenierter Dokumentarfilm“. Schließlich geht es um „Nicos Wirklichkeit“.

Was sind dann die Schwierigkeiten bei der Entwicklung solcher Projekte? (Caspers)

Es ging nicht so weit, dass Wahle Regieanweisungen gegeben hätte, es war keine Spielfilmarbeit. Es sollte aber ein Film über Nico selber sein. Nico, anwesend im Plenum, nickt.

Aus Interviews und Notizen ist der von Nico gesprochene Off-Text entstanden, der seinem Wortlaut entsprechen sollte. Anna Wahle brachte den Text dann in eine dramaturgisch passende Form.

Ruzicka fragt nach. Bei Nico. Haben die Dreharbeiten Spaß gemacht? Für Nico war das Verhältnis schnell sehr entspannt und „kumpelhaft“. Und da es sich um einen Dokumentarfilm handelt, „ist es ja schon so von meinem Leben her erzählt.“ Man musste nur noch die „Ideen finden“.

Ralph Caspers geht über zu Gelb und Pink von Alexandra Schröder. Wie war das für die Protagonistinnen, solche intimen und privaten Dinge mit „wildfremdem Publikum“ im Kino zu teilen? Wie kann man die Schülerinnen dazu bringen?

Es gab klare Absprachen, wann und was gedreht werden darf und was nicht. Das Verhältnis, die Geduld und das Vertrauen zu den Protagonistinnen waren das Entscheidende für Regisseurin Schröder. Sie wartete im Rahmen der Workshops eher ab, welche Schülerinnen auf sie zukamen. So entstand dann auch die Auswahl und schließlich die Entscheidung für die beiden Schwestern.

Werner Ruzicka erzählt aus seiner Kindheit. An einer reinen Knabenschule drehte er mit einem engagierten Lehrer einige Super 8-Übungen. Es war großartig und er empfand sich damals als den einzig wahren Protagonisten – genau wie seine 30–40 anderen Schulkameraden auch. Es gab Enttäuschungen bei den Schülern. Ist Ähnliches bei den Dreharbeiten zu Gelb und Pink passiert? Schröder muss das bejahen. Alle Geschichten seien schlicht nicht machbar gewesen. Letztendlich musste sie als Regisseurin die Kinder manchmal vor vollendete Tatsachen stellen.

Ralph Caspers wundert sich darüber, dass so wenige Kinder in die Kamera winken, mit der Anwesenheit des Filmteams spielen. Noch nicht einmal ein richtiger Gruß in die Kamera ist zu sehen. Solche Dinge sind bei der Arbeit geschehen, es hielt sich aber in Grenzen und verlief sich, so Schröder. Diese „Gewöhnung“ an die Kamera im Alltag interessiert Werner Ruzicka. War eine Veränderung zu bemerken?

Alexandra Schröder musste zwangsläufig mit Ruhe und Geduld arbeiten. Dem dokumentarischen Arbeiten wohnt inne, dass man nicht alles wollen kann. Dass es Zeit braucht bei der Begleitung von Protagonisten.

Ralph Caspers erzählt von Delhi in Indien. Die Geschichte eines Kameramannes, der mit zwei Kameras arbeitete. Es gab einen großen, eindrucksvollen Apparat, der aber nur Staffage war und ein zweites Team mit kleiner Kamera, die die eigentlichen Bilder machte. Werner Ruzicka fragt verblüfft: „Was kommt denn da raus?“, schließt aber direkt eine Frage an die Regisseurin an. Er hat manchmal „Spielfilmeinstellungen“ entdeckt. Wie war das Verhältnis von Arbeit mit den Protagonisten und Bildgestaltung?

Da Gelb und Pink oft in öffentlichem Raum stattfindet, waren die Filmemacher zwangsläufig schon vorher vor Ort und besichtigten die Gegebenheiten. Daraus entstanden Kamerakonzept und Auflösung.

Ein Diskutant spricht die Dreharbeiten als Fremdkörper im Schulbetrieb an und verweist sogar auf den Amoklauf von Winnenden. Es war schwierig, wie die Regisseurin bestätigt. Dabei setzten sie sich als Filmemacher aber eher in ein „gemachtes Nest“. Durch dok you und seine Kooperationspartner war der Zugang einfacher, die Probleme kleiner.

Für einen Diskutanten geht die Diskussion in die falsche Richtung. Man spreche zu sehr aus „Erwachsenenperspektive“. Wie kommen die Filme bei Kindern und Jugendlichen an?

Schröder erzählt von einer der Schulvorstellungen, die im Rahmen von doxs! stattfanden. Die Identifizierung mit den Protagonisten und die Wiedererkennung von eigenen Geschichten hat alle Filmemacher überrascht. Die Filme werden sehr genau und aufmerksam von den jungen Zuschauern aufgenommen. Bettina Braun hat gelernt, dass die Erzählweise für Erwachsene und für Kinder bis auf kleinere Unterschiede eben doch identisch ist. Anna Wahle hatte Sorge, dass Nico (Herr Rücker) nicht gemocht würde. Im Gegenteil war es aber dann nach der Schulvorstellung des Films so, dass er umringt war von anderen Jugendlichen, die Email-Adressen mit ihm austauschten oder sogar Autogramme haben wollten.

Ralph Caspers erzählt die Anekdote, dass eine Schülerin zu Beginn der Vorführung empört ausgerufen hätte: „Is’ ja Hauptschule!“ Je länger der Film dann lief, desto ruhiger, gespannter und aufmerksamer wurde sie aber.

Was sind die Themen, bzw. gibt es Universelles, „Kindgerechtes“?

Für Alexandra Schröder ist Familie ein universelles Thema. Anna Wahle fragt sich, warum es immer wieder Kinder wie Nico gibt, die durch ihre Art Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen haben. Werner Ruzicka spricht die Zwillinge Nick und Tim an. Die Arbeit mit ihnen wurde für Bettina Braun zu einer besonderen technischen Herausforderung. Der Zuschauer dürfe schon an manchen Stellen mal „nicht wissen“, aber es darf nicht zu sehr verwirren. Wenn dann die beiden Zwillinge auch noch ähnliche Kleidung tragen, wird der Schnittprozess noch komplizierter.

Es kommt die Frage auf, ob es sich denn bei den vier Projekten nun um Filme von Erwachsenen über Kinder handelt oder um Filme von Kindern für Kinder. Wie sehr waren die Protagonisten in den Prozess eingebunden?

Alle vier Regisseure stellen klar, dass es letztendlich vier Filme von Erwachsenen über Kinder sind. Der konkrete Finanzierungs- und Produktionsprozess verlangte doch diese Arbeitsweise.

Bernd Sahling spricht von einem „geschützten Raum“, in dem die Filme im Festivalkontext gezeigt werden. Im Fernsehen oder an einem Kinoabend hätten die Filme es sehr schwer bei Kindern. Ein Kind sagte nach einer Schulvorstellung: „Solche Filme kenn ich nicht!“ Werner Ruzicka hofft auf Änderung und fragt nach Optimismus. Gibt es eine Chance zur „Renaturierung“? Weg von den grellen Computerspielen? Schließlich beobachten Kinder doch viel.

Eine Renaturierung hält Alexandra Schröder nicht für möglich. Trotzdem kann man Alternativen anbieten. Ralph Caspers gesteht, dass er früher schon die Lachgeschichten den Sachgeschichten bei der Sendung mit der Maus vorzog. Der Dokumentarfilm für Kinder hat es schwer, gleichzeitig gibt es noch zu wenig Erfahrungswerte, wie Bettina Braun anfügt.

Ein Diskutant teilt seine Betroffenheit über Ednas Tag von Bernd Sahling mit dem Plenum. Der Regisseur kann leider nur bestätigen, dass er eigene Erfahrungen mit Lehrstellenmangel und den harten Realitäten der Schulkinder und Jugend hat. Ednas Tag dreht sich um ihren Schultag. Es war seine bewusste Entscheidung. Er kann nicht sagen, wie sie den Film fand. Zwar hat sie den Film bekommen, bei den Screenings mit ihrer Klasse sagte sie aber kurzfristig ab oder tauchte nicht auf. Abschließend wünscht sich ein Diskutant mehr Dokumentarfilme über den Schulalltag von Kindern und Jugendlichen. Er sieht Bedarf und Nachfrage dafür. Mit der Hoffnung auf weitere Projekte und ein Langfilmprojekt dieser Art schließt die Diskussion.

Sven Ilgner

 Michael Sennhauser © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Michael Sennhauser © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald