Film

Dacia Express
von Michael Schindegger
AT 2008 | 54 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 33
04.11.2009

Diskussion
Podium: Michael Schindegger
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Judith Funke

Synopse

Ein Zug pendelt zwischen Bukarest und Wien, fährt durch Österreich, Ungarn, Rumänien. Reisende im Schlafwagen kommen sich in den engen Abteilen und Gängen unweigerlich nah, unterschiedliche Reisemotive, Charaktere und Nationalitäten treffen aufeinander. Es wird getrunken, geschlafen, gewartet und erzählt.

Protokoll

Eine Reise ohne Anfang und Ende zeigt Michael Schindeggers DACIA EXPRESS – wie eine Endlosschleife erzählt, ohne klare Chronologie, ohne auf Start, Ziel oder Stationen der Fahrt einzugehen. Erst im Schnitt ist dieses Konzept entstanden, berichtet der Regisseur, als ihm deutlich wurde, dass nicht die Orte, das Draußen den Film bestimmen sollten, sondern das Innere des Zugabteils in seiner atmosphärischen Besonderheit.

Dem Diskussionspublikum werden aber doch einige Randdaten an die Hand gegeben: Einmal täglich fährt der Dacia Express von Wien nach Bukarest, 17 Fahrtstunden, die Schindegger, über den Drehzeitraum von 1 1/2 Jahren verteilt, insgesamt vierzehn Mal in einem Abteil verbracht hat, zusammen mit seiner Kamera und immer neuen Mitreisenden.

Für Werner Dütsch ist aus diesem Material ein „völlig imaginärer Film“ entstanden, in dem keine genaue Verortung möglich ist, aber die Fortbewegung als permanentes Zittern durchweg im Bild präsent bleibt. Auch aus den wenigen Blicken aus dem Fenster, dem „Mitschauen“, das Schindegger dem Zuschauer nicht völlig vorenthalten wollte, ergibt sich weniger eine konkrete Vorstellung der Außenwelt als vielmehr vage Assoziationen. Die Länge der Reise und die fast klaustrophobische Enge des Raums wirken als sozialer Katalysator. Kommunikation scheint in diesem speziellen Universum, dieser „Wunderwelt des Transitorischen“ (Werner Ruzicka) geradezu unvermeidbar.

Dütsch zeigt sich vor allem davon fasziniert, dass man den Reisenden bei ihren oft absurden, vor „schrecklichen Vorurteilen“ nur so strotzenden Gesprächen durchweg gerne zuhört. Ganz ähnlich schildert auch Schindegger seine eigenen Reiseerfahrungen, aus denen sich die Leitfragen für den Film ergeben haben: Warum lässt man sich von diesen Menschen und ihren Themen so einnehmen, wieso kann man sich dem Reiz der Kommunikation in dieser besonderen Situation nicht entziehen?

Dass sich die Fahrgäste in ihrer ausgeprägten Redebereitschaft auch gestisch im Bild ausbreiten konnten, ist nicht zuletzt der Kameraarbeit Schindeggers zu verdanken, die er als Zusammenspiel aus Überlegung und technischen Anforderungen beschreibt: Der Verwendung einer kleinen Kamera mit Weitwinkel und in der totalsten Einstellung, vor allem aber der spontanen Anpassung an die räumlichen Gegebenheiten im Zugabteil. Innerhalb dieser begrenzten Möglichkeiten war Schindegger auch wichtig, nicht als „halber Android“ hinter der Kamera zu verschwinden, sondern selbst als Gesprächspartner präsent zu bleiben.

Die soziale Dynamik im Zugabteil beschreibt Schindegger als ein „Geben und Nehmen“, das Zusammengehörigkeitsgefühl habe ihn auch dazu bewogen, das Abteil nicht, wie ursprünglich geplant, während der Fahrt zu wechseln.

Die Montage des Films orientiert sich anstelle der ausgesparten geographischen Anhaltspunkte zunächst an Tageszeiten, davon ausgehend wurde assoziativ geschnitten. Dütsch lobt Schindeggers Konstruktionen aus motivischer Variation und Wiederholung – Bögen, an denen Schindegger auch deshalb festgehalten hat, „weil es sonst so wenig gab zum Festhalten“.

Während die im Film gezeigten Personen nur bedingt als repräsentativ für die im Zug vertretenen Bevölkerungsgrup pen gelten können, sind die Gesprächsthemen in ihren Schwerpunkten immer gleich, berichtet Schwindegger. Zu allgemeinen Vergleichen, die zwischen Ländern und kulturellen Differenzen angestellt werden, kommt als Grundthema die Grenzen überschreitende Verschiebung von Arbeitskraft – alle, die mit dem Dacia-Express reisen, haben mit Arbeitsmigration zu tun, sind mehr oder weniger zum Reisen gezwungen. Die für Schindegger selbst überraschend starke Aversion vieler Rumänen gegen die deutsche Sprache und gegen Wien möchte er in diesem Zusammenhang auch als bemerkenswerten Gegenpol zum idealisierten Bild des wirtschaftlich besser gestellten Westens herausstellen.

Jenseits der atmosphärischen Dichte der Gesprächssituationen in ihrer „klugen Rollenprosa“ ergibt sich mit dieser Thematik der politischen, kulturellen und ökonomischen Grenzen eine weitere Dimension des Films.