Film

Weit weg von hier
von Kristina Konrad
DE 2008 | 29 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
04.11.2008

Diskussion
Podium: Kristina Konrad
Moderation: Andrea Reiter
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Daniela, Wilmar und ihr Sohn Lucas leben als junge Familie bei Danielas Mutter in Montevideo. Leicht haben sie es nicht. Daniela sehnt sich nach Vater und Bruder, die in den USA arbeiten und nicht zu Besuch kommen können.

Protokoll

„Ich gehe immer gerne nach Lateinamerika zum Arbeiten, auch um den Kontakt nicht zu verlieren,“ sagt Kristina Konrad, in Berlin lebende Schweizerin mit langjährigen Erfahrungen in Uruguay. Ihr Film WEIT WEG VON HIER, eine Produktion für die Reihe MÄDCHENGESCHICHTEN vom ZDF/3sat (Redaktion: Katya Mader), gab Konrad die Möglichkeit in Montevideo zu drehen. „Ich wollte etwas machen in einer Welt, die ich gut kannte.“

Die Zeitvorgabe des Formats (30 Minuten) galt es einzuhalten, auch wenn dadurch im Film einiges offen blieb: Beispielsweise die Frage, ob der Vater zurückkehrt. Ebenso werden im Film die Probleme zwischen der 17jährigen Daniela und ihrem 19jährigem Freund Wilmar eher am Rande thematisiert. „Manchmal lassen sich bestimmte Konflikte in einer halben Stunde nicht darstellen“, sagt Konrad. Auch wollten Daniela und Wilmar ihre Auseinandersetzungen nicht zeigen. In der Diskussion spricht Kristina Konrad von Wilmars „wahnsinniger Eifersucht“; so verbietet er Daniela einen Minirock zu tragen oder will nicht, dass sie vor der Kamera weint, denn das darf sie wohl nur mit ihm. Der Film erzählt davon nicht direkt. Eher indirekt erfährt der Zuschauer etwas darüber, wie Werner Ruzicka in die Diskussion einwirft. So entlarvt sich Wilmar selbst, wenn er sich im Gespräch über das Stillen des Sohnes äußert: Er verfügt über den Körper seiner Freundin und bestimmt – gegen den Rat der Ärztin – dass sein Sohn weiter die Brust bekommen soll.

Auf Kristina Konrads Rolle als ‚neutrale Beobachterin’ angesprochen, sagt die Regisseurin, dass sie nicht an „die Objektivität“ glaubt. Sie mag es, wenn Dokumentarfilme eine Haltung haben und wenn der Zuschauer merkt, dass „du da bist“. Von diesem Standpunkt aus hat sie sich auch „kleine Seitenblicke“ erlaubt, die „das Leben als Bruchstücke“ zeigen; denn „das Leben ist nicht linear“.

WEIT WEG VON HIER ist kein Portrait geworden. Die Geschichte von Daniela ist nicht wegzudenken von der Geschichte der Familie. „Ihrer Familie geht es im Vergleich zu anderen Familien relativ gut“, berichtet Konrad. Alle Mitglieder gehen arbeiten, nehmen keine Drogen und sie haben es in ihrem Haus geschafft, auch durch die Umsicht der Mutter, „auszukommen“. So sind sie, auch wenn der Vater und der Sohn abwesend sind, so etwas wie eine „heile Familie“: „Es ist ruhig, weil sie ruhig sind.“ Das macht sie in ihrem Viertel zu einer untypischen Familie, die auch mit der Eifersucht der Nachbarn konfrontiert ist. Wenn überhaupt sind sie „Typisch“ ihrer „Funktionsweise“ als Familie und in ihrem „Redeverhalten“, dass der Regisseurin sehr vertraut war.

Für Danielas Familie, aber auch für viele andere, ist es eine Art „Normalität“, dass einzelne Familienmitglieder weit weg leben und (illegal) arbeiten. Und obwohl der Vater körperlich abwesend ist, „kreist trotzdem alles um ihn“. Doch die Kommunikation zu den „Abwesenden“ und so auch zu Danielas Vater hat sich in den letzten Jahren verändert. Aus dem Telefon ist das Handy geworden, mit dem die Daheimgebliebenen den Vater während des Gesprächs über Skype vom Computerbildschirm abfotografieren. Wurde früher Geld aus dem Ausland geschickt, so sieht man nun im Film, wie Daniela und ihre Schwester zu Hause viele Einkaufstüten auf deren Inhalt kontrollieren. Kristina Konrad berichtet, dass der Vater direkt die Lebensmittelbestellungen für die Familie per Internet aufgibt und bezahlt. So ist auch ‚von weit weg’ noch Kontrolle möglich.

Die Apparate (Handy, Internet) zu filmen, stand für Konrad ebenso fest, wie die Szene in der Daniela fernsieht. „Fernseher, die permanent laufen, gibt es in jedem Zimmer“ und Daniela schaut jeden Tag ihre Telenovelas.

Sonntags dann fährt sie mit Wilmar zu seiner Familie. An dem Tag an dem Kristina Konrad die beiden begleitet hat, treffen sie auf die Familie und Mitglieder der Mormonen-Gemeinde. Diese Bild kommt für den Zuschauer – und so stellt es auch ein Diskutant fest – etwas unvermittelt und wird auch nicht näher erklärt. Andererseits vermittelt es auch, wie Werner Ruzicka anmerkt, „hier gibt noch ein ganz anderes Interieur“. In einem längeren Film wäre Konrad auf diesen „Familienzweig“ näher eingegangen. So lag aber ihr Fokus nicht darauf Wilmars Familie zu thematisieren, sondern eher zu zeigen, dass Daniela sich dort verloren vorkommt; sie kann dort mit keinem sprechen. Mittlerweile, so berichtet Konrad, sind Daniela und Wilmar auch getrennt.

Auf die Frage aus dem Publikum nach einem „Masterplan der Familie“, erzählt die Regisseurin, dass der Vater jedes Jahr sagt, dass er nach Hause zurückkehrt. Ebenfalls wie der Vater illegal in den USA zu leben, kommt für die Familie jedenfalls nicht in Frage.

Und so bleibt, wie es die Regisseurin bereits zu Anfang der Diskussion bemerkt hat, einiges offen. Das letzte Bild im Film ist auch ein trauriges Bild von Daniela, weil Kristina Konrad Daniela auch als traurig empfunden hat, die „weit weg von hier“ sein will.

 Kristina Konrad r. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Kristina Konrad r. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald